Betelnussparty

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koratwerner (†2012)
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Betelnussparty

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Mi Apr 11, 2007 8:57 am

Betelnussparty

Jay Memm ist so um die sechzig Jahre alt und eine sehr gläubige Frau. Kein Wunder, dass sie in meiner Frau eine Freundin gefunden hat, die mit ihr die gleichen religiösen Interessen teilt. Ansonsten sind die Bewohner unserer Siedlung nicht sehr Kontaktfreudig und was die Verehrung der Hausgeister anbetrifft, auch nicht sehr aktiv. Zu Anfang der Bekanntschaft erscheint Jay Memm jede Woche am so genannten Buddhatag schon gegen sieben Uhr in der Frühe mit ihrem Fahrrad bei uns und bringt Blumen für Buddha, 36 Betelnussbissen und 36 zerkleinerte Limonenstückchen mit gelbem Fruchtfleisch, die entfernt dem Segment einer kleinen Mandarine ähneln. Allerdings noch mit grüner Außenschale. Dann Staubt sie einige von meiner Frau bereits gekochte Eier und Obst ab und verschwindet wieder, um damit jetzt erst einmal ihre Hausgeister zu versorgen.

Meine Frau packt dann alles die von ihr und Jay vorbereiteten Opfergaben auf vier Teller, entwendet mir 36 Zigaretten, füllt einige Gläser voll Wasser, stellt kleine gelbe Kerzen und 36 Räucherstäbchen bereit und strahlt zufrieden vor sich hin. Nach etwa einer halben Stunde erscheint Jay Memm wieder und beide Frauen verschwinden mit ihren Fahrrädern in Richtung des großen Geisterhäuschens, dessen Bewohner für die ganze Siedlung zu sorgen hat. Der hier wohnende Geist erhält ein Viertel der vorbereiteten Opfergaben. Jay Memm fährt dann wieder zur ihrer Wohnung und meine Frau verteilt die anderen drei Viertel der Opfergaben draußen vor den Geisterhäuschen des Erd- und Luftgeistes, zündet die Kerzen und die Räucherstäbchen an und versinkt in Andacht, wobei sie manchmal leise monotone Gebete oder Beschwörungen murmelt.

Etwas später kommt ihr Ganesha im Hause auch zu seinem Recht. Meine Frau wirft sich dazu in einen weißen Anzug und murmelt vor ihrem Hausgott kniend etwa 20 Minuten lang Gebete und Beschwörungen. Sie erzählt ihm von ihren Nöten und Sorgen und bittet auch ihn um seinen Rat und Hilfe.

Gegen Mittag erscheint Jay Memm wieder mit ihrem Fahrrad und packt all die essbaren Opfergaben ein, um sie ihren Küchenvorrat zuzufügen. Die Betelnussbissen aber und die kleinen Fruchtstückchen wandern in eine kleine Handtasche, ohne die Memm nie zu sehen ist. Nur die abgebrannten Räucherstäbchen, die Kerzen, die Blumen und die Wassergläser bleiben vor den Göttern stehen, um später mal abgeräumt zu werden.

Ich nenne das Betelnussparty, weil die 9 Betelnussbissen für jedes Geisterhöuschen und den Hausgott meiner Frau nie fehlen dürfen. Betelnuss, mit dem lateinischen Namen Areca catechu hat in Südostasien eine lange Tradition. Bevor die Europäer den das Trinken von Alkohol einführten, war das Kauen von Betelnuss in Südostasien schon sehr weit verbreitet.

Heute sind es fast überwiegend ältere Menschen, die dieser Tradition huldi-gen. Einige Stoffe der Betelnuss sind psychoaktive Substanzen und dienen zur geistigen Konzentration, verhindern das Hungergefühl, wirken harntreibend und abführend, sind anregend bis euphorisierend, mild be-rauschend, stimulierend und sollen ein kräftiges Aphrodisiakum sein. In der Volksmedizin dient die Betelnuss zur Behandlung von Bandwürmern und anderer Darmparasiten und wird bei Ruhr und Malaria empfohlen.

