Warum wollt ihr immer nur billig?
Verfasst: So Apr 15, 2007 11:29 am
Schnäppchenland Deutschland
Warum wollt ihr immer nur billig?
Als ich 2003 nach Berlin zog, wusste ich eigentlich gar nichts über Deutschland; das große Plus war für mich einfach, dass es in Europa lag. Und Europa bedeutet für uns nun mal etwas, was wir als „Old World“ bezeichnen: mehrstündige, genüssliche Mittagessen, roher Schinken auf ofenfrischen Baguettes, Austern, Schnecken, und so weiter.
Vielleicht haben wir „Old World“ auch immer einfach mit „mediterran“ verwechselt. Ich freute mich trotzdem auf das exotische und vor allem rohe Essen, das ich hier vermutete. Zumindest hatte ich die Vorstellung, dass die deutschen Bauern noch im frühmorgendlichen Nebel in liebevoller Handarbeit ihre Karotten, Kartoffeln und Schnecken vom Feld holen würden.
Meine erste Begegnung mit dem Aldi-Phänomen
Ich zog also nach Berlin. Von Produkten, die durch Bauernhände gegangen sein könnten, war hier keine Spur, jedenfalls nicht in dem ersten Laden, den ich betrat, einen „ Kaisers“. Kilometerlange Wurstreihen, „pink in plastic“, wie der Londoner Star-Koch Fergus Henderson das eingeschweißte Fleisch nennt. Obwohl das Obst und Gemüse zwar besser schmeckte und besser aussah als in New York, musste ich bald bekümmert feststellen, dass Deutschland, vor allem Berlin, nicht Italien ist. Dies mag anderen offensichtlich erscheinen, für einen Amerikaner ist es eine bittere Lektion.
Doch dann fiel mir noch etwas anderes auf: In den Händen meiner neuen Mitbürger sah ich immer häufiger blau-und-weiss gestreifte Tüten - meine erste Begegnung mit dem Aldi-Phänomen. Aldi fing an, sich in meinem Gehirn völlig auszubreiten, so wie es das auf dem deutschen Lebensmittelmarkt getan hatte. Bald sah ich überall nur noch Aldi-Tüten, ganz zu schweigen von den Menschenmassen, die mittwochs vor unserem Aldi Schlange standen, um sich auf den neuesten Billig-Computer zu stürzen.Im Laden selbst verwirrte mich das Ambiente zutiefst: warum sieht eine erfolgreiche deutsche Handelskette des Westens aus wie der Ostblock vor 1989? Und das ohne jegliche Ironie?
Ist „Kaisers“ etwa schon Lebensmittel-Luxus?
Dass reguläre Supermärkte wie „Kaisers“ vielen hier schon wie Lebensmittel-Luxus vorkommen, war der zweite Schock für mich. Und damit meine ich nicht arme Menschen, sondern wirklich den Durchschnitt, also Hipster genauso wie Bürokauffrauen. Zwar gibt es diejenigen, bei denen unter Bio-Äpfeln gar nichts läuft, doch mindestens genauso viele beschwören immer wieder die gute Aldi-Qualität und finden die Vorstellung, mehr zu zahlen, lachhaft.
Was das für die Gesamtgesellschaft bedeutet, wurde mir klar, als ich las, dass die reichsten Deutschen nicht die Hohenzollerns oder Thurn und Taxis sind, sondern die Brüder Albrecht, die sich mit 32 Milliarden Euro in der gleichen Kategorie bewegen wie Bill Gates oder die Erben von Sam Walton, der Wal-Mart gründete. Kann es sein, dass, Globalisierung hin oder her, die Tatsache, wer in einem Land das meiste Geld hat, doch etwas über die Gesellschaft aussagt - nämlich was sie am meisten schätzt und belohnt?
Deutsche den Amerikanern nicht gerade unähnlich
In Frankreich ist das Bernard Arnault, der mit seinem Luxusimperium Louis Vuitton Moét Hennessy (LVMH) ein Vermögen von etwa 17 Milliarden Euro angehäuft hat; gefolgt von François Pinault, zu dessen Firmengruppe PPR (Pinault-Printemps-Redoute) Gucci, Yves Saint Laurent, Bottega Veneta ebenso gehören wie der Discounter Conforama oder das Weingut Château Latour in Pauillac bei Bordeaux, eines der zehn besten Weingüter der Welt.
Es scheint, als wären dagegen die Deutschen mit ihrer Vorliebe für Aldi und andere Billigwaren uns Amerikanern nicht gerade unähnlich. Doch es gibt einen feinen, aber entscheidenden Unterschied: In Amerika kaufen nur Arme bei Wal-Mart ein; wer es sich leisten kann, geht woanders hin. Deutsche Discounter hingegen kontrollieren vierzig Prozent des Lebensmittelmarktes. Wer zu Aldi und Lidl geht, sieht dort nicht nur die berüchtigte Unterschicht, sondern auch wohlhabende Bildungsbürger, die ihre Einkaufswagen mit namenlosen Produkten vollstopfen.
