Thailand schickt Flüchtlinge in den sicheren Tod
Sklaverei, Verfolgung und Folter durch die Schergen der Militärjunta: Da blieb Burmas Minderheitenvölkern bisher nur die Flucht ins Ausland. Doch Thailand, wo bereits mehr als drei Millionen von ihnen illegal leben, treibt sie jetzt zurück - ins Verderben.Singapur - Die Nächte sind auch im Norden Thailands in diesen Wochen kalt, fast tödlich kalt. Jedenfalls für Menschen, die nur tropische Temperaturen gewohnt sind, dazu oft nur Lumpen am Leib tragen und keine Schuhe besitzen. Aber das kümmert die Polizei in Mae Sot, dem kleinen Grenzort an der Grenze zu Burma, nicht.
In der letzten Januarwoche tauchten mehrere Dutzend Uniformierte bei der Müllkippe der Kleinstadt auf und machten Jagd auf die etwa 300 burmesischen Flüchtlinge, die dort ein kärgliches Leben führen. Etwa 50 Menschen wurden verhaftet, darunter auch gut zwei Dutzend Kinder, die hier die "Sky Blue"-Schule einer ausländischen Hilfsorganisation besuchen. Anschließend zerstörte die Polizei die Hütten, in denen die Burmesen gehaust hatten. Ohne Hab und Gut müssen die Zurückgebliebenen jetzt jede Nacht im Freien verbringen. Und das bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt, ohne ausreichende Kleidung, Essen und sauberes Trinkwasser.
"Die Finanzkrise hat auch Thailand schwer getroffen", sagt Benno Röggla, Vorsitzender von "Helfen ohne Grenzen", einer Hilfsorganisation aus Südtirol, "da betrachtet man die burmesischen Flüchtlinge inzwischen als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und will sie möglichst schnell loswerden."
Dabei sind die Verdammten in Mae Sot noch relativ glimpflich davon gekommen: In der Nacht vom 2. auf 3. Februar rettete die indonesische Marine 198 Bootsflüchtlinge aus Burma vor der Insel Sumatra aus dem offenen Meer. Während ihrer 21-tägigen Odyssee seien mindestens 22 ihrer Leidesgenossen gestorben, berichteten die Überlebenden. Das Schiff hatte keinen Motor, und seit sieben Tagen waren ihnen Wasser und Lebensmittel ausgegangen.
Die Flüchtlinge gehören der muslimischen Minderheit der Rohingyas an, die zwar schon seit gut zwei Jahrhunderten im Westen Burmas an der Grenze zu Bangladesch wohnen, aber von der buddhistischen Militärjunta in Rangun nicht als Bürger des Landes anerkannt werden. Die Gestrandeten berichteten, dass sie ursprünglich nach Thailand geflüchtet waren. Dort seien sie aber von thailändischen Beamten schwer misshandelt und anschließend mit ihren Booten erneut aufs offene Meer geschleppt worden.
Schon Mitte Dezember war es zu einem ähnlichen Zwischenfall gekommen. Nachdem damals über tausend Rohingyas im Westen Thailands gestrandet waren, verfrachtete eine Spezialeinheit der Marine 400 von ihnen Tage später auf ein Militärboot, das eine klapprige Flüchtlingsbarkasse im Schlepptau hatte. Auf hoher See zwangen die Matrosen die Flüchtlingen, die an Händen gefesselt waren, wieder in ihr Boot zu steigen. Als einige von ihnen sich weigerten, wurden diese nach Berichten von Augenzeugen kurzerhand im Meer versenkt.
Zwölf Tage später fand die indische Marine einige der Flüchtlinge wieder. Ausgemergelt und dem Verdursten nahe, trieben nur noch hundert von ihnen vor einer kleinen Insel in der Andamanen-See. Wenige andere hatte sich an die Strände des Archipels retten können.
Thailands erst Mitte Dezember neugewählter Premier Abhisit Vejjajiva kündigte zwar an, die Vorfälle untersuchen zu lassen: "Wir werden die Burmesen als illegale Immigranten behandeln, aber ihre Menschenrechte dabei respektieren", sagte er. Doch das sind wohl nur Lippenbekenntnisse, denn mit der Aufklärung der Verstöße wurde ausgerechnet jene Sondereinheit beauftragt, die auch für die Vorfälle verantwortlich ist. Zudem hatte Abhisit die Angst in Thailand vor den "Illegalen" aus dem verarmten Nachbarland noch verstärkt, indem er behauptete, von drei Millionen Burmesen in Thailand seien nur 500.000 legal im Land. Den Rest wolle er deshalb "zurückschicken" lassen.
Die Farce vom "Fahrplan zur Demokratie"
Doch was die Burmesen nach Thailand treibt, ist viel mehr als nur die Suche nach Arbeit, wie Bangkoks Regierung unterstellt. Gerade die kleinen Minderheitenvölker sind in Burma oft schlimmster Verfolgung ausgesetzt und von ethnischen Säuberungen bedroht. An den Rändern von Südostasiens Vielvölkerstaat kämpfen seit Jahrzehnten zahlreiche Guerillaarmeen der kleinen Ethnien einen blutigen Krieg für die Abspaltung von dem Mehrheitsvolk der Burmesen. Darunter muss besonders die Zivilbevölkerung leiden.
