PATTAYA
Neuer Glanz für Thailands Schmuddelkind
Von Michael Lenz
Bislang ist Pattaya vor allem für die große Zahl von Sextouristen berühmt und berüchtigt. Doch jetzt wollen Investoren die thailändische Stadt verwandeln: Aus dem Rotlichtparadies soll eine Premium-Destination werden.
Der Fish-Martini ist Curaçao-blau. Die Knabberfischlis dazu schmecken nach Meer. Die Cocktails der "Baraquda Bar" des ultramodernen "dusitD2" tragen maritime Namen, so wie auch das ganze Design des neuesten Hotels in Pattaya thematisch am Meer ausgerichtet ist. Die weiße Terrasse der Bar im dritten Stock schwebt wie ein Raumschiff hoch über dem dichten Verkehr auf Pattayas wichtigster Verkehrsader Second Road.
Das Baraquda ist leer. Vielleicht, weil die Bar noch zu neu, zu unbekannt ist. Vielleicht aber auch, weil der ganze urbane Schick des Designerhotels einfach nicht zum schäbigen Pattaya passt. Die Bars gegenüber, bei denen Rotlicht als einziges Designfeature heraussticht, sind hingegen gut besucht. Mit kess übereinandergeschlagenen Beinen sitzen die Hostessen, wie die Prostituierten vornehm umschrieben werden, in Miniröcken auf wackeligen Barhockern. "Hello, come in", rufen sie vorbeischlendernden Passanten zu, Männern wie Frauen, völlig egal. Hauptsache, der Bierumsatz stimmt.
Mit dem Ende Dezember eröffneten D2 will die vornehme Dusit-Gruppe die junge, gutverdienende urbane Klientel aus Bangkok in das nur zwei Autostunden entfernte Pattaya locken. Die Zeit dafür ist reif, findet dusit-Generalmanager Paolo Randone: "Wir sprechen jene Menschen an, die bisher keine Pattaya-Besucher waren. Rotlichtviertel gibt es überall, in Pattaya vielleicht mehr als anderswo. Aber man muss ja nicht hingehen."
Am Anfang stehen zwei Buchstaben
Pattaya hat kein Rotlichtviertel. Pattaya ist ein Rotlichtviertel. "Sex wird immer der selling point bleiben", sagt Sunan, der seit vielen Jahren in dieser Sündenstadt als Immobilienverwalter lebt. Am Anfang von Pattaya als Sextouristendestination standen zwei Buchstaben: R & R, Rest & Recreation, etwa "Entspannung & Erholung". In das Fischerdörfchen am Golf von Siam schickten die USA während des Vietnamkriegs ihre GIs zum Fronturlaub zum R & R. Bei Sex, Bier und Rock'n Roll konnten die Soldaten sich austoben, Krieg und Tod für ein paar Tage vergessen.
Nach Ende des Vietnamkriegs 1975 hatte Thailand seine Lektion gelernt: Westliche Männer stehen auf asiatische Schönheiten. Statt der B 52 der amerikanischen Luftwaffe begannen nun die Sex-Bomber aus Europa zu landen, voll mit meist älteren, lüsternen Herren aus Deutschland, der Schweiz, Skandinavien. Irgendwann wurde den Thais Pattaya jedoch so peinlich, dass sie schamhaft den Mantel des PR-Schweigens über den Megapuff mit Strand deckten. Pattaya blieb trotzdem populär und ein wichtiger Devisenbringer.
Jetzt aber beginnt Thailand, seine Schmuddelattraktion, die längst eine vibrierende Großstadt mit mehr als 100.000 gemeldeten Einwohnern und jährlich sechs Millionen Besuchern geworden ist, wiederzuentdecken und aufzumöbeln. Randone sagt: "Pattaya wandelt sich immer mehr zu einem Ort für Familienurlaub und zu einem Resort für Paare." So sehr, dass die Bars in der Walking Street, der Mutter aller Rotlichtviertel Pattayas, inzwischen mit großen Schildern "Couples Welcome" um Kunden werben. Ältere Ehepaare aus Deutschland bestaunen halbnackte Go-Go-Girls. Junge (heterosexuelle) asiatische Paare aus Singapur oder Seoul zieht es in die schwulen Bars mit Live-Sexshows. Russische Gruppenreisende lassen sich von einem Führer mit Fähnchen Sodom und Gomorrha zeigen.
