Silvester 2010 im Isaan

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koratwerner (†2012)
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Silvester 2010 im Isaan

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » So Jan 02, 2011 6:21 pm

Im Gegensatz zu Deutschland, wo einmal im Jahr der Jahreswechsel gefeiert wird, wird in Thailand zwei- oder gar dreimal der Jahreswechsel vollzogen. Das ist wie bei uns, am 31. Dezember zu Silvester der Fall. Dann folgt im Februar das chinesische Neujahrsfest, auch Frühlingsfest genannt und im April Songkran, das traditionelle buddhistische Neujahrsfest.

Geplant ist heuer vom 29. Dez. bis zum 2. Jan. ein Kurzurlaub mit Silvesterfeier im südlichen Isaan. Genauer gesagt, in den Bergen des Amphoe Wang Nam Khiao. Hier bildet die in den Süden führende Straße Nr. 304 die Grenze zu dem westlich liegenden Khao Yai und dem sich östlich anschließenden Thap Lan Naturpark.

Sombat, gebürtig aus einem Reisanbaugebiet im Isaan, wohnt jetzt bereits 16 Jahre in Bangkok und hat es bei einer englischen Firma immerhin zum Abteilungsleiter gebracht. Jedes Jahr aber, zu Silvester und zu Songkran, dem traditionellen Jahreswechsel der Thais, zieht es ihn mit Frau und Kind an die Stätte seiner Kindheit zu Vater und Mutter in das kleine Dorf Ban Kha, in dem der Reisanbau den Lebensrhythmus der Menschen bestimmt.

Warum Sombat heuer in dem Ort Wang Nam Khiao den Übergang zum neuen Jahr feiern will, ist sein Rätsel. Vielleicht will er nicht in sein Elternhaus, weil er da seinen frommen Vater nicht mehr antrifft, der ihn und seine Familie jedes Jahr gesegnet hat. Sein Vater hat nämlich vor einigen Monaten Ban Kha, einschließlich seiner Frau, verlassen, hat in einem großen Watt in Bangkok die Weihen zum Mönch empfangen und sich etwa 60 km entfernt von Ban Kha in seinem Geburtsort in den dortigen Watt begeben.

Sombat vermisst wahrscheinlich seinen Vater und weil er seine Mutter, Geschwister und seinen Freund Nassi ebenfalls vermisst, hat er die einfach mit Kind und Kegel nach Wang Nam Khiao eingeladen.

Zu diesem Clan gehört auch sein Schwager Ludwig, der bereits 14 Jahre zur Familie gehört. Ludwig kennt den Ablauf solcher Familienfeiern, die jeweils so lange anhalten, bis der letzte Tropfen Alkohol vernichtet ist. Leider ist mit dem Schwinden der Alkoholvorräte auch eine Änderung der Persönlichkeitsstrukturen der trinkfreudigen Menschen verbunden, unter der mein Freund Ludwig schwer leidet.

Die können sich nie anständig besaufen. Das ist der seiner Sprüche, die Ludwig gerne vom Stapel lässt. Und da Ludwig mich gerne mit dabei hätte, weil er sonst der einzige Ausländer unter mehr als 20 Thais sein würde, sendet er mir per Internet die Lagebeschreibung eines Ressorts.

Das liegt nicht weit von einer Stelle im Thap Lan Naturpark entfernt ist, wo in den sechziger Jahren während der Regierungszeit unter Marschall Thanom Kittikachorn kommunistische Agitatoren aus Kambodscha, Laos und Thailand mit Kind und Kegel inmitten unzugänglicher Urwälder gesiedelt haben.

Thanom, der als Anti-Kommunist die Politik der USA in Südostasien unterstützte, ließ diese Menschen im Zuge einer militärischen Aktion mit Waffengewalt vernichten und die Überlebenden vertreiben. Dieser Ort war bisher der Zivilbevölkerung nur schwer zugänglich. Doch jetzt soll es eine befestigte Straße dorthin geben und damit ist diese historische Stätte, über die man nur schwer etwas erfährt, auch für mich erreichbar.

