Kindergeburtstag

In diesem Kapitel spielen die Menschen aus dem Isaan die Hauptrolle. Gehen Sie mit auf die Reise und erfahren Sie, wie das Leben im Isaan ist, welche alten Bräuche überliefert wurden und lesen Sie etwas darüber, was hier das Leben angenehm aber manchmal auch so beschwerlich macht. Vieles lesen Sie in den Artikeln zwischen den Zeilen und Sie werden auch einiges erfahren, worüber sonst nichts oder nur wenig berichtet wird.
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koratwerner (†2012)
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Kindergeburtstag

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Di Aug 05, 2008 9:51 am

Kindergeburtstag


Unser Freund Lutz wohnt mit seiner Frau seit zehn Jahren in ihrem kleinen Heimatdorf mitten in den Reisfeldern des Isaan. Mitten in der Scheiße, sagt Lutz und meint nicht nur die Kuhfladen, mit denen die knochigen Kühe der Bauern ihren Weg vom heimischen Gatter zu ihren mageren Weideplätzen markieren, sondern sein gesamtes Umfeld.

Jeder Tag das gleiche langweilige Leben, beklagt er sich. Hier ist einfach nichts los, lügt er, denn hier ist immer etwas los. Mal wird eine siebzehnjährige Jungfrau schwanger, die kranke Kuh des Nachbarn wird schnell geschlachtet, bevor sie krepiert, der missratene Sohn des Bürgermeisters hat wieder einmal den kleinen Schulkindern ihr Essensgeld geklaut und die Mama nimmt ihn auch noch in Schutz und beteuert lautstark seine Unschuld.

Auf dem Hof des Bürgermeisters haben in der Nacht die großen Zementrohe, die das Wasser des kleinen Flüsschens unter der einzigen Straße her leiten sollten, Beine bekommen und sind wer weiß wo hin verschwunden, irgend jemand hat die Leitung der dorfeigenen Berieselungsanlage gekappt, damit er nicht schon am frühern Morgen von den mit Musik untermalten amtlichen Bekanntmachungen aus dem wohlverdienten Schlaf gerissen wird und der sonst immer lustige Vater eines Kindes läuft verbissen umher, weil das Krankenhaus in der Stadt seiner sterben Tochter nicht helfen kann und sie mit der Begründung nachhause geschickt hat, sie könne auch dort sterben, denn ihr Bett würde dringend für andere Patienten benötigt.

Es ist immer etwas los in diesem kleinen Dorf und wenn nicht, wird was los gemacht. Vor allen Dingen macht die Jugend etwas los, vorzugsweise am Abend und besonders, wenn sich bereits gegen zwanzig Uhr die Eltern auf ihre Matratze oder Decke verzogen haben. Dann knattern die Jungs auf den Motorrädern ihrer Väter auf der Straße entlang und halten Ausschau nach dem Mädels, die verträumt zum dunkel Himmel aufschauen und erwartungsvoll und sehnsüchtig an irdische Vergnügen denken.

Lutz, der gerne am Abend noch in Ruhe seine Flasche Bier vor dem Haus trinkt, gerät dann oft ins Staunen, wie aus den kleinen lieben, netten und verwöhnten Kinderchen sich im Laufe weniger Jahre kleine Monster entwickelt haben, die von ihren Eltern unbeobachtet nicht nur Schabernack treiben, sondern die Jungs auch den Mädels gegenüber ihre Männlichkeit oft erfolgreich demonstrieren, sich dem Trunk hingeben, obwohl weder ihre Eltern noch sie das nötige Kleingeld dafür haben und so immerwährend für neuen Gesprächsstoff sorgen.

Es ist immer etwas los im Dorf. Nur Lutz, der einzige Farang in der Dorfgemeinschaft beschwert sich bitterlich. Jetzt hat er aber aus Anlass des dritten Geburtstages seines Sohnes Michael, genannt Levichen, eine Party geplant. Kindergeburtstag, der muss im Isaan gefeiert werden. Dafür wird von jeder Familie das wenige Geld zusammengekratzt was aufzutreiben ist und es wird gefeiert. Das müsst ihr mal sehen, übermittelt er mir übers Handy, den Festnetzanschluss hat nur der Bürgermeister.

Don ist begeistert. Kindergeburtstag ist was besonders schönes und unser Dabei sein ist beschlossen. Auch Fritz und seine Frau, die drei Dörfer entfernt wohnen, werden kommen. Da sie kein Fahrzeug besitzen, fahren wir erst zu ihnen und nehmen sie mit.

Gegen 14 Uhr sind wir bei Lutz. Der sitzt gemütlich bei einer Dose Bier und sonst ist niemand zu sehen. Haben wir uns im Tag vertan? Nein, Levichen ist noch in der Vorschule und seine sonst immer freundlich lächelnde Mama steht mit ernstem Gesicht in der Küche und füllt gerade Unmengen von Reisnudeln in eine riesige Schüssel. Als wir in die Küche schauen um sie zu begrüßen, zeigt sie uns einen großen, randvoll gefüllten Topf mit einer undefinierbaren Sauce und strahlt ob ihrer Kochkünste. Wann kommen denn die Gäste, frage ich, denn außer uns ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Warte ab, sagt Lutz zu mir, lass es erst mal dunkel werden.

