Das Ladyboy-Phänomen

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koratwerner (†2012)
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Das Ladyboy-Phänomen

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Do Jan 27, 2011 2:38 pm

Wohl in keinem anderen Land der Welt sind Transsexuelle und weiblich agierende Männer so sichtbar wie in Thailand. Wie kam es zur vergleichsweise hohen Akzeptanz der Kathoeys?

Von Dennis Klein und Micha Schulze

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Land der "Iron Ladies": Der Film erzählt die wahren Geschichte eines queeren Volleyball-Teams in Thailand


1996 trat in Thailand trat eine Volleyball-Mannschaft aus Ladyboys zur nationalen Meisterschaft an - geschminkt und mit theatralischen Gesten galten sie zunächst als lustige Abwechslung. Doch die "eisernen Ladys", wie sie bald genannt wurden, konnten auch richtig gut spielen - und gewannen die Meisterschaft.

Wohl in keinem anderen Land sind Transsexuelle oder weiblich agierende Männer so sichtbar wie in Thailand. Ob in der Millionenstadt Bangkok oder auch im kleinen Dorf im der armen Isaan-Provinz - überfeminin agierende, teils wunderschöne Männer mit leichtem Hang zum Theatralischen und knapp geschnittener Kleidung shoppen auf dem Markt, arbeiten im Frisörsalon ebenso wie als Security-Guard in der Bank oder löffeln die Suppe in der Straßenküche. Während ihr Anblick in Berlin noch fremd oder ihre Anwesenheit in der ostdeutschen Provinz noch lebensgefährlich wäre, sind sie in der thailändischen Gesellschaft scheinbar gut integriert. Aber auch hier gibt es ein Stadt-Land-Gefälle: In Bangkok, Chiang-Mai oder Pattaya scheint es einen regelrechten Wettbewerb zu geben, wer der zickigste Ladyboy ist - in kleineren Orten verhalten sie sich zurückhaltender.

Berühmt ist Thailand auch für seine Ladyboy-Shows. Das "Tiffany", Pattayas berühmtesten und ältestes Transvestiten-Kabarett, ist weit über die Grenzen des Landes bekannt. 1974 hat die Tiffanny's-Show erstmals mit ganzen drei Ladys die Besucher begeistert; inzwischen haben Millionen internationaler Besucher die Veranstaltungen im "Palast der Dekadenz und Eleganz" besucht. In dem Kabarett wird auch jährlich der "Miss International Queen"-Contest ausgetragen.

Im Gegenzug lockt Thailand jährlich Hunderte Transsexuelle aus aller Welt an, die ihren Urlaub für eine Geschlechtsanpassung nutzen. Die plastischen Chirurgen des Landes gelten als ausgewiesene Experten auf diesem Gebiet, zudem kostet eine Operation in Thailand mit rund 6.000 Euro nur ein Bruchteil dessen, was man in Europa oder Amerika dafür hinblättern müsste. Preecha Tiewtranon, Thailands bekanntester Facharzt für plastische Chirurgie, hat selbst bereits über 3.000 Geschlechtsanpassungen vorgenommen. Rund 90 Prozent seiner Patienten kommen aus dem Ausland.

Die Geschlechtergrenzen in Thailand sind fließend

Die Geschlechtergrenzen sind im ehemaligen Siam viel fließender als im Westen. Die Ladyboys oder Kathoeys, wie sie in Thailand auch genannt werden, passen so gar nicht in das gewohnte Schema von Trans-, Homo-, Bi- und Heterosexualität. Als Kathoeys bezeichnen sich heute sowohl Mann-zu-Frau-Transsexuelle als auch weiblich agierende Schwule.

Thailands Kathoeys kennen kein Coming-out: Auch der Thailand-Tourist kann im Straßenalltag beobachten, dass sich Jungs bereits lange vor der Pubertät eher weiblich verhalten - und das dann auch ausleben, während sich deutsche Transsexuelle eher verstecken und nicht zugeben wollen, dass sie anders empfinden als der Mainstream.