Hier in der Nähe sollen die Teilnehmer an Sombats Silvesterparty also untergebracht werden und klar, Don und ich sind mit dabei. Wir kennen Sombat und seine Familie schon einige Jahre und bewegen uns also nicht unter Fremden, sondern im Bekanntenkreis.

Dieser Bekanntenkreis besteht durchweg aus gebildeten Leuten mit höherer Schulbildung, die zwar intelligent, doch im Alltag bei weitem nicht so elegant mit den kleinen oder größeren Tücken des Alttagslebens umgehen können, wie beispielsweise die auf Grund mangelnder Schulbildung weniger gebildeten Reisbauern des Isaan.

Für mich der gegebene Anlass Vorsorge zu treffen. Als wir also am 30. Dezember mit unserem Pick-Up aufbrechen, ist dessen Ladefläche belegt mit einem Zelt, Bettzeug, Schlafsack und zwei vollen Kühltaschen mit Lebensmitteln.

Ludwig, mit dem wir uns unterwegs auf der 304 in der Nähe des Korat-Zoo treffen, ist neidisch. Er hat die Großmutter, das amtierende Familienoberhaupt mit dabei, seine Frau und vier Kinder, von denen ich nur seinen Sohn und Stiefsohn kenne. Platz für Gepäck ist da nicht viel vorhanden. Warum auch? Jeder geht davon aus, Sombat habe ja eingeladen und für Unterkunft sowie Speis und Trank gesorgt. Selbst Ludwig, der ja seine Familie gut kennt, er meint, ich hätte doch das Zeugs auf unserer Ladepritsche ja nun wirklich nicht benötigt.

Wir fahren noch keine Stunde, dann sind wir schon in Wang Nam Khiao. Zwar habe ich im Internet die HP des Ressort gefunden, wo wir hin müssen, doch da die in Thai gedruckt ist und auch die Lageskizze des Ressort weder nach DIN noch nach internationaler ISO Norm angefertigt ist, bin ich Europäer mehr auf Vermutung und gut Glück angewiesen, als auf konkretes Wissen.

Nur einmal fragt Bua, das ist die Frau von Ludwig einen Einheimischen nach dem Ressort. Da uns das Glück hold ist, haben wir nur noch 7 oder 9 km bis zu unserem Ziel vor uns und es geht zügig weiter. Gegen 10 Uhr steigen wir aus und recken uns genüsslich in den jetzt etwas wärmenden Sonnenstrahlen.

Zuhause in Korat ist es bei 20 Grad herum schon nicht warm. Hier oben inmitten der Berge sind es jetzt etwa 15 Grad und dazu weht ein frischer Wind. Deshalb kann ich sofort sehen wer hier heimisch ist oder als Tourist hier herumläuft. Die Einheimischen sind alle schön warm angezogen, ich hab nur einen dünnen Pullover. Alle anderen zittern. Don friert, die Großmutter zittert mit ihrer Tochter um die Wette, Ludwig friert und die Kinder laufen sich etwas warm.

Von Sombat und seinem Anhang ist nichts zu sehen, doch ein Anruf von Bua übers Handy zu ihrem Bruder bringt Klarheit. 2 km weiter fahren, da sind sie im Thap Lan, klärt uns Bua auf. Die Zimmer gibt es erst ab 12 Uhr.

Wir befinden uns hier in einem Hochtal etwa auf 650 Meter Höhe. Die links aufragenden Gipfel, denen wir uns nun nähern, sind etwa 800 bis 900 Meter hoch, wie meine Karte anzeigt. Doch die scheinbar neu angelegte Straße, sie weist noch keine Schlaglöcher auf, führt nicht bergan, sondern sogar etwas bergab. Nach 1 km sind wir mitten im immergrünen Wald, fahren an einem Teich vorbei und sind auch schon an unserem Ziel.

