Tischsitten

Tips, wie man als Neuankömmling in Thailand und im Isaan besser zurecht kommen kann; Erfahrungsberichte
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koratwerner (†2012)
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Tischsitten

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Do Aug 28, 2008 11:21 am

Tischsitten in Thailand

Auch in Thailand sitzt man beim Essen. Doch mit dieser Feststellung ist nicht gesagt, dass man so isst, wie wir es kennen. Zwar gibt es in Thailand in beinahe jedem Restaurant Tische, Stühle und Bänke und seit mehr als hundert Jahren gibt es auch Messer und Gabeln, doch die alte Tradition lebt mehr oder weniger in allen Bevölkerungsschichten innerhalb der Familie weiter und das ist die Sitzmatte.

Eine lange Zeit über war ich der irrigen Annahme, dass die zum Essen auf den Boden ausgebreitete Bastmatte nur bei der wenig gebildeten und armen Landbevölkerung noch anzutreffen ist. Ich habe mich geirrt, gewaltig geirrt.

Zwar gibt es fast in jedem Haus einen oder mehrere Tische und oft auch einige wenige Stühle, doch wenn kein Sozialprestige oder westlicher Nachahmungstrieb Tische und Stühle als zwingend notwendig erforderlich machen, wird viel lieber auf dem Fußboden von der Matte gegessen.

Die geflochtene Bastmatte, die zwar langsam aber sicher der Matte aus Kunststoff weicht, wird nicht nur zum Essen benötigt, auf ihr wird häufig auch geschlafen, das Essen vorbereitet und gewerbliche Heimarbeit ausgeführt. Die Matte gehört einfach zum täglichen Leben.

Auf dem Land liegt die Matte nicht immer auf dem Boden. Hier sieht man oft vor oder innerhalb der unten offenen Stelzenhäuser eine Sitzgelegenheit, die auf Holzfüßen angebracht ist, die etwa 60 cm hoch ragen. Diese Sitzgelegenheit misst etwa 1 x 2 Meter und besteht aus Brettern, über die man ebenfalls eine Sitzmatte ausbreitet. Unter der Bretterlage können dann die Hühner im Staub scharren oder Hund und Katz streiten sich hier um ein schattiges Plätzchen.

Wenn dann gar noch zwischen den Stützen der Häuser Hängematten angebunden sind, sieht das alles recht idyllisch aus. Der Hausherr, Pu Yai genannt, gönnt sich in der Hängematte ein Päuschen, die Hausfrau schnippelt die Zutaten für das Som Tam, der Nationalspeise im Isaan, zurecht und stampft es solange, bis der Saft aus den Papayaschnitzeln tritt und der müde Haushund gähnt und schaut teilnahmslos den in der Nähe spielenden Kindern zu.

Apropos Kinder. In den meisten Fällen werden die Kinder abgefüttert, bevor es sich die Erwachsenen auf der Matte bequem machen. Kinder sind laut, ungeduldig und brauchen auch nicht alles mitzubekommen, wenn die Erwachsenen beim Essen über die lieben Nachbarn herziehen. Die Rangen verziehen sich mit ihrem Teller auch viel lieber vor den immer angeschalteten Fernseher, als sich gesittet zwischen den Erwachsenen aufzuhalten. Das ist nicht nur auf dem Land bei den Bauernfamilien so, auch in der Stadt Korat habe ich oft erlebt, das der Nachwuchs sich beim Essen selbst überlasen bleibt.

Doch zurück zu den Tischsitten. Wie mancher ahnt und sich viele denken können, ist Reis das Hauptgericht in Thailand. Doch beileibe kein so schöner lockerer Reis, wie wir ihn von Onkel Bens aus Amerika kennen. Nein, der Reis muss etwas klebrig sein, damit man ihn mit der rechten Hand aus der Schüssel oder direkt aus dem Reiskoscher greifen und zu einem Kügelchen formen kann. Das ist wichtig, denn nur so kann der Happen bis etwas zur Hälfte in die Chilisoße getunkt werden und dabei nicht auseinander fallen. Dann wird er genüsslich in den Mund geschoben und unter lautem Schmatzen und ohne Unterbrechung des Redeflusses verzehrt.

Reis, Chilisoße und Beilagen stehen in Schüsseln gefüllt, mitten auf der am Boden ausgerollten Bastmatte. Rings herum hocken die Frauen mit zur Seite gestreckten Füßen und die Männer haben es sich im Schneidersitz bequem gemacht. Dabei wird peinlich darauf geachtet, dass die Füße nicht auf eine andere Person zeigen, das ist nämlich unhöflich.