Jay Memm kaut den ganzen Tag über Betelnussbissen und dürfte deshalb keine der genannten Beschwerden bekommen. Allerdings hat sie manchmal ein kleines Problem sich des sich bildenden roten Speichels zu entledigen. Doch sie hat Übung und nur der Wissende bemerkt, wenn Jay Memm so eben im Vorbeigehen den ersten Speichel, der sich beim Kauen eines neuen Bissens bildet und kaum genießbar ist, in einem Busch oder einer Mülltonne verschwinden lässt.

Fast jeden Tag bereitet sich Jay Memm einen Vorrat Betelnussbisse zu und verstaut diesen in ihrer kleinen Handtasche, in der sie aber auch in einer Dose vorbereitete Betelnussmasse und frische Blätter aufbewahrt.

In ihrer Wohnung verwahrt sie, in Bananenbaumblätter eingewickelt, einen ansehnlichen Klumpen dieser Betelnuss - Masse. Er besteht aus gemahlenen Nüssen, die mit etwas Löschkalk vermischt werden. Dieser Masse kann man auch Limonenstücke und Gewürze hinzugeben. Von diesem steifen Brei wird mit einem Messer eine Hälfte eines Blattes dünn bestrichen und fest zusammengerollt, so dass es fast einer Zigarette ähnelt. Der Bissen wird beim Konsum in die Backe geschoben und zerkaut, worauf hin der Brei unter die Zunge geschoben wird, wo dann die Wirkstoffe über die Mundschleimhäute aufgenommen werden.

Jay Memm ist ein Profi bei der Zubereitung und dem Verzehr von Betelnuss. Da sie jeden Tag die Bissen kaut, verströmt sie fast immer eine gute Laune. Hin und wieder habe ich hier in Thailand alte Frauen gesehen, die sozusagen sogar voll gekifft waren und denen die sich beim Kauen bildende rote Brühe aus den Mundwinkeln lief. Jay Memm dagegen hat sich im Griff und nur wer sie näher kennt und gut beobachtet, weiß, dass sie wie viele andere Menschen in Südostasien auch, diesem leicht berauschenden und stimulierenden Laster frönt. Täglich soll man allerdings nicht mehr als vier Gramm von der Betelnusspaste verzehren, denn acht Gramm können bereits tödlich sein. Ja, und die Geister und Götter frönen auch diesem Tun. Sie sind aber klug und schauen das Zeugs nur an, deshalb kann Jay Memm mittags alles wieder abräumen und dem eigenen Bedarf zuführen.

Vor und neben dem jetzt von mir gemieteten Haus stehen auch einige Betelnusspalmen. Ich werde die herabfallenden Samenkapseln mal sammeln und bei Gelegenheit Jay Memm geben, vielleicht kann sie was damit anfangen.

Rotsch444 (?2007)
Korat-Isaan-Forum-Gast

Rote Zähne

Ungelesener Beitragvon Rotsch444 (?2007) » Mi Apr 11, 2007 1:41 pm

@koratwerner - Danke für diese ausführliche Beschreibung. Macht Spass beim lesen.

Du hast allerdings vergessen zu erwähnen dass das Kauen dieser Masse zu, für unsere Begriffe, unansehnlichen dunkelroten bis schwarzen Zähnen führt und ein Lächeln, wenn überhaupt gewagt, nicht wirklich zum zurücklächeln annimiert. :P

Gruss
Rotsch

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koratwerner (†2012)
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Re: Rote Zähne

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Mi Apr 11, 2007 8:56 pm

Rotsch444 hat geschrieben:@koratwerner - Danke für diese ausführliche Beschreibung. Macht Spass beim lesen.

Du hast allerdings vergessen zu erwähnen dass das Kauen dieser Masse zu, für unsere Begriffe, unansehnlichen dunkelroten bis schwarzen Zähnen führt und ein Lächeln, wenn überhaupt gewagt, nicht wirklich zum zurücklächeln annimiert. :P

Gruss
Rotsch


Hallo Rotsch!

Du hast vollkomen recht. Das mit den Zähnen ist mir tatsächlich von der Tastatur gerutscht. Jeder der das Zeugs mal probieren will, weil er vielleicht einige Kilo zuviel drauf hat und mit Hilfe von Betelnuss den Hunger stillen will, läßt jetzt sicher die Zähne davon. Leider kann er aber auch keinen Erfahrungsbericht schreiben.

Werner


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