Die Parkplätze sind hier am späten Vormittag schon brechend voll. Zelte stehen etwas abseits, Begrüßungs- und Informationstafeln stehen unschön herum, inmitten der Anlage stehen erfreulicherweise Toilettenhäuser, einige überdachte Plastikstühle laden zum Verweilen ein und die hier wehenden Windböen treiben unablässig braunen Lehmstaub vor sich her.

Die Begrüßung durch unsere Bekannten, die sich bereits gegen 5 Uhr in Bangkok auf die Piste gemacht haben, fällt herzlich aus. Die Familie hat sich lange nicht gesehen und man freut sich. Ich entfliehe dem Familiengeschnattere, lass das Objektiv aus meiner Kamera gleiten und fotografiere Motive, die eigentlich des fotografieren nicht wert sind.

Mit anderen Worten, hier ist anscheinend nicht viel los. Don und ich nähern uns jetzt dem Rande des Geschehens und gelangen an einen steilen Abhang. Hier stehen einige Leute herum, die mit überdimensionalen Zwillen, auch Fletschen genannt, Steine in die Tiefe schießen.

Das ist ein historischer Akt auf historischem Boden. Von dieser Stelle aus haben vor 46 Jahren die absolut königstreuen einfachen Soldaten unter dem Befehl höherer Offiziere des Marschall Thanom Kittikachorn die sich hier in einem damals weit abgelegenen Tal versteckt gehaltenen Kommunisten, Rebellen und Aufständischen mit Geschossen getötet und verjagt und somit Thailand vor dem drohenden kommunistischen Untergang gerettet.

Vielleicht war dieses Tal, dessen Grund in dem da noch wabernden Nebel kaum zu erkennen ist, auch nur ein Rückzugsgebiet von in Kambodscha und Laos vertriebenen, vielleicht sogar verwundeten Kämpfern und ihren Familien. Wer weiß das schon? Sicherlich hat die damals von den Amerikanern in die Welt gesetzte kommunistische Hysterie. Besonders in Südostasien, auch viele Opfer unter unschuldigen Menschen gefordert.

Mit dem Aufkommen dieser und anderer Gedanken werde ich noch etwas nachdenklicher. Ja, das hier ist ein historischer Ort, der sich mitten im damaligen fast unzugänglichen Urwald befindet. Offensichtlich sind sogar die jetzigen Besucher stolz auf die seinerzeitigen Heldentaten der Armee. Es kommt eben immer auf den Blickwinkel an. Vielleicht wird dieser Ort, der mehr einem Rummellatz als alles andere ähnelt, doch einmal ein richtiger Ort des Gedenkens, der allen Beteiligten gerecht wird, denn wie heißt es doch so schön? „Man soll die Hoffnung nie aufgeben!“

Um 12 Uhr Mittags hat uns die Gegenwart wieder. Unsere Zimmer können jetzt bezogen werden. Doch was heißt da unsere Zimmer? Als Sombat gebucht hat, reichten die zwei Schlafzimmer und das Wohnzimmer. Doch dann beging jemand einen verhängnisvollen Fehler. Dieser Jemand hat geplaudert. Erst zwei, dann drei, dann vier, dann elf und mit mir waren es dann zwölf und dann noch Don und insgesamt acht Kinder. Mai pen rai. Und hätte es noch weitere Interessenten mit Fahrzeugen gegeben, dann würden sich heute noch mehr Menschen auf die kommende Silvesterparty freuen.

Ehret das Alter und sorgt für die Kinder. Nach diesem Motto durfte Nassi mit Frau und Kleinkind das hübsche Schlafzimmer belegen. Die Großmutter, Lung Boom mit Frau und großer Tochter bezogen das Wohnzimmer und Don wird der kleine Nebenraum, in dem nur das Doppelbett gerade Platz hat, zugewiesen, wo ich auch halt meinen Kopf betten kann..

