Ungelesener Beitragvon KoratCat » Do Feb 18, 2010 7:20 pm
Artenschutz
Tiger durch Wunderglauben bedroht
Eine neue Studie zeigt: Weltweit brechen die Tigerpopulationen ein. Schuld ist der Mensch. Er zerstört die Lebensräume und panscht Arzneien aus Tigerkörperteilen zusammen.
Von FOCUS-Redakteur Michael Odenwald
In China begann jüngst das „Jahr des Tigers“. Dies nahm die Umweltschutzorganisation WWF zum Anlass, eine Studie über die Lage der Raubkatze zu erstellen. Das Ergebnis ist niederschmetternd: In seinem gesamten Verbreitungsgebiet gerät der Tiger immer stärker unter Druck. „Die Situation für die letzten rund 3200 Tiger in freier Wildbahn ist dramatisch. Hier steht eine der charismatischsten Tierarten der Erde am Abgrund, und die Bedrohungen werden immer vielfältiger und akuter“, warnt Volker Homes, Leiter Artenschutz beim WWF Deutschland. Hauptsächlich lassen Wilderei, die Zerstörung der Lebensräume sowie die Auswirkungen des Klimawandels die Bestände schrumpfen. So nahm die Fläche ihres Verbreitungsgebiets im letzten Jahrzehnt um 40 Prozent ab. Besonders betroffen ist der Sumatra-Tiger, der neuesten Bestandsschätzungen zufolge am Rande der Ausrottung steht. Als stark gefährdet gelten die Bestände des Amurtigers sowie der bengalischen, indochinesischen und malaysischen Unterarten. Tiger zu wildern lohnt sich, weil in Hinterhofapotheken und Pharmaklitschen noch immer Arzneien aus Tigerkörperteilen zusammengepanscht werden. Die Nachfrage entsteht aufgrund des in vielen asiatischen Ländern ungebrochenenen Wunderglaubens an die Heilkraft solcher Produkte. Trotz eines seit 1975 bestehenden internationalen Handelsverbots wird die Raubkatze deshalb in ganz Asien weiterhin geschossen, um den illegalen Handel mit Tigerknochen, Fell oder Zähnen zu bedienen. Der südchinesische Tiger, von dem vor zehn Jahren wahrscheinlich noch 20 bis 30 Individuen existierten, könnte dadurch mittlerweile ausgestorben sein. „Wenn im Kampf gegen die Wilderei nicht schnellstens ein Durchbruch gelingt, wird es Tiger bald nur noch in Zoos geben“, fürchtet Homes.
Eiscreme gegen Tiger
Wie die Lebensräume der Großkatzen verschwinden, macht der WWF am Beispiel des Sumatra-Tigers deutlich. Diese Unterart gerät durch den auch in Europa enormen Bedarf an Palmöl in Bedrängnis. Jedes Jahr werden laut WWF rund 5,8 Millionen Tonnen des Pflanzenöls importiert. Es dient zur Herstellung zahlreicher Konsumgüter wie Eiscreme, Biosprit oder Waschmittel. Auf Sumatra mussten daher zwischen 1985 und 2008 über 12 Millionen Hektar Wildnis den Palmölplantagen weichen, die meist riesige Monokulturen sind. Dies entspricht der Hälfte der gesamten Regenwaldfläche dort.
Schlechte Nachrichten gibt es auch aus der Boom-Region Südostasiens am Mekong-Fluss. In den fünf Anrainerstaaten Kambodscha, Laos, Myanmar, Thailand und Vietnam brachen die Bestände um 70 Prozent ein. Dort leben nur noch rund 350 Tiger in freier Wildbahn. Ende der 90er waren es noch etwa 1200 Tiere. „Der Tiger in der Mekong-Region wird durch Lebensraumzerstörung, Habitat-Zerstückelung und vor allem durch massive Wilderei bedroht“, sagt WWF-Experte Homes. In Vietnam, Kambodscha und Laos gibt es jeweils höchstens noch dreißig Tiger. Die Hauptpopulation wird in der Grenzregion zwischen Thailand und dem weitgehend abgeschotteten Myanmar vermutet. Doch auch diese letzten Restbestände sind zunehmend durch Wilderei sowie durch Infrastrukturprojekte gefährdet.
Das Tigerparadies Sundarbans ist in höchster Gefahr
Selbst eine der weltweit noch größten Tigerpopulationen könnte bis zum Ende des Jahrhunderts ausgerottet sein. Ihr Lebensraum, die sogenannten Sundarbans, ist nach einer früheren Bedrohungsanalyse des WWF in höchster Gefahr. Die Sundarbans sind die größten zusammenhängenden Mangrovenwälder der Erde, die sich entlang der Mündung des Ganges in Indien und Bangladesch erstrecken. Das als Unesco-Weltnaturerbe eingestufte Gebiet ist nicht nur die Heimat für rund 200 Tiger, sondern auch für zahlreiche Arten von Reptilien, Fischen, Vögeln und Säugetieren. Es könnte bald durch den vom Klimawandel verursachten Anstieg des Meeresspiegels verschwinden. „Wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels nicht in den Griff bekommen, werden die Tiger in den Sundarbans nur mit Tauchausrüstung überleben können“, übt sich Volker Homes in Sarkasmus. „Auch wenn Tiger sowohl in den im Winter schneereichen Wäldern Russlands als auch im tropischen Regenwald überleben können, wird der von Klimaforschern prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels die Anpassungsfähigkeit der Raubkatzen höchstwahrscheinlich überstrapazieren.“
Der Tod lauert unter WasserOhne rasche und umfassende Schutzmaßnahmen könnten die Sundarbans mit all ihren Naturschätzen, die Millionen Menschen ernähren, innerhalb der nächsten 50 bis 90 Jahre untergehen, so das Ergebnis der Studie. Ein Anstieg des Meeresspiegels um 28 Zentimeter über den Stand des Jahres 2000 würde 96 Prozent des Tigerlebensraumes zerstören und die Population auf wenige Exemplare minimieren.