Schon bei der Ankunft den Atem verschlagen
Das Amerika, das ich vor drei Jahren verließ, befand sich in einem Qualitätsrausch. Vor allem die urbane Mittelschicht kauft immer teurere und exquisitere Waren, auch Lebensmittel. Ein Land, dass bis vor kurzem noch nie von Aceto Balsamico gehört hatte, war plötzlich besessen von in altmodischer Handarbeit gefertigten Lebensmitteln, die aus der ganzen Welt eingeflogen werden. Die belgische Biermarke Stella Artois startete in den Vereinigten Staaten sogar eine Werbe-Kampagne mit dem Slogan: „Beruhigend teuer“.
Deshalb verschlug es mir bei meiner Ankunft hier den Atem, als ich aus einer Welt, in der fünf Dollar für einen Bio-Salatkopf verlangt werden, in eine Welt trat, in der eine Dose Thunfisch für 49 Cent zu haben ist. Nur scheint es in Deutschland niemand zu merken, wie beängstigend billig Lebensmittel hier im Vergleich zu anderen Industrieländern sind.
„Sie hätten es niemals öffentlich zugegeben“
„Geiz ist geil“ ist ein Phänomen, dem ich bisher nur in Deutschland begegnet bin. Billig scheint die nationale Obsession zu sein. Es ist fast unheimlich, wie oft Aldi oder die so genannten Schnäppchen in Gesprächen auftauchen, auch unter jungen, gebildeten Menschen.Selbst der arroganteste Adelige singt ein Loblied auf den Aldi-Champagner. Professor Frank Trentmann, ein in London lebender Historiker und Direktor des Konsumforschungsprogramms an der Uni Warwick, erklärte mir, das Phänomen des Schnäppchen-Jägers gebe es erst seit etwa zehn Jahren.
Als er in den sechziger Jahren noch in Hamburg gelebt habe, sei die gehobene Mittelschicht zwar manchmal zu Aldi gegangen, aber nur, um ein bestimmtes Produkt zu kaufen, und „sie hätten es niemals öffentlich zugegeben“. Obwohl in ganz Europa Lebensmittelpreise in den letzten Jahrzehnten gefallen sind, hat dies in Deutschland zu einem anderen Verhalten geführt als anderswo.
Fahren Sie in den mittleren Westen Amerikas!
Im Nachbarland Frankreich hat Bernard Arnault sein Geld damit verdient, dass er einen Markt bedient, in dem ausschließlich Qualität zählt, oder zumindest der Anschein davon. Es ist natürlich viel verlangt, wenn man die Deutschen dazu auffordert, ihr Konsumverhalten zu ändern, zumindest, was Lebensmittel betrifft. Die ganze Diskussion ist dabei interessanterweise beim Thema Autos überflüssig, und wenn Deutsche das Fleisch, dass sie essen, so sorgfältig aussuchen würden wie ihren Wagen, gäbe es die ganzen Probleme nicht.
Wenn Sie wissen wollen, was passiert, wenn nur noch Billig regiert, fahren Sie in den mittleren Westen der Vereinigten Staaten, den Wal-Mart vollkommen übernommen hat: leere Stadtzentren, stagnierende Löhne, und Einzelhändler, die vor der Supermacht Wal-Mart zittern. Keine schöne Aussicht - aber genau dies könnte Deutschlands Zukunft sein.
Frankfurter Allgemeine 15. April 2007
Wer Englisch liest, sollte die Dokumentation verfolgen, wie der thailändische Einzelhandel sich gegen das Marktprinzip zu wehren versucht: http://www.korat-info.com/forum/viewtopic.php?t=200
Wie verhalten sich denn die Farangs in Korat? Wenn's hier Aldi gäbe, würde man sie bestimmt nur da sehen. Das eifrige Einkaufen - ohne Zeit für ein Schwätzchen findet hier wohl bei Makro, BigC und Lotus statt. Hypermarkt von The Mall? Weniger. Klang Plaza-Supermarkt? Fast gar nicht.
Wo kauft Ihr in Korat ein, und warum? Was erwartet Ihr an Angebot? Vielleicht hilft eine solche Diskussion nicht nur jenen, die hier einige Artikel aus der Heimat, z. B. Brot, Likör etc. herstellen und vertreiben möchten sondern auch denen, die doch nicht "ganz thai" werden wollen oder können. Auch dem sich gegenseitig öfters mal über den Weg laufen könnte damit gedient werden.