Draußen hängen so etwa 40 Luftballons unter dem großen Vordach, unter dem jetzt der stolze Kindervater drei lange rote Teppiche nebeneinander ausrollt. Die sind aus dem Kloster, erklärt er. Der einzige da lebende Mönch war zwar nicht da, doch ich wusste ja, wo die Matten aufbewahrt werden, erklärt er und strahlt übers ganze Gesicht. Hoffentlich reichen die Ballons, meint er dann noch und ich wundere mich etwas, denn noch mehr von diesen bunten Dingern hätte er aus Platzgründen kaum noch aufhängen können.

Zwei Stunden später räumt der langsam nervös gewordene Vater die ausgetrunkenen Bierflaschen weg und macht sich auf den Weg, seinen Sprössling von der Vorschule abzuholen. Es kann etwas länger dauern, sagt er noch zu Fritz und mir, ich muss auch noch beim Eismann vorbeischauen und mich erkundigen, ob das auch wirklich mit der Lieferung klappt. Ihr wisst ja, wo das Bier steht.

Zum Eismann, denke ich verwundert, denn ich hab doch vorhin jede Menge Eiswürfel im Tiefkühlfach gesehen. Eine gute halbe Stunde später ist er mit seinem Sohnemann wieder zurück. Der kleine Michael stürmt umgehend zu dem Tsch, auf dem unsere Geburtstagsgeschenke stehen und greift sich sofort den Plastikbagger, den Fritz und seine Frau ihm geschenkt haben und ist jetzt erst einmal voll beschäftigt.

Und dann kommt der lang ersehnte Eismann. Der bringt jedoch keine Eiswürfel für Getränke, wie ich angenommen habe, sondern einen Kühlbehälter in dem 50 kg Speiseeis ist. 50 kg Eis, wer soll das alles essen? Bald jedoch werde ich eines besseren belehrt. Innerhalb einer halben Stunde trudeln so nach und nach so an die 20 Kinder ein. Einige bringen sogar ein Geburtstagsgeschenk mit und stellen es auf den Gabentisch, der sich, vom Geburtstagskind unbeachtet, langsam füllt.

Die packt er später oder sogar er’s morgen aus, sagt Lutz. Da ist nichts Besonderes drin, ergänzt er, nur Luftballons, Papierschlangen und so was. Billiges Zeugs alles. Die Leute hier haben doch kein Geld für Geschenke. Meine Frau hat das alles selber gekauft und in der Nachbarschaft verteilt, damit unser Sohn möglichst viel bekommt und die Kinder auch nicht mit leeren Händen kommen müssen.

Ich schätze den Jungen, der mit einem Motorrad immer hin und her fährt und weitere Kinder heranschafft, auf höchstens 10 Jahre. Er fährt aber so elegant, als ob er schon mit dem Ding auf die Welt gekommen währe. Inzwischen ist es richtig dunkel geworden und ich überschlage, dass sich inzwischen so an die 50 Kinder im Hof herumtreiben.

Sie pendeln immerzu zwischen den Esstöpfen und dem Speiseeistopf hin und her und hauen sich den Bauch voll. Das Essen wird zwar kalt gegessen, doch weil die Reisnudeln und die Fleischsauce, wie ich annehme, hier Raritäten sind, bleibt in Windeseile nichts mehr übrig. Nur von der Eiskrem ist eine halbe Stunde später noch etwas vorhanden und wird später in auf wunderbarer Weise auftauchenden Plastikschalen gefüllt, mit nach Hause genommen.

Bei all dem Durcheinander, den die überwiegend viel älteren Kinder verursachen, der sogar die beiden Haushunde veranlasst das Feld zu räumen, ist mir eine Besonderheit erst überhaupt nicht aufgefallen. Nur wenige der Kinder lachten und freuten sich aus vollem Herzen, so wie es eben nur Kinder können. Zwar schwatzten alle wild durcheinander auf Teufel komm raus, doch kaum jemand hat einmal schallend gelacht. Sind die Kinder im Isaan so ernst, frage ich mich, oder liegt es an den übervoll gefutterten Bäuchen?

Als die ersten Kinder nach einer guten Stunde wieder gehen, werden die Luftballons einer nach dem anderen abgeschnitten und jedes Kind bekommt einen davon in die Hand gedrückt. Ein kostbarer Schatz für die Kleinen und sicher wird manches dieser bunten Dinger heute Nacht mit ins Bett genommen.

Als wieder Ruhe eingekehrt ist, sitzen wir Erwachsenen noch etwas zusammen und Lutz erzählt uns, dass in diesem Dorf fast jeder Kindergeburtstag gefeiert wird. Erwachsene feiern ihren Geburtstag jedoch nicht. Dafür ist einfach kein Geld da. Für die lieben Kleinen, aus denen später bestimmt einige Monster erwachsen, wird ein Fest ausgerichtet und außerdem hätte ich mehrere Torten der gleichen Art backen können, wie ich eine mitgebracht habe.

Die gekauften Torten vom Thaibäcker hätte niemand angerührt, nur die Torte vom Farang währe angekommen und viele der leer ausgegangenen Kinder hätten sehnsuchtsvoll auf den blank gefegten Kuchenteller geschaut.

Zu Michaels viertem Geburtstag muss ich dann also mindestens 5 Torten backen.
Es ist nicht schwer zu wissen wie man etwas macht,
aber es ist schwer es auch zu tun!

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