Messer gibt es nicht. Doch jeder hat ein Plastiktellerchen vor sich stehen, auf dem wie verloren eine Gabel und ein Löffel liegen. Dann stehen da noch einige Wasserflaschen, jeder hat ein Glas und ich wundere mich immer über einige Rollen Toilettenpapier, die doch eigentlich…..! Doch lassen wir das, es geht ja hier um Tischsitten und nicht um die Beseitigung von Folgeerscheinungen des Essens.

Reis und Chilisoße ist klar, oder? Die Beilagen bedürfen aber noch einer Erläuterung. Da ist beispielsweise manchmal ein großer Fisch, fast so groß wie ein Kabeljau oder viele kleinere Fischchen, die so groß wie kleine Heringe sein können. Im Isaan sind das meistens Süßwasserfische aus den Flüssen, Teichen oder den Tümpeln von den Reisfeldern. Zwar gibt es auch im Isaan Meeresfische, doch die sind teuer und deshalb nicht schmackhaft. Fische aus dem Tümpel dagegen sind immer schmackhaft, selbst wenn sie nach Moder schmecken. Die mit der Hand von den Gräten gepulten Stückchen werden ja auch noch durch die eine oder andere Chilisoße gezogen.

Zünftig zubereitet ist der Fisch nicht ausgenommen und wird samt Kopf und Flossen in Kräutersud gekocht oder gebraten und auf einer Platte serviert. Schweine- und gar Rindfleisch kommt seltener auf die Bastmatte, wenn aber, dann ist es meistens samt der Knochen mundgerecht in Stücke zerhackt und in einem süßen Blättersud gekocht.

Häufiger findet jedoch ein ebenfalls klein gehacktes Hühnchen den Weg auf die Bastmatte. Das ist sogar oft richtig schön durchgebraten, so dass ich es als Gummigai bezeichne. Gai ist der Name für Huhn und meine Frau streitet es immer entschieden ab, wenn ich die furchtbar zähen Stückchen so bezeichne.

Da alles Fleisch mundgerecht zerkleinert ist, erübrigt sich der Gebrauch von Gabel und Löffel. Alles erledigen die Finger der rechten Hand.

Ohne Chili wandert kein Bissen in den Mund, denn außer dem Wasser muss alles, aber auch wirklich alles nach diesem scharfen Zeugs schmecken. Dass dabei der Eigengeschmack einer jeden Komponente unweigerlich verloren geht, ist ohne jegliche Bedeutung.

Mit den Gemüsebeilagen verhält es sich analog. Was heißt hier Gemüsebeilagen? Vielleicht verirren sich einige Blätter Weißkohl auf die Bastmatte, ansonsten besteht das Gemüse aus irgendwelchen stielartigen Pflanzen mit mehr Stiel als Blättern. Die sind manchmal etwas vorgegart, in der Regel aber roh. Auch sie werden, wie der klebrige Reis, zusammengeknüllt und gefaltet, selbstverständlich erst in die Chilisoße und dann in den Mund gesteckt.

Ja und die Teller, Gabel und Löffel? Ist das etwa Dekoration? Nein, den manchmal kann der Mund die eifrig hinein geschobenen Menü-Bestandteile nicht alle fassen. Dann wird einfach kräftig abgebissen und der vom Mund fallende Rest wird mit dem Tellerchen geschickt aufgefangen. Mit der Gabel wird sodann dieser Rest auf den Löffel geschoben und in den nunmehr wieder aufnahmefähigen Mund gebracht.

Da beim Essen nicht nur gegessen und geredet, sondern auch viel Wasser getrunken wird, dient das Toilettenpapier zur Reinigung der Hände. Anstand muss sein. Sieht doch nicht schön aus, wenn das saubere Trinkglas mit Speiseresten beschmiert wird, oder? Ja, und dann wandert das benutzte Papier auf die schönen Plastiktellerchen, wo sie langsam zu einem kleinen Häufchen anwachsen.

Lieber Leser. Nur so schmeckt ein richtiges zünftiges Essen im ursprünglichen Thailand nach alter Tradition und neuerer Gewohnheit. Neue Gewohnheit? Ja natürlich, hab ich ganz vergessen. Gabel und Löffel sind neuere Errungenschaften. Vordem wurde stattdessen mit Stäbchen hantiert. Das geschieht heute auch noch, doch nur selten, nur dann wenn die Speisen fast wie bei einer feierlichen Zeremonie zelebriert werden.

