Späte Aufregung um Tsunami-Opfer
Zur Identifizierung der Toten in Thailand wurden ihnen anfangs Hände und Kiefer abgenommen. Darüber gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gerichtsmedizinern aus Österreich und jenen aus anderen Ländern.
Inge Baldinger
Wien (SN). Polizeioberst Christoph Hundertpfund, nach dem Tsunami Ende 2004 als Leiter eines österreichischen „Desaster Victim Identifikation Teams“ in Thailand im Einsatz, weiß nicht, wie ihm geschieht: „Es ist mir unverständlich, dass ein gut gelaufener Einsatz im Nachhinein so verunglimpft wird“, sagt der Tiroler im SN-Gespräch. Die Rede ist von einem Bericht in der heute, Donnerstag, erscheinenden Zeitschrift „Datum“ unter dem Schlagwort „Leichenschänder“.
In dem Bericht heißt es, die von Österreich nach Phuket geschickten Gerichtsmediziner und Kriminologen seien nach wenigen Wochen von der internationalen Identifizierungsmission ausgeschlossen worden. Grund: Sie hätten den Toten Hände und Kiefer abgenommen, um Fingerabdrücke zu nehmen und Zahndaten zu erfassen. Das bestreitet Oberst Hundertpfund auch nicht: Das sei zu Beginn des Einsatzes üblich gewesen – und zwar nicht nur im eigenen, mit den Deutschen gebildeten Team. Angesichts der Massen an zu identifizierenden Leichen, des tropischen Klimas, das die Verwesung ungemein beschleunigte, dem Fehlen jeglicher Infrastruktur und des kompletten Chaos’ habe es schnell gehen müssen. „Zumindest aus damaliger Sicht beim Einsatzbeginn. Wir hatten ein paar Nirostawägelchen, sechs Kühlcontainer und Tausende Leichen“, sagt Hundertpfund und betont: „Wir sind nicht ausgeschlossen worden. Ich war doch selbst ein halbes Jahr dort.“
Weniger chaotisch als in Thailand ging es in Sri Lanka zu, wo die Salzburger Gerichtsmedizinerin Edith Tutsch-Bauer und ihr Innsbrucker Kollege Walter Rabl im Einsatz waren. Die beiden gehörten zu einem der drei internationalen Teams, das nur für die Identifizierung europäischer Tsunami-Opfer zuständig war. In Colombo konnten sie die Gerichtsmedizin benutzen. Zur Identifizierung der Leichen Kiefer und Hände abzunehmen, lehnen sie „so oder so vollkommen ab“ (Tutsch-Bauer). „Und in Sri Lanka ist das auch nicht gemacht worden“, betonen beide auf SN-Anfrage. Abseits ethischer gibt es dafür sachliche Gründe: „Um an die DNA zu kommen, brauch’ ich weder Kiefer auszubauen noch Hände abzunehmen. Aus meiner Sicht verkompliziert das die Sache sogar, weil wenn etwas getrennt ist, ist nachher die Zuordnung schwieriger“, sagt Rabl. Und Tutsch-Bauer: „Es muss jederzeit die Möglichkeit einer Nachidentifizierung geben. Dazu braucht man die Fingerabdrücke und den kompletten Zahnstatus. Also macht man das nicht. Es muss ohne weitere Verstümmelung gehen.“ Nach dem Tsunami-Einsatz sei bei Gerichtsmedizinertreffen viel darüber geredet worden, was anfangs in Phuket passiert sei. Rabl: „Wir haben gesagt: Aus unserer Sicht war das nicht notwendig.“
Animositäten bis heute
Vorwürfe gegen die Arbeit der Österreicher in Thailand erhebt laut „Datum“ ein Norweger, der damals eine hohe Position in der Identifizierungsmission hatte. Rudolf Gollia, Sprecher des Innenministeriums, wollte keine Nationalitäten nennen, erklärte aber, es habe anfangs Konflikte um Zuständigkeiten gegeben – und letztlich um Kosten. „Manche haben geschaut, nicht ihre eigenen Vorteile aus den Augen zu verlieren. Da konnten unsere Leute nicht mit. Und da gibt es offensichtlich bis heute Nachwirkungen.“
© SN/SW
Salzburger Nachrichten 24. Juni 2009
Am meisten schockiert mich ja der Titel "Späte Aufregung um Tsunami-Opfer" zu dieser kritischen Diskussion um Ethik und Rationalität. Als ob es nicht in erster Linie darum ginge, eine reibungslose Zusammenarbeit und hohe Effektivität bei einem künftigen Katastropenfall sicherzustellen.