Leicht ist der Ladyboy-Alltag in Thailand nicht immer, wie ein Beispiel aus der Provinz Chiang Mai (600 Kilometer nördlich von Bangkok) zeigt: Nach Problemen sowohl in den Mädchen- als auch in den Jungstoilette hat eine Techniker-Berufsschule ein eigenes Kathoey-Klo eingerichtet. Die "rosa Lotosblume" getaufte Toilette darf nur von den 15 transsexuellen Schülern benutzt werden - für die anderen 1.500 Schüler ist der Raum tabu. Der Rektor hat die Änderung veranlasst, nachdem es immer wieder zu Zwischenfällen kam: "Die Transsexuellen haben zunächst die Damentoilette benutzt, aber die Mädchen waren genervt und haben Unfug mit ihnen getrieben", so Posaporn Promprakai, "die Jungs haben sie dann geneckt und verjagt. Dann kamen sie mit Tränen in den Augen zu mir gerannt." Mit dieser Entscheidung will er die Transsexuellen allerdings nicht politisch aufwerten: "Wir unterstützen nicht ihre Entscheidung, so zu sein, wie sie sind. Ich habe nur gesehen, dass es eine Gruppe gibt, die unglücklich an der Schule ist. Jetzt geht's ihnen aber viel besser."

Kathoeys schon in Schriftstücken aus dem 13. Jahrhundert

Die Grund für die relative Akzeptanz von Tunten liegt in der Geschichte Thailands, die nicht von christlichen Dogmen bestimmt wurde wie hierzulande. Der australische Universitätsprofessor Peter A. Jackson - wohl der wissenschaftliche Experte in der Kathoey-Forschung - sieht die kann die historische Entwicklung Jahrhunderte zurückverfolgen. Er schreibt, dass sogar vor dem Siegeszug des Buddhismus im 13. Jahrhundert Ladyboys existiert haben. Allerdings gibt es nur wenige Quellen, da nicht viele Schriftstücke aus dieser Zeit erhalten sind. Er geht davon aus, dass es keine Schwulen nach modernem Verständnis gab. Es existierten zwar durchaus Männer, die miteinander schliefen - allerdings verhielt sich dann immer ein Part weiblich, ein anderer männlich.

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Als Ladyboy geboren: Strafe für eine Sünde im früheren Leben?


Dieses geschlechtsgebundene Konzept der Sexualität wird daraufhin in der thailändischen Version des Buddhismus fortgeführt. Für Männer gab es nur zwei Geschlechtskategorien: "Phu-chai", bedeutet schlicht Mann und bezeichnet jeden "echten Mann", der sich männlich verhält und mit Frauen schläft. Die andere ist Kathoey - damit ist jeder gemeint, der sich nicht an diese Konvention hält. Anders als im Christentum kamen diese Männer in Thailand nicht auf den Scheiterhaufen; es existieren Berichte, in denen selbst von Mönchen die Rede ist, die die Geschlechtsnormen beugen.

In den vergangenen Jahrzehnten hat der Einfluss des Westens diese strikte Unterscheidung aufgelöst. Neue Identitäten kamen hinzu, allen voran der als "gay" bezeichnete moderne schwule Mann. Zudem hielt das Wort "bai" Einzug (von bisexuell) - meist werden dort männlich agierende Schwule ohnehin für bisexuell gehalten, da angenommen wird, dass sie sowohl bei Frauen als auch bei Männern den aktiven Part übernehmen. Für sie gibt es sogar einen Namen: Seua-Bai (wörtlich: Bi-Tiger). Auch beim neuen Wort "Gay" ist die Unterscheidung zwischen aktiv und passiv wichtig: Als "Gay-Queen" wird der passive schwule Sexpartner bezeichnet, der sich zudem eher weiblich verhält. Sein Gegenstück ist der "Gay-King".

Ein Ladyboy boxt sich nach oben

Kathoeys müssen sich in Thailand nicht verstecken. Sie sind zwar nach wie vor oft in typischen "Tunten-Berufen" anzutreffen - aber sie können auch in Macho-Domänen vordringen, was in Deutschland derzeit undenkbar ist. Besonders faszinierend ist die Geschichte des Ladyboy-Boxers Nong Tum, der stets vorbildlich geschminkt im Ring erschien. Ein Henry Maske oder Dariusz Michalczewski wären wohl kaum gegen einen transsexuellen Boxer angetreten. In den neunziger Jahren heimste Nong Tum allerdings einen Preis nach dem anderen ein. Das Land lag ihm zu Füßen. "Mein Körper ist der eines Kämpfers, aber in meinem Herzen bin ich eine Frau", sagte er einmal in einem Interview. "Manchmal, wenn meine Gegner gut aussehen, fällt es mir schwer, sie niederzuschlagen".