Ganze Dörfer wurden ausradiertDen gut 700.000 muslimischen Rohingyas spricht die buddhistische Junta etwa das Recht ab, überhaupt in Burma leben zu dürfen. Sie sind staatenlos und als menschliches Freiwild deshalb ständigen Übergriffen durch die Militärs ausgesetzt. Viele der mehr als 230.000 Rohingyas, die in Flüchtlingslager in Bangladesch dahinvegetieren, sagen, sie würden lieber sterben, als jemals wieder nach Burma zurückzukehren.
Dabei sind die Muslime aus dem Westen Burmas bei weitem nicht die einzige Minderheit, der eine Ausrottung durch Burmas Generäle droht. Auch das überwiegend christliche Chin-Volk, dessen gut 500.000 Angehörige im unzugänglichen Nordwesten Burmas an der Grenze zu Indien leben, ist ständig von Folter und Misshandlungen bedroht. Nach einem gerade erschienenen Bericht der Menschenrechtsgruppe "Human Rights Watch" (HRW) sind allein in den vergangenen Jahren mehr als 100.000 Chin nach Indien geflüchtet.
In ihren erbärmlichen Behausungen berichteten sie HRW-Mitarbeitern, dass zu Hause ständig Soldaten der Junta in ihre Dörfer eingefallen seien und junge Männer zu Frondiensten verschleppt hätten. Sie mussten Dschungelpfade anlegen, Lebensmittel transportieren und Waffen tragen. Wer sich weigerte, wurde schwer gefoltert und ins Gefängnis geworfen. In vielen Dörfern sind die Chins heute nur noch rechtlose Sklaven der burmesischen Besatzungssoldaten.
Benno Röggla von "Helfen ohne Grenzen" glaubt, dass Burmas Generäle jetzt besonders brutal gegen jeden Widerstand vorgehen, weil sie für das kommende Jahr ihre lange verkündete Scheinwahlen anberaumt haben. Was die Generäle unter Armeediktator Than Shwe als vorläufigen Schlussakt in dem von ihm euphemistisch benannten "Fahrplan zur Demokratie" bezeichnen, wird aber nur eine Farce bleiben. Denn schon jetzt steht fest, dass die regierenden Offiziere auch nach der Abstimmung 25 Prozent der Parlamentssitze behalten werden. Auch darf Oppositionsführerin Aung San Suu-Kyi nicht an den Wahlen teilnehmen, weil sie mit einem Ausländer verheiratet war. Dennoch sind die Generäle nervös, dass Suu-Kyis Nationale Liga für Demokratie (NLD) wie schon 1990, als die letzten Wahlen in Burma stattfanden, erneut ein Erdrutschsieg gelingen könnte. Mit Waffengewalt soll dieser Tage deshalb erneut das ganze Land auf Linie gebracht werden. Besonders die rebellischen Minderheiten sind Opfer dieser brutalen Unterdrückungsmaßnahmen.
Auch gegenüber von Mae Sot, im Dschungel des burmesischen Karen-Staates, dröhnt seit Wochen Gefechtslärm. Mit einer großangelegten Offensive will die Tatmadaw, wie Burmas Armee in der Landessprache genannt wird, endgültig den Widerstand der Karen National Union (KNU) brechen.
Drei Jahrzehnte lang hatten sich die überwiegend christlichen Karen erfolgreich gegen die Ausrottungspolitik der Generäle in Rangun gewehrt. Es war ein grausamer Kampf, von dem die Welt nie viel mitbekommen hat. Doch ganze Dörfer wurden bei den Kämpfen ausradiert. Mehr als zwei Millionen Minen liegen heute in dem Kampfgebiet. Auf beiden Seiten erledigten häufig Kindersoldaten die Drecksarbeit des hässlichen Krieges. Und immer wieder setzten Burmas Soldaten Vergewaltigungen und ethnische Säuberungen als niederträchtige Waffe zur Demoralisierung ihrer Gegner ein.
Doch jetzt verfügen die Generäle von Burmas Armee über moderne Waffen aus China, Indien, Russland und der Ukraine. Es ist deshalb nur noch eine Frage von wenigen Tagen oder Wochen, bis auch die letzte Bastion der KNU gefallen ist.
Röggla von "Helfen ohne Grenzen" hat schon resigniert. "Das Volk der Karen steht am Abgrund", sagt er. Denn er weiß, dass bald wieder Zehntausende verfolgter Burmesen nach Thailand flüchten werden - dorthin, wo schon jetzt klar ist, dass sie niemand haben will.
Flüchtlinge der Rohingyas kommen nach ihrem Martyrium auf dem Meer völlig erschöpft an der Küste Indonesiens an.