Ludwig mit Frau und Sohnemann, für die vordem vermutlich Don und mein Bett eingeplant war, erläutert allen anderen Partygästen erwartungsfroh seinen Heimvorteil. Sein Achtsitzer verfügt nämlich über ausklappbare Sitze, auf denen man angeblich wundervoll schlafen kann. Nur der fünfjährige Michael, der passt nicht mit seinen Eltern ins Auto. Elf Leute sind untergebracht und die restlichen zehn Personen? Sombat mit Frau und Kind ziehen in ein Zelt, ebenso Lung Booms Sohn mit Frau und Kind in ein weiteres Zelt und jetzt stehen nur noch vier halbwüchsige Kinder herum, die ihre Taschen jedoch schon in das dritte Zelt gestellt haben.

Viertausend Baht pro Tag und Nacht kostet die Holzhütte mit drei Zimmern, sowie Duschbad/WC. Hotelzimmer in Bangkok und Pattaya sind preiswerter. Doch hier sind wir ja in Wang Nam Khiao. Hier gibt es die beste Luft in Thailand, und die siebtbeste in der Welt, klärt mich Sombat auf. Das kostet eben etwas mehr. Was die drei Zeltplätze kosten, weiß er noch nicht. Mai pen rai.

Auf meinen Einwand hin, in den in Nordthailand währe die Luft doch sicher noch besser, winkt er ab. Da werden die Felder abgebrannt, erklärt er mir. Hier gibt es aber keinen Reis und hier wird nichts verbrannt.

Doch ja, die Luft ist hier sehr angenehm. Sombat erklärt mir sogar, dass in den drei Autos aus Bangkok trotz der niedrigen Temperaturen heute Morgen, nachdem die ersten Hügel erreicht wurden, alle Fenster geöffnet wurden und man hätte sich über die gute frische Luft gefreut.

Inzwischen ist es 14 Uhr geworden, es ist immer noch sehr kühl und alle sind jetzt hungrig. Mai pen rai, zum Ressort gehört ja ein Restaurant. Doch selbiges wird erst um 18 Uhr geöffnet. Ich biete von meinem Brot, Wurst und Käse an. Doch nur Ludwig lässt sich erwartungsgemäß davon begeistern. Da weit und breit auch kein anderes Restaurant zu sehen ist, fährt ein PKW zum nächsten Markt und da werden die Zutaten für Somtam und anderes roh essbare Grünzeug eingekauft. Reis? Ich glaube ja, Reis und sogar Wasser und Cola für die Kinder, war auch dabei.

Nassi, eigentlich ein etwas entfernter Verwandter, ein Geizkragen, wie Ludwig wusste, schleppt jetzt Bier heran und die Herren der Schöpfung, sowie einige der Frauen begeben sich auf den Vernichtungsfeldzug. Ich bin etwas erkältet und auch mit meiner Pumpe etwas unzufrieden und lege mich deshalb zur Ruhe.

Gegen 17 Uhr weckt mich Don. Aufstehen, wir fahren Mushroom Farm. Aha, es geht zu einer Pilzfarm. Das interessiert mich und ich denke sofort ans preiswerte Einkaufen. Don hat ja einen kleinen Partyofen mitgenommen, da kann man ja heute Abend Pilze grillen. Don packt sich alle freudig jauchzende Kinder auf unseren Pick-Up und ich lasse mich mit Sombats PKW fahren. Doch wir sind noch keine zwei Minuten gefahren, nur vom Ressort weg über die Straße und dann noch zweihundert Meter, da werden die Autos schon auf einem Parkplatz abgestellt.

Hier ist was los. Fressbüdchen stehen hier herum, in denen Pilzgerichte, aber auch rohe Pize und frischer Salat, von in Blicknähe liegenden Feldern geerntet, angeboten werden. Ich begebe mich ins Innere der Pilzfarm und da ist es auch interessant, einmal zu sehen, wie die Pilze gezüchtet werden.

