Majestätsbeleidigung
Zwei Jahre für jedes Bild
Von Jochen Buchsteiner
Er verließ den Gerichtssaal in Ketten, und doch kam Oliver Jufer für thailändische Verhältnisse glimpflich davon. Mit zehn Jahren Haft blieben die Richter 65 Jahre unter dem Strafmaß, das für seinen Fall von Majestätsbeleidigung möglich gewesen wäre. Der verurteilte Schweizer hatte vor knapp vier Monaten in Chiang Mai Plakate besprüht, die den regierenden König Bhumibol abbildeten - Videoüberwachungskameras zeichneten das Delikt auf. Weil insgesamt fünf Bilder Spuren seiner Farbdose aufwiesen, wurde Jufer in fünf Fällen schuldig gesprochen: für jedes Bild zwei Jahre.
Jufer, der schon viele Jahre in Thailand lebt, hätte wissen können, dass Schabernack mit dem Monarchen in dem Königreich nicht als Kavaliersdelikt durchgeht. Auch wenn öffentlich kaum über die drakonischen Strafen gesprochen wird, so ist das Wissen darüber doch verbreitet. Kaum einen Thailänder gibt es, der nicht die Stimme senkt, wenn er über Bhumibol Adulyadej - Rama IX. - spricht. Meist drückt dies echt empfundene Ehrfurcht aus, und doch schwingt immer auch ein Stück Respekt vor Macht und Gesetz mit.
Der König ist omnipräsent
König Bhumibols Aura der Macht löst bei Thailändern Ehrfurcht aus
Unterstützt wird die gottähnliche Stellung des Königs von staatlichen Maßnahmen. Die überlebensgroßen Bilder des Königs, oft an der Seite seiner Frau, gehören allerorten zum Stadtbild. Kaum ein öffentliches Ereignis darf beginnen, ohne dass dem König gehuldigt wird. In den Kinos ist der Monarchen-Trailer ebenso Pflicht wie an Bord der Thai Airways. Besonders zelebriert wurde der Kult um Bhumibol im vergangenen Juni, als er den 60. Jahrestag seiner Thronbesteigung feiern ließ. Wochenlang versank Thailand in Gelb, der Farbe des Königshauses.
Nicht nur Thailänder, auch Gäste sind gut beraten, sich den Gepflogenheiten nicht zu widersetzen. Ausländischen Journalisten wird schon bei der Akkreditierung bedeutet, dass jede Form von Königskritik mit dem Entzug der Arbeitserlaubnis bestraft werden kann. Wie weit der Arm des thailändischen Gesetzes reichen kann, erlebte vor gut zwölf Jahren der französische Geschäftsmann Lech Kisielwicz. Auf einem Flug in der ersten Klasse der Thai Airways, der von Paris über Bangkok nach Tokio gehen sollte, hatte er sich mit einer Mitreisenden angelegt: Prinzessin Somsawali, der Frau des thailändischen Kronprinzen Maha Vajiralongkorn. Nicht mehr als böse Worte sollen gefallen sein - aber sie genügten, um Kisielwicz beim Umsteigen festnehmen zu lassen.
Kurioser Kompromiss
Der Fall Kisielwicz zeigte die ganzen Verkrampfungen, die der Paragraph hervorrufen kann. Thai Airways, aber wohl auch die Regierung, hätten die Affäre wohl am liebsten stillschweigend beendet. Aber das Gesetz, das nicht nur die Majestätsbeleidigung unter Strafe stellt, sondern auch deren Verschweigen durch Dritte, verpflichtete die thailändische Justiz zum Handeln. Am Ende fand man einen kuriosen Kompromiss: Nach einigen Wochen Haft bekannte sich Kisielwicz plötzlich als „schuldig“ - und wurde daraufhin aus „Mangel an Beweisen“ freigesprochen.
Aufgeschrieben wurde die Geschichte neben anderen von einem Journalisten namens Paul Handley, der zur Zeit eigene Erfahrungen sammelt. Seine im vergangenen Sommer in Amerika veröffentlichte Biographie „The king never smiles“ - recherchiert während eines dreizehnjährigen Aufenthalts im Königreich - durfte in Thailand nicht erscheinen. Der publizistischen Wirkung tat dies keinen Abruch. Über kaum eine Schrift wurde in Bangkok mehr geredet als eben über diese verbotene Biographie, die den Verdacht erhärtet, dass die strafbewehrte Unantastbarkeit des Königs nicht nur dessen Würde schützt, sondern auch dessen Macht.
Jufer könnte heimliche Gnade erfahren
Im Angesicht der Haftstrafe: Noch ist für Jufer nicht alles verloren
Oliver Jufer schien nichts Politisches im Sinn gehabt zu haben, als er - angetrunken - die Königsbilder verunzierte. Ob der 57 Jahre alte Delinquent tatsächlich die nächsten zehn Jahre hinter thailändischen Gittern verbringen muss, scheint noch nicht ausgemacht. Die Umstände seines Verfahrens deuten an, dass er ähnlich wie Lech Kisielwicz eine heimliche „Gnade“ erfahren könnte. Die Richter setzten das Strafmaß erst herab, nachdem er sich „schuldig bekannt“ hatte. Beobachter schließen nicht aus, dass Jufer nun in einem nächsten - stillen - Schritt an die Schweiz ausgeliefert werden könnte.
F. A. Z. v. 31. Maerz 2007
Es ist sicher zweckmäßiger, einem solchen Häftling "heimliche Gnade" zu erweisen, als ihn zehn Jahre lang vor dem Zorn der Mithäftlinge zu schützen.