Thai Wanderarbeiter in Schweden: Blutige Beeren

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KoratCat
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Thai Wanderarbeiter in Schweden: Blutige Beeren

Ungelesener Beitragvon KoratCat » Do Sep 19, 2013 8:18 am

Wanderarbeiter in Schweden

Blutige Beeren

Tausende Wanderarbeiter aus Thailand ernten zurzeit die Beeren in Schwedens Wäldern – unter erbärmlichen Bedingungen. Seit einer Woche streiken 50 von ihnen in Umeå. Sie gehen damit ein hohes Risiko ein.

Zwei Monate schon sammelt er täglich zehn bis zwölf Stunden Beeren im Wald, und zwei Monate hat er keine Krone Lohn erhalten, berichtet Windi Kawkebkam. Seine Augen sind rotgeädert, trotz der warmen Witterung trägt er Steppjacke und Skihose. Wie die anderen 50 thailändischen Pflücker wirkt er erschöpft. Sie sind aus dem Wald in die Stadt gekommen und campieren seit einer Woche in Autos auf einem leerstehenden Grundstück der Universitätsstadt Umeå im Land Västerbotten. „We want help“ steht auf einer LKW-Plane.

Die thailändischen Beerenpflücker in Schweden sind die polnischen Spargelstecher in Deutschland. Sie erledigen Arbeiten, für die sich keine einheimischen Arbeitskräfte finden. Doch das Image der schwedischen Beerenpflückerindustrie ist noch schlechter als das der deutschen Spargelwirtschaft. Regelmäßig zur Beerensaison protestieren in Schweden Pflücker, die unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften und dann um ihren Lohn geprellt werden.

Das „Jedermannsrecht“ erlaubt es allen, die Blaubeeren, Preiselbeeren und Moosbeeren, die Schwedens Wälder wie einen Teppich bedecken, zu sammeln. Das Geld liegt quasi auf dem Boden. Auch Unternehmen machen sich das Jedermannsrecht zunutze, heuern billige Arbeitskräfte an, lassen sie den Reichtum der Wälder ernten und verkaufen die Beeren an die Industrie.

Rund 150.000 Tonnen Beeren haben kommerzielle Pflückerfirmen im vergangenen Jahr geerntet. Das geht aus einem noch unveröffentlichten Bericht der Nichtregierungsorganisation Swedwatch hervor, die Brancheninformationen zusammengetragen hat. „Nur etwa 20 Prozent der Beeren bleiben in Schweden, der größte Teil wird nach Japan und andere asiatische Länder exportiert, wo sie von multinationalen Konzernen für Medizin- und Kosmetikprodukte verwendet werden“, erklärt der Autor des Berichts Mats Wingborg.

Praktische jede einzelne schwedische Beere ist von einem Wanderarbeiter gepflückt worden. In diesem Jahr hat das schwedische Migrationswerk über 6.000 Genehmigungen für ausländische Arbeiter erteilt. Sie kommen alle aus Thailand.

Windi Kawkebkam und seine Kollegen wurden von der thailändischen Firma Phoenix Enterprises angeheuert, die ihnen auch die Löhne auszahlen muss. Die Beeren gehen an eine schwedische Firma, welche wiederum das Geld für die Arbeiter an Phoenix überweist. Das sei geschehen, sagt die Besitzerin der Firma dem Västerbottens Kuriren.

Kent Engstörm, der die Interessen der Firma Phoenix Enterprises vertritt, sagte dem Handelsblatt, die Löhne seien gezahlt worden. Allerdings seien sie mit den Reisekosten der Arbeiter sowie Unterkunft und Verpflegung verrechnet worden. Das Geld sei da, versichert er. Es sei auf einem Konto deponiert. „Was wollen die Leute?“, meint er. „Sie sind seit Juli hier, der September ist gerade mal angebrochen und sie wollen für zwei Monate Lohn. Sie kamen mit falschen Erwartungen. Das ist alles ein Kommunikationsproblem.“

Für Kawkebkam und seine Kollegen ist es ein existenzielles Problem. Die Firma Phoenix hat ihre Pässe und ihre Rückflugtickets einkassiert. Kawkebkams Darstellung zufolge haben sie 85.000 Bath – umgerechnet 2.000 Euro – für die Flugtickets bereits in Thailand bezahlt und müssen täglich 180 Kronen – etwa 20 Euro – für Unterkunft, Verpflegung und Transport löhnen. Nicht gerade preiswert für ein Zimmer, in dem acht Männer auf billigen Isomatten schlafen. Das Essen sei alt und sehr schlecht, sagen sie.