Kaufen kann man selbstverständlich auch. Doch ich bin einer der wenigen Besucher, die auf die Preise achten und mit den Preisen vergleichen, die woanders auf den Märkten verlangt werden. Kurzum, die gleichen Pilze kaufen wir auf den Märkten zum halben Preis. Ist aber schön hier. Man kann sich auf einer der vielen Bänke ein sonniges Plätzchen suchen und sich aufwärmen, man kann den Leuten zuschauen, wie sie die weit überteuerten Pilze und den Salat einkaufen und man kann zusehen, wie guter Pilzabfall in der Sonne getrocknet wird und weniger guter Pilzabfall paniert, dann frittiert und als kleiner Imbiss h8ungrigen oder neugierigen Besuchern teuer verkauft wird.

Immerhin, eine Pilzfarm und sei es sogar im Amphoe Wang Nam Khiao in den Bergen der Provinz Nakhon Ratchasima, darf man ruhig einmal gesehen haben.

Soeben stand die Sonne noch am Firmament und jetzt ist sie schon weg. Sie verschwindet viel schneller hier, als in Deutschland. So auch jetzt und schon ist wieder der Hunger da. Bei mir und für Ludwig gibt es wieder Körnerbrot. Jetzt mit Käseecken aus Österreich und mit geschnittenem Rollbraten aus eigener Rollerei. Einige Thais schauen interessiert zu, lassen sich jedoch nicht dazu überreden einmal etwas davon zu probieren. Wir Ausländer jedoch, also, wenn uns etwas angeboten wird, wir kosten wenigstens davon. Doch die Thais? Lass sie doch! Heute bin ich sogar recht froh, denn zum Frühstück will ich ja auch noch für Ludwig und für mich ein par Scheiben haben.

Inzwischen wird auch in der Küche des ressorteigenen Restaurants gearbeitet und deshalb ist die Hungersnot der Eingeborenen vorbei. Anschließend bestellt der geizige Nassi einige Flaschen Leo-Bier und wie Ludwig inzwischen herausbekommen hat, im Namen und auf Rechnung Sombat. Der kann sich ja auch nicht um alles kümmern, Hauptsache ist, er bezahlt später die Rechnung.

Ich fühle mich nicht wohl, friere trotz Pullover und Jacke und huste röchelnd herum. Don freut sich deshalb, als ich mich bereits gegen 21 Uhr ins Bett lege und da außer jeder Konkurrenz weiter huste, friere und schnattere. Irgendwann schlafe ich ein und irgendwann kommt auch Don frierend ins Bett gekrochen. Für mich ist da der Schlaf erst einmal vorbei, auch weil ein Toilettengang unaufhaltsam näher rückt.

Raus geht es alsbald in die gnadenlose Kälte, in der der Aufbau des Autos von Ludwig leicht bei jeder Windböe hin und her schaukelt. Der liegt mit seiner Bua wenigstens warm, denke ich. Doch wie er mir beim Frühstück berichtet, friert er mächtig. Zwar hat er genug Decken dabei, doch die hat seine Bua alle den Kindern ins Zelt gepackt, damit die sich ja nicht erkälten.

Thais sind ja angeblich immer freundlich. Doch soviel mürrische und stumme Gesichter, wie ich sie nach Sonnenaufgang sehe, habe ich in Thailand noch nie kollektiv wahrgenommen. Vorsichtig frage ich Don, was los ist. Aus vorbei murmelt sie. Keine Party. Warum keine Party? Kalt und alles teuer. Du hast Recht, Pattaya ist viel besser und kostet weniger Geld.

Was jetzt? Das frage ich Don, als ich sehe, wie die Zelte abgebrochen werden und gepackt wird. Wir feiern Silvester bei uns im Isaan erklärt mir Ludwig. Niemand ist hier so richtig zufrieden ist niemand und zu teuer ist das hier auch.

Das Frühstück ist aber im Preis einbegriffen. Es gibt heiße Reissuppe, die die Lebensgeister aufwärmt, dann einen nicht zu starken Kaffee und Toastbrot. Letzteres wird mit Margarine bestrichen, im Toaster aufgewärmt und dann mit der Margarineseite in Zucker gelegt. Die Kinder freuen sich und die Erwachsenen werden einigermaßen satt.

