FDP sieht notwendige Übel in Thailand

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koratwerner (†2012)
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FDP sieht notwendige Übel in Thailand

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Fr Jul 01, 2011 4:06 pm

Notwendige Übel

01.07.2011 BANGKOK/BERLIN
(Eigener Bericht) - Putschdrohungen begleiten den aktuellen Wahlkampf in Thailand nach Bekanntwerden schlechter Prognosen für eine Partnerpartei der FDP. Die Democrat Party (DP), die gegenwärtig den thailändischen Ministerpräsidenten stellt, liegt in Umfragen hinter der oppositionellen Pheu Thai Party um den früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Sie gilt als Partei der traditionellen thailändischen Eliten und gelangte an die Regierung, nachdem das Militär den populären Thaksin 2006 per Putsch gestürzt und die Justiz seine Partei 2008 verboten hatten. Die DP kooperiert schon seit Jahren eng mit der Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP), die sie auch im aktuellen Wahlkampf unterstützt. Militärs drohen unverhohlen mit erneutem Putsch, sollte die DP die Wahl am Sonntag nicht gewinnen. Bei der Naumann-Stiftung war der Putsch von 2006, der einer identischen Konstellation entsprang, als "notwendiges Übel" bezeichnet worden. Zuletzt wurde die Zusammenarbeit zwischen der FDP-Stiftung und der DP vergangenes Jahr thematisiert, als der DP-Vorsitzende, Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva, Massenproteste blutig beenden ließ. Fast 100 Menschen kamen ums Leben. Die DP findet Beifall auch bei deutschen Unternehmern, deren Investitionen in Thailand letztes Jahr ungeachtet der Massenproteste deutlich zunahmen.

Ein gespaltenes Land

Hintergrund der aktuellen Putschdrohungen sind die seit Jahren zugespitzten inneren Machtkämpfe in Thailand. Im Grundsatz stehen sich dabei die traditionellen Eliten aus Königshaus, Militär, Wirtschaft und Bürokratie einerseits sowie bislang marginalisierte Milieus andererseits gegenüber. Das Establishment wird heute vor allem von der Democrat Party (DP) vertreten, der ältesten Partei des Landes, von der selbst die Friedrich-Naumann-Stiftung sagt, sie werde in der Bevölkerung "als arrogant und abgehoben angesehen".[1] Verfeindeter Gegenspieler ist Thaksin Shinawatra, ein Milliardär, der im Februar 2001 Ministerpräsident wurde. Thaksin stützte sich vor allem auf untere Gesellschaftsschichten, deren Lebenssituation er mit keynesianisch orientierter Wirtschaftspolitik deutlich verbesserte. Trotz zahlreicher heftig umstrittener Maßnahmen waren ihm Mehrheiten bei Wahlen deshalb gewöhnlich sicher. Die traditionellen Eliten billigten seine Politik nicht; da jedoch seine Ablösung auf demokratischem Wege unmöglich schien, putschte am 19. September 2006 das Militär. Thaksin lebt heute im Exil, das alte Establishment sucht seine Rückkehr nach Thailand um jeden Preis zu verhindern.

Ein entspannter Putsch

Die Friedrich-Naumann-Stiftung, die wie die FDP ihre Partner in Bangkok unter den alten Eliten hat, hielt nach dem Putsch im September 2006 zu diesen. "Wenn das ein Staatsstreich" gewesen sei, sei es jedenfalls ein "entspannter und gemütlicher" Staatsstreich gewesen, äußerte die Mitarbeiterin der Stiftung in Bangkok. "Als Politologin" müsse sie "sagen, dass ein Militärputsch undemokratisch ist". Das Land sei allerdings unter dem durch den Putsch entmachteten Ministerpräsidenten Thaksin - er hatte die letzten Wahlen klar gewonnen - "auch nicht demokratischer als jetzt" gewesen.[2] Ein Jahr später erläuterte die Mitarbeiterin dem neuen Chef des Stiftungsbereichs Internationale Politik, Harald Klein, ihr "Thailand Project". Auf einer Stellwand, die sie dazu benutzte, ist die Behauptung zu lesen, der Putsch sei ein "notwendiges Übel" (siehe Fotoausschnitt: "Coup d'état: 'necessary evil'"). Harald Klein, der zuhörte, ohne Konsequenzen zu ziehen, arbeitet heute als Abteilungsleiter im FDP-geführten Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.[3] Der Vorsitzende der DP, den er damals bei seinem Aufenthalt in Bangkok traf, ist seit 2008 - auf den Putsch von 2006 folgten höchst komplizierte Verwicklungen und das Verbot einer zwischenzeitlich erfolgreichen Thaksin-Partei - Ministerpräsident Thailands.[4]

