Maniok für den Export
Vor einigen Tagen war es soweit. Auf dem großen Feld an der Rückseite unseres Hauses fährt ein kleiner Lastwagen vor, auf dem sich so an die zehn Arbeiter auf der Pritsche an der schwankenden Verkleidung festhalten. Gegen die Sonne gut behütet und teilweise mit lockeren Tüchern ihr Gesicht vermummt, steigen sie am Feldrand ab und beginnen mit der Ernte. Der vor etwa einem Jahr gepflanzte Maniok ist ausgereift.
Vor etwa drei Jahren habe ich beim Einkaufen auf einem Markt in Korat richtig schöne Kartoffeln entdeckt und natürlich sofort welche gekauft. Als ich diese zubereite, sagt meine Ex zu mir: „Tom arbeiten auch Kartoffeln“. Mit dem was sie mir sagt kann ich herzlich wenig anfangen. Tom ist ihr 19jähriger Sohn. Er wohnt bei ihrer Mutter im Amphoe Song Sang und arbeitet auf den Feldern der Familie und wenn es sich ergibt auch auf den Feldern anderer Kleinbauern.
Mein Vorschlag ihn auf eine Schule zu schicken, damit er noch was Vernünftiges lernt, wird von meiner Liebsten abgetan und die Ablehnung damit begründet, dass Tom bald zum Militär müsste und dann auch noch zu Buddha, also in ein Kloster. Später, sagt sie, später und das sagt sie wahrscheinlich so lange, bis es tatsächlich zu spät ist.
Tom arbeitet also Kartoffeln, doch meine Liebste denkt dabei an die länglichen Wurzelknollen, die überall auf den Feldern zwischen Korat und der kambodschanischen Grenze, sowie auch in der östlichen Tiefebene und in anderen Gegenden angebaut werden. Doch bei diesem Gewächs muss es sich nicht um meine geliebten Kartoffeln, sondern um eine andere Gattung handeln. Überall auf den Straßen sehe ich jeden Tag voll beladene Item und LKW, die die rötlich oder braun schimmernden Knollen zu den alle par Kilometer anzutreffenden Betrieben bringen, die die rettichähnlichen Früchte verarbeiten.
Man erkennt diese Betriebe sofort, denn die gemahlenen Knollen liegen zum Trocknen auf großen Plätzen. Da wird die pulverisierte Masse mit Radladern ausgebreitet, gewendet und im getrockneten Zustand auf LKW geladen. Wenn ein leichter Wind weht, wirbelt er Staubwolken auf, die unangenehm riechen und bei Allergikern Atembeschwerden auslösen können.
Tom baut also diese Wurzelknollen an. Er kann allerdings nicht täglich beschäftigen werden, sondern nur, wenn sporadisch Arbeit anfällt. Bei trockener Witterung werden die Knollen geerntet und bei feuchter Witterung gepflanzt. Zum Pflanzen werden meist von 10 bis 20 Leuten auf einem Feld etwa 30 cm lange Stecklinge dieser Sträucher in den gepflügten Acker gesteckt. Manchmal sieht man zwischen den wachsenden Pflanzen Frauen, die das nachwachsende Unkraut entfernen und den Acker sauber halten. Die Sträucher stehen meist auf etwas abschüssigem Boden wo, wegen des schnell ablaufenden Regenwassers, kein Reis angebaut werden kann.
Die Pflanzen müssen wohl genügsam sein, denn man sieht sie sogar auf kargen Böden, auf denen keine anderen Nutzpflanzen gedeihen. Manchmal werden die Böden auch gedüngt. Dazu nimmt man getrockneten Geflügelkot, der in der thailändischen Geflügelzucht in großen Mengen anfällt.
Später frage ich einen Bekannten, was das für Zeugs ist. Er meint, dass es sich um Puderpflanzen handelt und er denkt dabei an Puder für die kosmetische Industrie. Mit dieser Auskunft kann ich herzlich wenig anfangen und schaue mal wieder ins Internet. Unter tropischen Nutzpflanzen werde ich fündig. Bei dem mir bis dato unbekanntem Gewächs handelt es sich um die Manihot esculenta, eine Nutzpflanze, die auch Maniok, Tapioka oder Mandioka genannt wird. Maniok wächst in Gebieten, wo etwa 700 mm Niederschlag pro Jahr erwartet werden, kann aber auch in trockneren Gegenden auf kargen Böden gedeihen.
Tom hat mehr oder weniger das ganze Jahr über Arbeit, denn eine feste Pflanz- und Erntezeit ist bei Maniok nicht erforderlich. Man pflanzt, wenn ein Feld abgeerntet ist und man erntet, wenn die Knollen den höchstmöglichen Stärkegehalt erreicht haben, der etwas mehr als 30% erreichen kann. Maniok gehört zur Gattung der Wolfsmilchgewächse und hat im Boden eine lange Lebensdauer. Unter dem Einfluss von frischer Luft entwickeln sie Blausäure und sind nach zwei bis drei Tagen verdorben. Deshalb wird immer nur so viel geerntet, wie die umliegenden Betriebe sofort abnehmen und verarbeiten können.