Dabei ginge es ihnen noch gut: Landsleute, die weiter südlich arbeiten, seien alle zusammen in einem Schlafsaal untergebracht. „Es sind mehrere hundert. Sie haben kein warmes Wasser und keine medizinische Hilfe. Auch sie wurden nicht bezahlt“, berichtet Kawkebkam. Ein anderer Arbeiter tritt neben ihn und zeigt Fotos von Menschen, die auf dem Boden schlafen. Kawkebkam sagt, ihre Landsleute seien ebenfalls bei Phoenix Enterprises angestellt.

Anwalt Engström bestätigt, dass es ein weiteres Lager mit 300 Arbeitern gibt. Über die Zustände dort könne er nichts sagen. „Aber letztes Jahr hat es keine Klagen gegeben, alles verlief reibungslos.“
Einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn gibt es in Schweden nicht, stattdessen verhandeln Gewerkschaften und Arbeitgeber unbeeinflusst vom Staat über branchenspezifische Löhne. Die Tarifautonomie ist seit den 30er Jahren ein hohes Gut in Schweden, welches beide Seiten erst 2008 erneut verteidigten, als sie sich gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aussprachen.

Schwedens Gewerkschaften können es sich leisten selbstbewusst aufzutreten – zwei Drittel aller angestellten Arbeitnehmer sind Mitglied einer Gewerkschaft. Zwar ist der Organisationsgrad in den letzten Jahren leicht gesunken: dennoch gebe es derzeit keine Diskussionen über einen gesetzlichen Mindestlohn, sagt eine Sprecherin von Kommunal, Schwedens mitgliederstärkster Gewerkschaft dem Handelsblatt.

Die Kommunal-Gewerkschaft hat auch eine Lohnuntergrenze für die Beerenpflücker ausgehandelt. 13.000 SEK – 1.500 Euro brutto – pro Monat müssen die Unternehmen den Arbeitern bezahlen, und zwar auch dann, wenn es wenig Beeren gibt oder die Arbeiter mal krank sind. Firmen die ausländische Arbeiter anheuern wollen, müssen seit zwei Jahren bei der Migrationsbehörde nachweisen, dass sie finanziell in der Lage sind, die Löhne auch zu zahlen. Der Haken: Sobald eine Firma den Nachweis einmal erbracht hat, kontrolliert niemand mehr, ob sie sich auch daran hält.

Die schwedische Regierung hat erst jetzt, Anfang September, vorgeschlagen, auch nachträgliche Kontrollen und Sanktionen einzuführen.

Das hilft aber nur den Pflückern, die über Unternehmen angestellt werden. „Tausende kommen auf eigene Faust, pflücken Beeren und verkaufen sie an Zwischenhändler. Für diese Menschen, die meist aus Bulgarien, der Ukraine oder Moldawien stammen, ist die Situation noch unerträglicher“, berichtet Mats Wingborg von Swedwatch. Die Menschen würden in Lagern im Wald hausen, ohne sanitäre Anlagen und hätten keine einklagbaren Rechte. Die thailändischen Arbeiter würden dagegen noch gut dastehen.

Ein schwacher Trost für Kawkebkam. Die Firma Phoenix Enterprises hat gestern Abend die Saison wegen des „illegalen Streiks“ für beendet erklärt. „Sie können jetzt Ihren Rückflug buchen“, heißt es in einem Communiqué aus dem der Västerbottens Kuriren zitiert. Die lokale Gewerkschaft verhandelt noch mit Phoenix, doch Windi Kawkebkam wird wohl zu seiner Frau und den drei Kindern zurückkehren ohne eine Krone verdient zu haben. Ein anderer Arbeiter hatte, nachdem diese Nachricht verkündet wurde, versucht sich das Leben zu nehmen. Er liegt im Krankenhaus.

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WADI (†2016)
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Re: Thai Wanderarbeiter in Schweden: Blutige Beeren

Ungelesener Beitragvon WADI (†2016) » Do Sep 19, 2013 1:13 pm

KoratCat hat geschrieben:"Tausende kommen auf eigene Faust, pflücken Beeren und verkaufen sie an Zwischenhändler


sicherlich werden diese Reisenden von den lokalen Behörden als Selbständige betrachtet, die ein unternehmerisches Risiko eingehen
导师 dǎoshī Lem Pel


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