Blut und Wünsche

Die Naumann-Stiftung führte ihre Unterstützung für die DP kontinuierlich fort - selbst als es letztes Jahr zu Massenprotesten gegen die Regierung des DP-Ministerpräsidenten Abhisit Vejjajiva kam. Nach Beginn der Proteste - die DP-Regierung hatte bereits rund ein Fünftel der Armee zum Einsatz gegen die Demonstranten abkommandiert - traf der Vorsitzende der Stiftung, Wolfgang Gerhardt, in Bangkok ein, um dort mit hochrangigen Politikern über "die innenpolitische Situation Thailands" zu diskutieren.[5] Bei der blutigen Niederschlagung der Unruhen kamen insgesamt fast 100 Menschen zu Tode, Tausende wurden verletzt. Folgen für die Kooperation der FDP-Stiftung mit der DP hatte dies nicht. Nur wenige Monate nach der brutalen Niederschlagung der Proteste führte die Stiftung gemeinsam mit einer DP-Bezirksgruppe in Bangkok eine Veranstaltung zur "Bürgerbeteiligung" durch, bei der 180 ausgewählte Bürger gegenüber DP-Politikern und Stiftungsmitarbeitern ihre "Wünsche" äußern durften. "Gewünscht wurde insbesondere eine höhere Präsenz der Politiker vor Ort", fasste die Stiftung die zusammen, "sowie die Möglichkeit, einen Gesprächstermin mit dem jeweiligen Politiker zu vereinbaren." Ein weiteres Thema sei etwa "der Ausbau des lokalen Parks" gewesen, hieß es wenige Monate nach Demonstrationen hunderttausender empörter Menschen.[6]

Der letzte Reset-Schalter

Im Rückblick schreibt die Friedrich-Naumann-Stiftung über die von ihr unterstützte DP-Regierung: "Diese Zeit war von großen Herausforderungen geprägt. Im Großen und Ganzen hat die Koalition diese meistern können, doch ob die Koalitionsparteien dafür von den Wählern belohnt werden, ist fraglich."[7] Tatsächlich deuten Umfragen inzwischen auf einen klaren Wahlsieg der von Thaksin aus dem Ausland gesteuerten Pheu Thai Party hin, als deren Spitzenkandidatin Thaksins Schwester auftritt. Am 14. Juni hat Armeechef Prayuth Chan-ocha, einer von Thaksins schärfsten Gegnern, in einem Fernsehauftritt gefordert, die Bevölkerung müsse "gute Leute" wählen.[8] "Natürlich wäre", äußert darüber der Direktor des Institute of Security and International Studies an der renommierten Chulalongkorn University in Bangkok, "der letzte Reset-Schalter gegen eine Pheu Thai-geführte Regierung ein neuer Putsch".[9] Auch die Naumann-Stiftung räumt dies offen ein: Sollte Pheu Thai am Sonntag eine Mehrheit erzielen, stehe möglicherweise ein "erneute(r) Militärputsch" bevor.[10] Zahlreiche Beobachter schätzen dies ähnlich ein.

Wirtschaftspolitisch kompetent

Unmutsbekundungen wären - dies lässt die Entwicklung nach dem Putsch von 2006 vermuten - wohl weder von der Naumann-Stiftung noch von der Bundesregierung zu erwarten. Berlin hat zwar den Putsch, anders als die Stiftung, nie offen verteidigt, doch haben Politik und Wirtschaft stets mit der DP-Regierung eng kooperiert. Im letzten Sommer - Ministerpräsident Abhisit hatte gerade die Massenproteste blutig niederschlagen lassen - erklärte der deutsche Botschafter in Bangkok, Hanns Schumacher, Abhisits DP-Regierung sei "wirtschaftspolitisch eine der kompetentesten in der Region". Ihm sei "keine einzige deutsche Firma" bekannt, "die sich aus Thailand wegen eines bevorstehenden 'Bürgerkrieges' zurückziehen will - das Gegenteil ist der Fall".[11] Tatsächlich stieg das Neuinvestitionsvolumen deutscher Firmen in Thailand letztes Jahr deutlich an - von 22,4 auf 61,5 Millionen Euro. Auch der bilaterale Handel nahm nach dem krisenbedingten Einbruch des Jahres 2009 wieder zu und erreichte den Höchststand aus der Zeit vor der Krise. Experten rechnen mit weiteren herausragenden Wachstumschancen gerade auch für deutsche Unternehmen. Voraussetzung ist, dass wirtschaftspolitische Einschnitte durch einen eventuellen Regierungswechsel in Bangkok ausbleiben.

GERMAN-FOREIGN-POLICY.COM

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