Gegen 11 Uhr sieht die Sonne, wie sich vier Autos auf den Weg machen, um das schöne Wang Nam Khiao im Gebirge zu verlassen um den weniger vom kalten Wind heimgesuchten Gefilden in der Ebene des Hochplateaus des Isaan entgegen zu streben.

Noch vor Korat schere ich aus dem Konvoi aus und strebe dem Supermarkt entgegen, der sich Tesco nennt, von den Hiesigen jedoch Lotat genannt wird, weil die Eingeborenen statt dem s in Lotus angeblich nur ein t aussprechen können. Lo bedeutet auf Thai Loch und mit tut ist umgangssprachlich das, was wir als A…. bezeichnen. Deshalb Lotat. So oder so ähnlich hat mir Don das erklärt.

Also, beim Lotat will ich Steaks für alle und Bier kaufen. Bier ist noch da, doch Fleisch für Steaks ist ausverkauft. Mai pen rai, denke ich und packe mir mehrere Kilo gerade ankommende Schinkenstücke in die unentbehrlichen Plastiktüten. Dazu noch ein Paket Toastbrot und für Ludwig und mich etwas Salat, der so aussieht, als sei er direkt aus Deutschland hier angekommen.

Ich will es riskieren, statt Steak soll es zum Abendbrot für alle, also einschließlich der Eingeborenen, Goulaschsuppe als Hauptgericht geben. Bleibt was übrig, mai pen rai, das können Ludwig und ich uns später ja einfrieren.

Als ich dann später das Fleisch zuschneide, nach und nach anbrate und mit Zwiebeln in einem großen Topf schmurgeln lasse, habe ich einige weibliche Zuschauer, die liebend gerne sehen würden, wenn ich die schönen Stückchen statt dessen im Wok hart, knusprig und schön zäh braten würde.

Nach zwei Stunden ist die Goulaschsuppe fertig und kommt, sogar mit Chili gewürzt, unter kritischer Betrachtung der Eingeborenen auf den Tisch. Da niemand sonst für das leibliche Wohl, ausgenommen Bier, gesorgt hat, treibt es zweifellos der Hunger rein. Als die lieben Leutchen gar bemerken, dass gerösteter Toast dazu sehr gut schmeckt und die älteren Herrschaften beispielhaft rein hauen, da schmeckt allen schlagartig des Farangs fremdartiges Essen.

Nur die Großmutter weigert sich standhaft auch nur einmal etwas zu probieren. Doch sie freut sich, weil all ihre Kinder und Verwandten was zu essen haben, es ihnen sogar schmeckt und sie strahlt mich dankend an.

Irgendwann erscheinen dann später doch noch Reis, Blätter und Chilisaucen auf den Tischen, doch habe ich immerhin mit meiner Goulaschsuppe den Thais etwas aus der europäischen Küche näher gebracht. Oder war es deren Höflichkeit?

Ich schaue nicht ganz durch. Menschen kommen, hocken sich hin, trinken und essen etwas, unterhalten sich viel und sind dann wieder weg. Ludwig erklärt mir immer wer das ist, klärt mich über den Verwandtschaftsgrad auf und berichtet mir manchmal etwas süffisant über die Lieben und Vorlieben der/des einen oder anderen Kurzbesuchers.

Gegen 19 Uhr erscheint der Dorfbürgermeister in Uniform und erklärt mit wichtiger Mine, dass in wenigen Minuten niemand mehr alkoholisiert ein Kraftfahrzeug fahren soll, weil dann überall kontrolliert wird.

Eine feine Geste, nicht wahr? Vor allen Dingen für die jugendlichen Motorradfahrer, die besoffen ohne Helm und Führerschein durch die Gegend rauschen. Die fahren trotz der Kontrollen, deren Standorte doch allgemein bekannt sind. Deshalb ist es einfach einen Umgehungsfeldweg zu nehmen. Fehlt nur noch, dass diese Umleitungen auch ausgeschildert sind.