Anti-Wilderer-Ausbildung an der russisch-chinesischen Grenze
Darüber hinaus ist der WWF über einen möglichen Rückgang an Amurtigern in Russland besorgt. Nachdem sich die Bestände der Großkatzen über viele Jahre hinweg positiv entwickelt hatten, gab es in jüngster Vergangenheit Anzeichen dafür, dass sie zu schrumpfen begannen. „Die Indikatoren für unsere Bestandsschätzungen waren im Gegensatz zu vorherigen Untersuchungen nicht eindeutig. Um Gewissheit über die tatsächlich Anzahl an Amurtigern zu erhalten, wird ein neues Monitoring gestartet“, sagt Frank Mörschel, Amur-Referent bei WWF Deutschland. Mit ersten Ergebnissen ist in diesem Frühjahr zu rechnen.
Aufgrund massiver Bejagung sank die Zahl der Tiere, die an dem russisch-chinesischen Grenzfluss leben, bis in die 40er-Jahre auf nur noch wenige Dutzend. Heute sind es dank intensiver Schutzbemühungen wieder schätzungsweise 450 bis 500. Zählungen versprechen dank der klimatischen Bedingungen in der Grenzregion zwischen China und Russland vor allem im Winter Erfolg. Auf der dann weitgehend geschlossenen Schneedecke lassen sich Tigerspuren besonders einfach entdecken. Zwischen Dezember und Februar werden daher auf vorgegebenen Routen sechzehn exemplarische Gebiete abgesucht. Aus den gefundenen Spuren errechnen die Naturschützer dann die Gesamtzahl der noch lebenden Amurtiger. Der WWF engagiert sich seit 1992 in dem Gebiet. Neben der Einrichtung und Verwaltung von zahlreichen Schutzgebieten und der Ausbildung und Betreuung von Anti-Wilderer-Einheiten arbeiten die Naturschützer mit der lokalen Bevölkerung zusammen und zeigen alternative Einkommensquellen zur Wilderei auf.
Paradoxe Zukunft der TigerIn einem weiteren Bericht mit dem Titel „Die Zukunft der Tiger“ beurteilt der WWF, wie effizient die 13 Tigerstaaten gegen die illegale Jagd und den Handel mit Tigerprodukten vorgehen. Als „absolut ungenügend“ werden die geringen Anstrengungen von Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Thailand und Vietnam bewertet. „Ausreichend bis gut“ seien hingegen die Maßnahmen in Kambodscha, China, Indien, Nepal und Russland. „Von einem großen, entscheidenden Durchbruch im Schutzmanagement für die Raubkatze sind wir jedoch noch weit entfernt“, urteilt Experte Homes. ZUM THEMA
Souvenirs:
Vorsicht ArtenschutzDiese Entwicklung führt laut WWF zu der paradoxen Situation, dass es heute in den USA mit 5000 Exemplaren mehr Tiger gibt, die von Privatpersonen gehalten werden, als in ganz Asien in freier Wildbahn. „Es wird immer wieder beteuert, dass die Tiere nur zu Unterhaltungszwecken gehalten werden, doch Gesetzeslücken in den USA öffnen dem illegalen Handel Tür und Tor“, warnt Homes.
Arzneien aus gezüchteten Tigern, so der Glaube, wirken nicht
Noch kritischer sieht der WWF die Tigerfarmen in China. Sie werden offiziell als Unterhaltungseinrichtungen oder Zuchtstationen betrieben, doch klar ist, dass sie zum Erhalt der Tiger in der Wildnis nichts beitragen. Auch zählen einige der Farmer zu einer einflussreichen Lobby, die sich für eine Aufhebung des nationalen Handelsverbots für Zuchttiger einsetzt. Hätte sie Erfolg, könnten die Züchter tote Farmtiger für die Herstellung von Medizinprodukten verkaufen. Dadurch würde der Druck auf die freien Tiere nicht nachlassen, fürchtet der WWF. „Untersuchungen und Befragungen haben gezeigt, dass viele Käufer von Tigerprodukten jene bevorzugen, die aus wildlebenden Tieren hergestellt wurden. Farmtiger sind in deren Wahrnehmung minderwertige Ware“, so Homes.
Trotz aller Rückschläge wollen die Naturschützer weiter für das Überleben der großen Raubkatzen kämpfen. Sie haben sich das Ziel gesetzt, die Bestandszahlen in den wichtigsten Verbreitungsregionen bis 2022 zu verdoppeln. „Als erstes muss ein weiterer Rückgang der Population verhindert werden, da sich ein immer kleiner werdender Bestand bald nicht mehr selbst regenerieren kann“, fordert Homes. Hierfür sei ein konsequenter Kampf gegen die Wilderei von Tigern und deren Beutetiere notwendig.
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