Seine Geschichte, die auch im preisgekrönten Film "Beautiful Boxer" nacherzählt wird, ist durchaus typisch für Kathoeys: Schon als Kind in der thailändischen Provinz experimentiert Nong Tum mit Lippenstift und wünscht sich nichts sehnlicher als lange Haare zu haben. Während die Mutter noch Verständnis für die Gefühle ihres Sohnes aufbringt, tobt der konservative Vater und steckt ihn zur "Heilung" ins Kloster. Doch auch das hilft nichts. Die zufällige Begegnung mit einem Kick-Box-Trainer weckt in dem verwirrten Jungen dann verborgene Talente: Er hasst zwar Gewalt, steigt aber dennoch in den Ring - und siegt und siegt und siegt. Bald trägt er auch im Ring Schminke und verwirrt so seine Gegner. Das Ergebnis: 18 Knockouts in 22 Kämpfen. Mit dem Preisgeld unterstützt er seine armen Eltern - und legt sich etwas für eine Geschlechtsanpassung zur Seite. 1999 dann wird aus dem Boxer eine Frau. Nach langer Pause steigt sie Anfang 2006 im thailändischen Pattaya wieder in den Ring - und besiegt einen Japaner.

Neben erfolgreichen Sportlern sind in den thailändischen Medien Kathoeys nahezu allgegenwärtig. So gehören sie in Seifenopern oder Filmen stets dazu - mehr noch als hierzulande der Alibi-Schwule. Allerdings werden sie auch steroptyp überzeichnet. Kreischend und rastlos huschen sie über den Bildschirm. Alternativ stellen sie auch den Schurken dar, wie zuletzt im erfolgreichen Kinostreifen "Tom Yam Goong" ("Die Rache des Kriegers"). Dort herrscht die kalte und herzlose "Madame Rose" über die Unterwelt von Sydney.

Filme wie "The Adventures of Iron Pussy" sind die Ausnahme: In dem trashigen Agenten-Parodie-Musical von Apichatpong Weerasethakul ist die Tunte die unangefochtene Heldin, der alle Sympathien zu fallen. Im wahren Leben ein unauffälliger schwuler Kassierer in einem der unzähligen 7-Eleven-Shops in Bangkok, läuft Iron Pussy als Spitzenagentin im Dienst seiner Majestät zur Hochform auf. In Stöckeln, mit Perücke, Kleid und Make-Up kämpft sie gegen das Böse und für Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. Ihre geschlechtliche Identität ist im Film kein Thema: Sie wird von allen Männern begehrt und von allen Frauen beneidet. Und nur eine einzige konservative Dame vom Geheimdienst nimmt es ihr übel, dass sie früher als Gogo-Boy gearbeitet hat.

Kaum körperliche, aber verbale Gewalt

Die Realität sieht freilich oft anders aus: Im kastenartigen Sozialgefüge Thailands nehmen die Kathoeys nach wie vor einen Platz ganz unten ein. Von außen gesehen, scheinen sie voll integriert zu sein. Übergriffe sind in Thailand weitgehend unbekannt. Aber es gibt Wege, Kathoeys das Leben zur Hölle zu machen: So wird über Ladyboys oft getratscht. Oder sie verlieren viel leichter ihren Job als andere. Besonders schlimm kann es in der eigenen Familie zugehen, die dort oft nach außen so abgeschirmt ist, dass weder Freunde noch die Polizei den Umfang der Misshandlungen erfahren - die von Vergewaltigungen bis hin zum Mord reichen können. Auch kleine Kinder rufen femininen Männern auf der Straße bereits "Kathoey Kathoey" hinterher.

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Transsexuelle Geheimagentin: Der Film "Iron Pussy" ist in Thailand Kult


Unterstützt wird diese Ablehnung vom Glauben mancher buddhistischer Geistlicher. Sie argumentieren, dass Kathoeys geboren werden, weil sie in einem vorherigen Leben eine schlimme Sünde begangen haben, die Schuld an dieser Wiedergeburt im falschen Körper. Dabei könnte es sich um Prostitution, Ehebruch oder auch Kindesmissbrauch handeln. Aber auch nach dieser Auslegung ist weder Homo- noch Transsexualität eine Sünde an sich. Damit wird lediglich eine Art "karmische Schuld" zurückgezahlt. Darum müssten Kathoeys eher bemitleidet werden als gehasst. Doch für viele Väter sieht die Sache anders aus, wenn ihr Sohn plötzlich mit Lippenstift experimentiert: Sie wollen - wie auch im Westen - lieben einen Sohn, der die Geschlechtergrenzen nicht durchbricht.

