Malaria
Jetzt schlagen die Moskitos mit aller Macht zurück
Von Sophie Mühlmann
Alarm bei den Tropenmedizinern: Der aus China stammende Wirkstoff Artemisinin wurde bisher als wahres Wundermittel im Kampf gegen Malaria gefeiert. Doch in Kambodscha gibt es nun die ersten Resistenzen. Die Wunderdroge könnte bald vollkommen nutzlos werden, wenn es nicht gelingt, die kleine resistente Nische einzugrenzen.
Das Wort Moskito bedeutet übersetzt "kleine Fliege"
Foto: pa
Der Feind ist klein und sirrend. Er kommt in der Dämmerstunde, wenn die tropische Sonne hinter den Bäumen versinkt und die feuchte Hitze endlich ein wenig nachlässt. Hier, an der Grenze zwischen Kambodscha und Thailand, ist dieser Feind altbekannt, die Malaria ein alter Begleiter. Abends kommen die Moskitos, suchen sich die warme Haut und saugen das Blut. Sie surren von Körper zu Körper und transportieren so jenen tödlichen Parasiten, der in afrikanischen und asiatischen Ländern täglich so viele Leben kostet. Allein in Afrika sterben pro Tag 200 Kinder an Malaria.
Dabei ist die Seuche eigentlich recht einfach zu heilen – vorausgesetzt, man reagiert rechtzeitig und hat die richtigen Medikamente zur Hand. In Afrika ist dies meistens das Problem und das Todesurteil: der absolute Mangel an Arzneimitteln. Das zweite, auf lange Sicht bedrohlichere Problem aber ist die Gefahr der Resistenz. Immer wieder kommt es vor, dass ein effektives Anti-Malaria-Mittel plötzlich nicht mehr wirkt. So geschehen zum Beispiel in den 50er-Jahren mit Chloroquin, das bis dahin lange als Wunderheilmittel gegen die tödliche Seuche gegolten hatte.
Der Falciparum-Parasit ist einer der vier Malariatypen – und bei Weitem der tödlichste. Er gelangt über einen Mückenstich in die Blutbahn, und nach einer Inkubationszeit von zwei Wochen vermehrt er sich und besetzt die roten Blutkörperchen. So verursacht er unter anderem hohes Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und Übelkeit. Wenn er nicht durch Medikamente ausgeschaltet wird, können die infizierten Zellen die Adern blockieren und zum Schluss den lebensnotwendigen Blutzufluss zu den Organen stoppen. Ein viel gepriesenes Heilmittel aus China aber kann ihn bremsen und unschädlich machen: Artemisinin. In Kombination mit einem langsamer wirkenden Medikament wirkt es wie keine Behandlungsmethode zuvor. Gewonnen aus einer Pflanze, die in der traditionellen chinesischen Medizin benutzt wird, wurde diese Kombinationsbehandlung weltweit als größter Hoffnungsträger im Kampf gegen die Malaria gefeiert, mit einer Heilungschance von über 90 Prozent. Wenn da nicht Kambodscha wäre.
In einer kleinen spartanischen Klinik in Tasanh liegt eine Handvoll Malariakranker unter zerknitterten Baumwolltüchern auf Metallbetten. Apathisch und mit vom Schweiß glänzenden Gesichtern erdulden sie die Blut- und Urintests, die der US-Armeearzt Mark Fukuda an ihnen durchführt. Hier in Südostasien ist die Krankheit nicht ganz so virulent, nicht ganz so tödlich wie in Afrika. Trotzdem blicken die Experten gerade voller Sorge in diesen Flecken Erde ganz im Westen des verarmten südostasiatischen Landes, rund 30 Kilometer von der thailändischen Grenze entfernt. Denn hier sind Mediziner gerade auf die ersten Fälle von Artemisinin-Resistenz gestoßen.
Die Wunderdroge könnte bald vollkommen nutzlos werden, wenn diese kleine resistente Nische nicht eingegrenzt werden kann. Die Menschheit wäre wieder weitgehend hilflos der tödlichen Fieberkrankheit ausgeliefert. „Anstatt die meisten Parasiten in einem Zeitraum zwischen 24 und 36 Stunden zu töten wie bisher, brauchen die Artemisinin-Derivate nun bis zu 120 Stunden, um einige der Parasiten aus dem Blutkreislauf zu entfernen“, erklärt Pascal Ringwald, ein Experte der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Zwar gab es bisher nur zwei Kranke, bei denen die Behandlung nicht anschlug, und inzwischen konnten selbst diese beiden geheilt werden, aber die winzige, armselige Ecke der Welt, in der es außer vergessenen Minenfeldern, zerlumpten Wanderarbeitern und ausgemergelten Prostituierten kaum etwas gibt, ist unter Medizinern berüchtigt: Genau hier sind schon einmal verheerende Resistenzen aufgetreten. Genau hier waren die Erreger in den 50er-Jahren plötzlich gegen Chloroquin resistent, und von hier aus hat sich diese Resistenz um den gesamten Globus verbreitet, von Thailand über Burma und Indien bis nach Afrika.
Chloroquin war damals großflächig als Prophylaxe eingesetzt worden. Man hatte das Medikament sogar für eine Weile dem Tafelsalz zugefügt, um so eine große Menge von Menschen gleichzeitig zu schützen. Mit fatalen Folgen: je weitreichen-der ein Medikament eingesetzt wird, desto schneller entwickeln sich Resistenzen. „Es ist der Darwinismus des Parasiten“, so der amerikanische Malariaexperte John MacArthur, „er will überleben.“ Inzwischen ist Chloroquin fast völlig wirkungslos.
Und das Gleiche könnte den Artemisinin-Präparaten drohen, wenn man die Resistenz in Tasanh nicht eindämmen kann. Mehrere Faktoren machen diese spezielle Gegend besonders anfällig für Resistenzen und deren Verbreitung: An der thailändisch-kambodschanischen Grenze sind viele Wanderarbeiter unterwegs, die in den Plantagen und Edelsteinminen in der gesamten Region arbeiten und so die Parasiten weitertragen. Außerdem gibt es hier zu viele gefälschte Medikamente und zu viele, die Artemisinin als Monotherapie anwenden. Es ist also vor allem wichtig, dass die Kombination aus zwei Präparaten verabreicht wird – damit wenigstens die zweite Droge versuchen kann, die resistenten Parasiten auszuschalten.
Im Moment gibt es keine neuen Medikamente am Horizont, die den Platz von Artemisinin einnehmen könnten. Und dabei, so ein Welt-Malaria-Report der WHO aus dem vergangenen Jahr, ist die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung von der Krankheit bedroht. In Kambodscha greift die Regierung zur Bekämpfung der Malaria nun verstärkt auf ein bewährtes altes Mittel zurück, um den Feind in der Nacht fernzuhalten: Moskitonetze.
Welt online 24. März 2009