In den Betrieben werden die Wurzeln gewaschen, geschält, gemahlen, in heißem Wasser gewässert, damit die Blausäurespuren abgebaut werden und an der frischen Luft getrocknet. In afrikanischen und südamerikanischen Ländern dient Maniok großen Teilen der Bevölkerung als Grundnahrungsmittel. In Thailang verzehrt jedoch niemand diese kohlenhydratreichen Wurzeln. Das in den Verarbeitungsbetrieben gewonnene Mehl wird zum Teil zu Viehfutter weiter verarbeitet oder als Stärke, Bindemittel oder Sago für die Lebensmittelindustrie auf den Weltmarkt gebracht.
Meine Neugier ist mit diesem Wissen befriedigt. Allerdings wundere ich mich darüber, dass ich in keinem der vielen Berichte über Thailand und seine Landwirtschaft etwas über den Anbau von Maniok gelesen habe. Immerhin produziert dieses Land etwa 20 Millionen Tonnen von diesen Wurzeln. Wenn auch der Anteil am Bruttosozialprodukt des Landes relativ gering ist, so ist doch der Anbau zweifellos für abertausende von Kleinbauern die alleinige Erwerbsgrundlage.
So wie ich das bisher gesehen habe, wird Maniok in Monokultur angebaut. Auf den kargen Böden des Isaan könnte aber auch Zuckerrohr gedeihen und die Bauern wären etwas unabhängiger von den Preisen der Aufkäufer. Doch ich halte meine Meinung für mich, denn sie könnte ja falsch sein und überhaupt, was hat ein Farang auch schon für eine Ahnung, Thailand braucht ihn nicht, Thailand macht auch ohne ihn alles richtig.
Außerdem hat der später gestürzte Ministerpräsident Thaksin dafür gesorgt, dass in den letzten Jahren der Preis für diese Knollen um das Dreifache gestiegen ist und den Bauern geht es besser, als je zuvor. Deshalb wurde Thaksin auch von den Maniok-Bauern gerne gewählt. Nach dem Thaksin von der politischen Bühne in Thailand verschwunden ist, sind die Preise für die Wurzelknollen wieder in den Keller gefallen. Die neu zu wählende Regierung wird es deshalb schwer haben, später einmal auch die Stimmen der betroffenen Kleinbauern zu erhalten.
Nach Reis und Zuckerrohr steht Maniok in Thailand wertmäßig an dritter Stelle der Agrarproduktion Thailands. Kaum jemand, der diese Pflanze anbaut, weiß was er da eigentlich aus der Erde holt. Doch da jeder weiß, dass diese Knollen nicht roh gegessen werden können, weil sich in ihnen bei der Berührung mit der Luft ein starkes Gift entwickelt. Blausäure, und deshalb landet diese kohlenhydratreiche Feldfrucht in Thailand nicht auf den Tisch. Dies auch unter der Prämisse, dass Thailänder alles Gemüse am liebsten roh oder halb gegart essen, Maniok also für sie ungeeignet ist.
Maniok stammt ursprünglich aus Brasilien und war bereits vor dem Eintreffen der europäischen Kolonisatoren in Südamerika, Mexiko und auf den Antillen verbreitet. Durch portugiesische Sklavenhändler wurde Maniok im Laufe des 16. Jahrhunderts nach Afrika sowie später bis nach Indonesien verbreitet. Heute stellt der Maniok für etwa 500 Millionen Menschen in tropischen und subtropischen Gebieten der Erde das wichtigste Grundnahrungsmittel dar und befindet sich damit in der Rangliste der menschlichen Nahrungsmittel auf dem prominenten 6. Platz.
Bis zu 4 m hoch kann der buschige Strauch mit seinen handförmig geteilten Blättern werden, dessen längliche, spitz zulaufende Wurzelknollen 5 bis 10 cm dick und bis zu 50 cm lang werden können. Je nach Bodenbeschaffenheit ist die raue bis glatte Schale in Braunstufen gefärbt, hier im Isaan hat sie oft die rote Farbe des Bodens angenommen.
Thailand betrachtet die EU immer mehr als einen interessanten Absatzmarkt für dieses Produkt, wo es zu Viehfutter weiter verarbeitet wird. Darunter sind Deutschland und die Niederlande die wichtigsten Abnehmer. Alleine nach Deutschland gehen 20% der Produktion. Die kleineren Niederlande verarbeiten noch weitaus mehr, denn von hier aus wird es als Mastfutter in die anderen EG-Länder verkauft.
Kritiker dieser Handelsentwicklung befürchten, dass den lokalen Bauern in Asien lebensnotwendiges Ackerland geraubt wird und deshalb das soziale und ökonomische Gleichgewicht zerstört wird. Die für den Export angelegten Monokulturen in Thailand sind nach meinem Verständnis bisher jedoch nur da angelegt, wo der traditionelle Reisanbau aus Gründen der Wasserversorgung auf abschüssigen Feldern nicht so ohne weiteres möglich ist. Der Anbau von Maniok führt in Thailand derzeit nicht zu einer ernsten Nahrungsmittelknappheit.
