Schreien verboten

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koratwerner (†2012)
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Schreien verboten

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Mi Okt 14, 2009 9:32 am

30 Jahre nach dem Terror-Regime stehen die Führer der Roten Khmer vor Gericht. Heng ist ein Opfer. Er erzählt seine Geschichte

Phnom Penh. Nicht viele Menschen lachen so herzhaft und ausgiebig wie Chau Kim Heng, am meisten lacht er über seine eigenen Witze, und weil er so wunderbar lacht, lachen alle mit. Erst wer die Lebensgeschichte des 45-Jährigen aus Phnom Penh kennt, der ahnt, dass dieses Lachen auch ein abgerichteter Wachhund ist, der mit seinem Knurren einen Dämon in Hengs Seele in Schach halten muss: die Angst. Die Angst eines Menschen, der schon als Kind um sein Leben fürchten musste. Und der den Schlägen eine ganz eigene Konsequenz abgetrotzt hat.

Mit Knoblauch gegen Agent Orange

Heng wird 1964 in der Nähe von Svay Rieng im Grenzgebiet zu Vietnam geboren. Ein kleiner Pfad führt am Reisfeld entlang ins Dorf, Heng zeigt auf eine Lehmhütte. „Das war die Küche damals. Während meine Oma noch die Hebamme holte, hat mich Mutti hier geboren.” Heng spricht Deutsch, und er sagt Mutti. Dazu später mehr.

Ab dem Jahr 1969 hält der Krieg immer brutaler Einzug in Kambodscha. Die Nordvietnamesen transportieren Waffen auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad in den Süden, die Amerikaner schicken ihre B-52 und nennen das Flächenbombardement „Menü”. Heng muss als Fünfjähriger das Überleben lernen. „Meine Mutter gab uns Tücher – dick mit Knoblauch bestrichen, das sollte gegen die Gase helfen.” Auch über Kambodscha setzten die Amerikaner Agent Orange ein, das Entlaubungsgift. „Wenn die Bomben fielen und wir im Freien waren, dann sollten wir uns an Äste hängen und den Mund öffnen, damit die Druckwelle uns nicht von den Füßen reißt, damit die Lunge nicht platzt.”

Die hängenden Kinder von Svay Rieng.

Nach der Entmachtung von König Sihanouk 1970 kamen die GIs und die „Saigon-Armee” auch mit Bodentruppen. „Meine Tante malte sich mit Holzkohle das Gesicht an, um hässlich auszusehen. Denn besonders die Südvietnamesen vergewaltigten alle Frauen, die sie greifen konnten.”

Als 1975 die Amerikaner über Nacht verschwanden, jubelten die Menschen. „Wir sahen die Roten Khmer, also die Kommunisten, in unseren Ort ziehen.” Es sollte ein sehr kurzer Jubel werden. „Sie wurden uns schnell unheimlich. Denn sie lächelten nie, die Roten Khmer. Unsere Familie musste das Haus verlassen. Nur für drei Tage hieß es. Wir sind nie wieder zurückgekommen.”

Vater, Mutter und die elf Kinder wandern ziellos durch die Region. Schließlich werden sie getrennt und in verschiedene Arbeitslager gesteckt. Pol Pot heißt der Führer der Roten Khmer, der sich anschickt, einer der größten Verbrecher der Menschheit zu werden.

Drei Jahre, acht Monate und 20 Tage Angst

In Phnom Penh gibt es mitten in der lebhaften Stadt einen Ort, der das Grauen ins Heute transportiert. Das Gefängnis S 21, früher Schule, dann Folterkammer, jetzt Museum. Hier ist zu besichtigen, zu welchen Taten Menschen in der Lage sind, wenn das Böse von der Leine ist. 20 000 Häftlinge haben im S 21 gesessen, aneinander angekettet wie im Mittelalter, immer wieder dem Folterer ausgeliefert. Eingesperrt, weil sie Lehrer waren, Ärzte oder Ingenieure, oder nur eine Brille trugen und damit Verdacht auf Bildung weckten. Mitten auf dem ehemaligen Pausenhof steht die Tafel mit den zehn Geboten für Gefangene, der perverse Geist des Hauses wird durch Regel Nummer 6 deutlich: „Während der Schläge und der Elektro-Schocks sind Schreie zu unterlassen.”

Nach der Folter kam der Befehl zum Abtransport. Mit dem Laster ging es vor die Stadt nach Choeung Ek, besser bekannt als die Killing Fields. Absitzen. Hände auf den Rücken. Augen verbunden. Hinknien. Ein Schlag auf den Hinterkopf, ein Schnitt durch die Kehle. Der Körper rollt ins Massengrab. Tausende werden so gemordet. Nur kleine Kinder sterben anders. Sie werden mit dem Kopf gegen einen Baum geschlagen. Das sind keine Horror-Geschichten.

Der Leiter des Gefängnisses, Kang Keck, der berüchtigte Duch, steht in Pnomh Penh in diesenTagen vor dem Tribunal. Er hat alles zugegeben – und natürlich wie all diese Männer und Frauen seit jeher nur auf Befehl gehandelt. Jetzt hat er vor dem Baum der toten Kinder gekniet. Er hat um Verzeihung gebeten.

Heng ist froh, dass über die Verbrechen von damals geredet wird. Vielleicht hilft es. Auch ihm. Sein Vater wird von den roten Khmern erschlagen. Bei der Feldarbeit flieht ein Mitgefangener. Hengs Vater verrät den Fluchtweg nicht und stirbt. „Drei Schwestern und zwei Schwäger kommen ebenfalls in dieser Zeit in den Lagern um.”

Heng selbst arbeitet an der Grenze zu Thailand für einen Dorfvorsteher. Er muss ihm in jeder Hinsicht zu Diensten sein. „Ich war der jüngste von sechs Jungs, die anderen haben mich dazu furchtbar gequält, und sie wollten mich immer verraten und töten lassen. Ich habe nur mit viel Glück überlebt. Drei Jahre, acht Monate und 20 Tage hatten wir alle von morgens bis morgens Angst.” Dann marschieren die Vietnamesen ein und beenden den Steinzeit-Kommunismus von Pol Pot. Mindestens zwei Millionen Kambodschaner erleben diesen Tag nicht.

NRZ, 13.10.2009, Matthias Maruhn
Es ist nicht schwer zu wissen wie man etwas macht,
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