Auf dem elektrischen Tischgrill, auf dem vorhin noch mein Toastbrot geröstet wurde, liegt jetzt in ganz dünne Scheibchen, ja beinahe in feine Schnippelchen geschnittenes Schweinefleisch. Später sind es dann Muscheln und noch später Fisch und Garnelen. Irgend jemand sitzt immer mit Holzstäbchen davor, legt auf, wendet und packt die garen Leckereien auf einen Teller, von dem aus sie im Vorbeigehen in kleinere oder größere Hände verschwinden. So haben im Laufe des Abends mindestens vier Frauen abwechselnd zu tun, brauchen sich nicht um die schreienden Kinder zu kümmern und sind immer Mittelpunkt des wichtigsten Geschehens, dem Essen.

Im Gegensatz zu Wang Nam Khiao tragen hier in dem kleinen Dorf alle freundliche Gesichter und sind auch freundlicher zueinander. Das liegt nicht nur an der Kälte, das ist die Wärme der gewohnten Umgebung, auch wenn der eine oder andere schon viele Jahre außerhalb des Isaan wohnt.

Das hier ist ihre Heimat, hier sind sie Zuhause. Zweimal im Jahr kommen die Menschen, die in der Fremde ihr Brot verdienen ja hier her zurück, jetzt zu Neujahr und im April zu Songkran. Manchmal fließen dann Freudentränen, doch fast immer Bier und noch härtere Getränke.

Ich erlebe den Jahreswechsel nicht mehr in Gesellschaft. Mein schwaches Herz und die derzeitige Erkältung zwingen mich vorzeitig ins Bett. Als die größeren Kinder, die um Mitternacht noch auf den Beinen sind, ihre Luftballons mit lautem Krach und viel Gelächter platzen lassen und die Erwachsenen sich lautstark happy phimai zurufen, sich also ein fröhliches neues Jahr wünschen, werde ich auf der Matratze im Obergeschoss des alten Stelzenhauses der Großmutter wach und höre eine Weile zu wie sich die Menschen unten vor dem Haus unterhalten und wie sie manchmal mit ihren Gläsern gegenseitig anstoßen.

Meine Zeit wird bald abgelaufen sein. Deshalb freue ich mich über jeden Tag, an dem ich mich morgens noch bewegen und aufstehen kann. Kaum jemand der mich nicht so genau kennt, merkt das. Doch ich bereite mich auf meinen Abgang vor. Trotzdem kämpfe ich und bin dabei mir aus Europa hier nicht erhältliche Medikamente aus der Naturheilkunde zu beschaffen. Vielleicht bin ich im nächsten Jahr oder in noch weiteren Jahren dabei. Ich hoffe es.

Nachdenklich betrachten meine Augen die Unterseite des Hausdaches. Ich sehe das ganze Dach, denn der Raum besitzt keine Zwischenwände. Neulich, als hier im Isaan Hochwasser war, da wohnte nicht nur die Großmutter der Familie mit einem ihrer Söhne hier oben, auch Ludwig mit seiner Frau und ihren Kindern fanden hier oben für sieben Tage eine trockene Zuflucht. So lange hat es gedauert, bis sich das Hochwasser ebenerdig wieder verlaufen hat.

Sieben Tage ohne fließendes Wasser, ohne Ofen, ohne Elektrizität, als auch ohne Fernsehen, ohne die Möglichkeit einkaufen zu können. Abhängig von den Nachrichten aus einem Transistorradio und der Versorgung durch Soldaten, die mit Booten die allernötigsten Be- und Versorgungen bewerkstelligten. Das war ganz schön stressig hat mir Ludwig später mehrmals erzählt und immer wieder sprach er von den Schlangen und Skorpionen, die sich mit dem steigenden Hochwasser den Häusern immer näher kamen und den Schwierigkeiten, die Notdurft einigermaßen zu erledigen, ja, und er sprach auch von den Hühnern, die draußen auf den Dächern oder Ästen hockten und traurig aus ihrem nassen Federkleid schauten.