Cocktail statt Flaschenbier
Das thailändische Fremdenverkehrsamt und Pattayas Stadtväter setzen auf die neue Klientel. Wenn man nur genügend reiche Menschen anlockt, die Cocktails statt Flaschenbier schlürfen, Prada statt Billig-T-Shirts tragen, im französischen Edelrestaurant statt am Nudelstand auf der Straße speisen, dann ändert sich das Image automatisch, so das optimistische Kalkül.
Also wurden Luxusherbergen gebaut, Golfplätze angelegt, schicke Restaurants eröffnet, während es andererseits noch immer keine anständige Kanalisation gibt, wie der üble Geruch an manchen Stellen der Beach Road deutlich zeigt. In den Gehwegen tun sich riesige, gefährliche Löcher auf; die Taxifahrer sind Gauner; am minimalistisch schmalen Strand direkt an der dicht befahrenen Beach Road wabern den sonnenhungrigen Urlaubern Lärm und Abgase um Nase und Ohren.
Taucher zieht es nach Pattaya wegen der großartigen Tauchreviere draußen in den Tiefen des Golfs von Siam; Golfer putten auf einem der 20 Golfplätze; wer reif für die Insel ist, kann von Pattaya aus Tagestouren zu Stränden von Koh Larn, Koh Samet oder Koh Chang unternehmen; Besucher aus dem Nahen Osten kommen als Medizintouristen, die sich in den internationalen Hospitälern Pattayas zum Schnäppchenpreis verarzten lassen.
Das im Januar eröffnete Megakaufhaus Centralfestival, laut Eigenwerbung Asiens erste und einzige Shopping Mall direkt am Strand, samt einem (noch nicht fertigen) Hilton-Hotel mit 300 Zimmern unterstreicht den Anspruch Pattayas, sein schlüpfriges Image um Wellness, Lifestyle und Urbanität zu ergänzen. Khun Kobchai Chirathivat, Präsident und CEO des Betreiberkonzerns CPN sieht Pattayas Zukunft mit Zuversicht: "Die Stadt hat das Potential, Thailands Premium-Touristenspot zu werden."
Ein Paradies für Senioren
Einer, der sich gerade sein Traumhaus in Pattaya aus- und umbaut, ist der Osnabrücker Wolfgang Jung. Unter dem Künstlernamen Steve Young gehört der 62-Jährige samt seiner Band seit fast 30 Jahren zu den Urgesteinen der Unterhaltung auf Mallorca. Aber zur Ruhe will sich Young in Pattaya setzen, nicht auf "Malle".
Young steht auf dem Balkon seiner innen wie außen ganz in Weiß gehaltenen Villa, blickt über den Pool hinauf zu dem von einer goldenen Buddhastatue gekrönten Hügel, der Pattaya von ihrer Schwesterstadt Jomtien trennt, und sagt: "Das ist für mich das Paradies. Wir wohnen hier sehr schön ruhig. Aber ich brauche mich nur aufs Moped zu setzen und bin in fünf Minuten in der Stadt oder am Strand." Das Paradies ist auch noch billig. "Mein Haus hier hätte mich in Mallorca zehnmal so viel gekostet, mindestens", sagt Young und nennt Pattaya fröhlich "ein Altersheim", das man sich in Deutschland nicht leisten könnte.
Zu Tausenden haben sich Europäer im ewigen Sommer Pattayas niedergelassen, wohlhabende Unternehmer ebenso wie Rentner, die auch mit kleinem Geld im Vergleich zu Europa in Pattaya vermögend sind. Wie Young, der es sich in seinem weißen Haus zusammen mit seiner österreichischen Lebenspartnerin heimisch macht, sind viele samt Ehefrau nach Pattaya umgesiedelt. Andere leben mit ihrer thailändischen Partnerin zusammen und machen die Erfahrung, dass sie auch für das Wohlergehen der umfangreichen, armen Verwandtschaft der exotischen Gattin finanziell aufzukommen haben.
Dann gibt es noch jene gewaltige Armee der Single-Senioren aus Gerolstein und Göteburg, Birmingham und Berlin, Salzburg und St. Gallen, die in Pattaya ihren Ruhestand genießen- versorgt mit Viagra, für das die zahlreichen Apotheken in Pattaya mit meterhohen Neon-Reklameschildern werben. Auch fast 40 Jahre nach Ende des Vietnamkriegs gründet Pattayas Anziehungskraft noch immer auf zwei Buchstaben: R & R.
Spiegel online 9. feb. 2009