Wenn allerdings in Folge der Ölverteuerung Maniok zukünftig zu Ethanol verarbeitet wird, ist mit einer Ausweitung des Anbaus, mit einem Senken des Grundwassers und der Kultivierung weiterer Flächen zu rechnen. Diese drohenden Missstände machen zwar wenige Profiteure superreich, stürzen dann aber möglicherweise ganze Länder in Importabhängigkeit, Verarmung und Verschuldung.
Direkt hinter unserem Haus beginnt also derzeit die Maniokernte. Die Arbeiter schlagen am ersten Tag mit einer Machete so tief wie möglich die bis zu drei cm dicken Büsche ab, entfernen die abseits ragenden Äste, kürzen die Stiele auf etwa 120 cm Länge, bündeln sie und stellen sie dann, ähnlich wie es früher unsere Bauern mit dem Korn machten, zu größeren Haufen zusammen.
Am nächsten Tag erscheint früh am Morgen ein Traktor, der mit seinem hinten angehängten großen Haken den ausgetrockneten Boden zwischen den in schnurgeraden Reihen angebauten Pflanzen aufreißt und so die Wurzelstöcke des Maniok frei legt.
Etwas später erscheint dann wieder die vermummte Brigade vom gestrigen Tag. Alsbald werden von den Arbeitern die länglichen Maniokknollen säuberlich von den Wurzelstücken getrennt. Auch heute blitzen die Klingen ihre scharfen Haumesser wieder in der gleißenden Sonne. Dabei werden die einzelnen Knollen, auf den Abtransport wartend, auf Haufen geworfen.
Nach der Mittagspause wird das Wägelchen aufs Feld gefahren und schleppt hinter sich ein schmales Brett, welches von der Pritsche schräg bis zum Boden reicht. Ein Teil der Arbeiter beginnt jetzt mit dem Aufladen. Die einzelnen Häufchen werden in große Körbe gefüllt, die von starken Männern auf den Rücken geschultert über den schmalen Brettersteg auf die Ladefläche getragen und ausgeschüttet werden. Ich schätze, dass jeder Korb so an die 50 Kilo wiegt und möchte ganz bestimmt nicht bei dieser Hitze in der Haut der Schlepper stecken.
Das Wägelchen fährt von Haufen zu Haufen und als es voll geladen ist, wird der Laufsteg abgenommen und die hintere Bracke wird hochgeklappt. Dann tuckert die Karre von dannen. Vor etwa einem Jahr bekamen die Bauern von den aufkaufenden Fabriken etwas mehr als 1 Baht für das Kilo. Der Weltmarktpreis für Maniok scheint gestiegen zu sein. Letztlich stand der Preis für die Rohware auf über 2 Baht. Man kann das im Vorbeifahren an den Fabriken sehr schön lesen, denn da wird immer der Tagespreis angezeigt und die Bauern können sehen, bei wem sie am meisten Geld erhalten. Das Wägelchen scheint nicht den erst besten Aufkäufer angefahren zu haben, denn es erscheint erst spät am Nachmittag wieder, um die Arbeiter abzuholen.
So geht es einige Tage weiter und jetzt ist das Feld abgeerntet. Nur die gebündelten Stämmchen stehen noch schön verteilt herum. Was jetzt noch passiert, kenne ich. Bald wird ein großer Tellerpflug erscheinen, die Reste der liegen gebliebenen Pflanzen zerkleinern und so gut es geht, mit dem vielleicht vorher aufgebrachten Naturdünger aus den großen Geflügelzuchtbetrieben, in den Acker einpflügen. Darauf hin erscheint dann die Arbeitsbrigade wieder, schneidet die Stämmchen in etwa 30 cm Länge und steckt die Stücke fein säuberlich im Abstand von etwa 50 cm in schnurgerade Reihen 15 cm tief in die aufgebrochene Erde.
Im Gegensatz zu Kartoffeln, von denen die besten Knollen aufbewahrt werden und als Setzlinge dienen, genügt dem Maniok solch ein kleiner Trieb. Der schlägt umgehend Wurzeln und schon nach wenigen Tagen sprießen die ersten Blättchen. Maniok wird übrigens in Thailand fast das ganze Jahr über angepflanzt.
Die Ernte erfolgt nicht überall so, wie es hier beschrieben ist. So ist der Einsatz von Maschinen in kleineren Familienbetrieben nicht immer gegeben und die festsitzenden Wurzelknollen müssen dann mühselig von Hand aus dem Boden geholt werden.
Wenn auch die Maniokpflanze als solcher wegen dem in ihr enthaltenen Linamarin einen gewissen Selbstschutz vor Schädlingen hat, werden doch im Laufe des Wachstums mehrmals Pflanzenschutzmittel gespritzt, von denen Reste in das Grundwasser gelangen können. Grundwasser ist jedoch der Lieferant für viele Brunnen. Da wir auch zwischen Maniokfeldern wohnen, wird das Wasser aus der Leitung nur für die Toilette und zwangsläufig für die Waschmaschine und die Dusche verwendet.