Seit den achtziger Jahren hat die Aids-Problematik das Klima für Katheoys verschärft. Kommentatoren und konservative Politiker argumentierten, dass homosexueller Verkehr ein Zeichen von mangelnder Selbstkontrolle ist. Außerdem stieg durch die wachsende Beliebtheit Thailands auch der Anteil von Ladyboys, die sich prostituierten - in einem Land, in dem Zurückhaltung als größte Tugend gilt, ist das aggressive Suchen von Ladyboys nach Freiern ein großes Problem. So wurde es für Katheoys gleichzeitig schwerer, einen regulären Job zu finden und einfacher, auf den Strich zu gehen, was in Thailand offiziell illegal ist. Auch Ladyboy-Gangs, die gezielt Touristen mit Hilfe von K.O.Tropfen ausrauben, haben am Image der Kathoeys gekratzt. Viele Reiseführer warnen pauschal vor jedem Kontakt mit dem dritten Geschlecht.

Diskriminierungsverbot aufgrund "anderer sexueller Identitäten" in der Verfassung

Auf der anderen Seite konnten im Kampf um Gleichberechtigung und Emanzipation einige Fortschritte erzielt werden. So hat die thailändische Regierung erst 2005 den Bann von Schwulen und Ladyboys im Militär aufgehoben. Auch Transsexuelle sind nun zum Wehrdienst in der Royal Thai Army zugelassen. In Thailand gilt eine allgemeine Wehrpflicht, durch Zufall ausgewählte Männer im Alter von 20 Jahren müssen für zwei Jahre dienen. Schwule und Kathoeys waren sowohl von der Pflicht- als auch der Berufsarmee bisher ausgeschlossen - durch Ärzte, die ihnen eine "Geisteskrankheit" diagnostizierten. Man reagiere mit der Entscheidung auf gesellschaftliche Entwicklungen, erklärten die Militärs lapidar. Größter politischer Erfolg ist das Diskriminierungsverbot aufgrund "anderer sexueller Identitäten" in der neuen thailändischen Verfassung von 2007.

Auch die große thailändische Optiker-Kette Top Charoen Optical hatte sich nach Medienveröffentlichungen und Protestaktionen bei den Ladyboys des Landes für einen diskriminierenden TV-Werbespot entschuldigen müssen. In dem Fernseh-Spot wurde eine Tunte zusammengeschlagen, weil sie einen Mann auf einer öffentlichen Toilette angesprochen hat. Der Ladyboy fragte erst nach der Zeit, bot aber nach der mürrischen Antwort des Mannes, dass er keine Uhr dabei habe, eine Armbanduhr zum Kauf an. Aus dem Off ertönte anschließend der Hinweis: "Wer jetzt eine Brille bei Top Charoen bestellt, bekommt eine Uhr gratis."

Immer mehr junge Thais verstehen sich als "gay"

Es ist schwer vorauszusehen, wie sich die Thailands Kathoey-Community in den nächsten Jahren weiter entwickelt wird. Im Westen hat der Einfluss der Travestie innerhalb der schwulen Community die letzten Jahrzehnte abgenommen. Mit dem Konzept der Homo-Ehe drängt die ehemals verabscheute Gruppe in die Mitte der Gesellschaft. Bleibt abzuwarten, ob junge Thailänder sich eher als "Gay" identifizieren und einen gleichgestellten Partner suchen - oder doch die Identität als Kathoey bewahren, die den Unterschied der Geschlechter betont. Bislang sind die Ladyboy-Shows aus Bangkoks Gay-Discos kaum wegzudenken. Und mit "Kathoey Hua Pook" (Skinhead-Ladyboy) gibt es im Szene-Slang bereits einen Begriff für Schwule, die sich männlich geben.

Dank des prominenten Volkslied-Sängers Pooyfaay hat Thailand auch eine eigene kleine Ladyboy-Emanzipationshymne. In seinem Song "Kathoey" hat es Gruppe von Tunten satt, ständig diskriminiert zu werden, sie betont die schönen Seiten des Andersseins und fordert gesellschaftliche Akzeptanz. Natürlich mit der typisch thailändischen Gelassenheit: Wenn ein ignoranter Mottoradtaxi-Fahrer mal wieder keinen Ladyboy als Fahrgast akzeptiert, wartet man halt auf das nächste Tuktuk, das vom einen anderen Kathoeys gesteuert wird. Denn, so der Tenor des Songs: "Wir sind überall!"

Aus Hamburger Tuntenball
Es ist nicht schwer zu wissen wie man etwas macht,
aber es ist schwer es auch zu tun!

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