Beinahe alle Tiere haben die Flut überlebt. Auch die Kühe, die bis zum Bauch im Wasser standen. Der Reis auf den Feldern ist jedoch in diesen Tagen kaputt gegangen und nun hoffen die Bauern auf Hilfe vom Staat.

Heute ist Silvester und manche Menschen gehen noch zur Andacht in ein Kloster. Einige gehen erst Morgen dort hin, denn sie hocken noch bis weit nach Mitternacht vor ihren Häusern, trinken noch etwas, reden noch etwas verhalten miteinander und lauschen kommentarlos den Tönen der klagenden Musik, die seit Mitternacht bis zum Tagesbeginn erschalt, damit diejenigen Geister im kommenden Jahr fern bleiben, die noch kürzlich soviel Leid und Unglück über die Menschen gebracht haben.

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Prikthai (†2013)
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Re: Silvester 2010 im Isaan

Ungelesener Beitragvon Prikthai (†2013) » Mo Jan 03, 2011 11:33 am

Lieber Koratwerner

Du schreibst:
Meine Zeit wird bald abgelaufen sein. Deshalb freue ich mich über jeden Tag, an dem ich mich morgens noch bewegen und aufstehen kann. Kaum jemand der mich nicht so genau kennt, merkt das. Doch ich bereite mich auf meinen Abgang vor. Trotzdem kämpfe ich und bin dabei mir aus Europa hier nicht erhältliche Medikamente aus der Naturheilkunde zu beschaffen.

Als ich vor 10 Jahren fünf Bypässe bekam glaubte ich auch, mich auf das Ende vorbereiten zu müssen. Bis ende 2009 hielt ich mich dann dank einigen Medikamenten am Leben. Dann wurde nochmals operiert und ich sage Dir. So schnell geben unsere Motoren nicht auf. Denk positiv. Das ist mein Rat. Dazu wünsche ich Dir, dass Du noch lagen solche schönen Geschichten schreiben kannst.

Sawadee phimai
Prikthai

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Re: Silvester 2010 im Isaan

Ungelesener Beitragvon jogi » Mo Jan 03, 2011 6:15 pm

Sehr schöne Schilderung, Werner!
Frohes neues Jahr! Und ich hoffe auf weitere Berichte. Irgendwann musst Du ein Buch draus machen. Ich jedenfalls kaufe das dann.
Liebe Grüße an alle Leser
Jogi

Detlef aus Rostock
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Re: Silvester 2010 im Isaan

Ungelesener Beitragvon Detlef aus Rostock » Di Jan 04, 2011 12:16 am

Werner, deine Geschichten sind beeindruckend.
Wäre schade, jemanden zu verlieren, der uns so schöne Einblicke in die thailändische Seele gibt.

catweazle
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Re: Silvester 2010 im Isaan

Ungelesener Beitragvon catweazle » Fr Jan 07, 2011 7:30 pm

hallo detlef...
und ich war in rostock.... fast bei dir zu hause
Wer etwas haben möchte, was er noch nicht hatte, muß etwas tun, was er noch nie tat!

Detlef aus Rostock
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Re: Silvester 2010 im Isaan

Ungelesener Beitragvon Detlef aus Rostock » Fr Jan 07, 2011 10:39 pm

schade, ich war in Berlin, sonst hätten wir uns bestimmt gesehen. ;)
Gruß
Detlef

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koratwerner (†2012)
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Re: Silvester 2010 im Isaan

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Di Feb 01, 2011 8:37 pm

An Alle!

Manche Member geben hier im Forum passende, ergänzende aber auch kritische Kommentare zu den Themen. Andere Member benutzen einen Beitrag dazu, um sich persönlich öber ganz andere Dinge auszutauschen.

So ist das nun einmal! Trotzdem Friede, Freude, Eierkuchen.

:wiiee :wiiee :wiiee :wiiee :wiiee

Werner
Es ist nicht schwer zu wissen wie man etwas macht,
aber es ist schwer es auch zu tun!


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