Ist der Personenkreis um die Schälchen und Schüsseln in der Mitte der Bastmatte so groß, dass nicht jeder mit seiner Hand, ohne sich aufrichten zu müssen, überall hinein- und heranlangen kann, dann wird das herüber gereichte Tellerchen von einer anderen Person gefüllt. Viel häufiger ist es aber der Fall, dass hilfreiche Hände die einzelnen Dinge von Hand zu Hand direkt übergeben.

Man ist freundlich und wer etwas unbeholfen ist oder etwas weiter weg sitzt, dem wird von den anderen geholfen. Es wird also direkt angereicht oder auch schon einmal sein Teller gefüllt. Dabei kann es aber auch schon einmal passieren, dass ein Nachbar sich flink ein schönes Stückchen Fleisch von seinem Teller fischt, denn alles gehört jedem.

Diese schönen Tischsitten findet ein Tourist in keinem Restaurant, noch nicht einmal im traditionsbewussten Isaan. Das gibt es nur im Freundes-, Bekannten und Familienkreis.

Warum eigentlich? Nachher will ich doch mal ernsthaft mit meiner Frau darüber sprechen. Wir könnten doch in einen Touristenort übersiedeln und da ein original Isaan-Restaurant betreiben. Thaimädels aus dem Isaan, die sich darüber freuen würden, gibt es doch überall in Hülle und Fülle und die Touristen hätten dann schöne Video- und Fotomotive über Tischsitten aus dem ursprünglichen Thailand.

Für machen Farang ist es zu Anfang im Isaan höchst erstaunlich, dass sich bei fast jeder Party auf dem Land mehr oder weniger Nachbarn einfinden. Sie bemerken, dass da etwas los ist, sind neugierig und sie erscheinen. Da ihnen höflicherweise immer Essen angeboten wird, langen sie eifrig zu und die Männer verachten auch nichts Alkoholisches.

Auf dem Land ist diese Sitte weit verbreitet. In Korat, wo ich lebe, sind die Einheimischen jedoch etwas zurückhaltender. Doch was soll man machen, um nicht unhöflich zu erscheinen? Ist bei meinem Freund oder bei mir etwas los, ist draußen die Sitzmatte ausgebreitet, dann hat ganz zufällig der Nachbar oder die Nachbarsfrau von Gegenüber, irgendetwas im Garten zu tun oder die Wäsche wird aufgehängt gegebenenfalls wird auch das Auto oder das Motorrad ein wenig gewienert.

Einige Wortfetzen fliegen hin und her und schwups wird die höflich ausgesprochene Einladung Folge geleistet. Umgekehrt geht es aber auch. Manchmal hole ich Don aus der Stadt ab und wenn wir heim kommen, sitzt oft unser Nachbar mit einigen Freunden beim Bier auf seiner Terrasse. Sobald wir aus den Wagen geklettert sind gestikuliert er schon von weitem und bedeutet uns an seiner Party teilzunehmen.

Nett finde ich, dass mancher sich seine Getränke mitbringt und wenn es gar alkoholisches ist, dann wird es aufgeteilt. Weniger schön ist es, dass man so im laufe einiger Stunden verschiedene Biersorten durcheinander trinkt und wenn es sich gar um harte Getränke handelt, kann sich jeder vorstellen, was dieses Durcheinander letztlich bewirkt.

Wenn sich auf der Matte die Schüsselchen langsam leeren, steht manchmal die eine oder andere Frau auf, geht in ihre Wohnung und kommt dann mit irgend etwas essbarem wieder zurück, was dann selbstverständlich ebenfalls reihum geht.

Wer wenig hat, steuert nur etwas zu der Party bei, wer etwas mehr hat, der bringt auch schon einmal eine Flasche Whisky mit. Da ein Farang bekanntlich immer etwas mehr hat, achtet meine Frau höllisch darauf, dass immer ein Karton Bier und eine Flasche hochprozentiges im Haus ist und niemals habe ich den Eindruck gewonnen, dass wir nur deshalb in den Kreis einer lustigen Gesellschaft einbezogen wurden.

Da ich weder thailändisch noch englisch spreche, darf Don übersetzen und das ist oft für alle sehr belustigend und besonders amüsant, wenn sich dabei kleine Missverständnisse einschleichen und sich dann doch noch aufklären.

Nun, ich hab mich an diese Sitte gewöhnt und finde sie noch nicht einmal schlecht. Woran ich mich allerdings noch nicht gewöhnt habe, dass ist die Angewohnheit vieler Thais irgendwann wortlos aufzustehen und ohne sich zu verabschieden einfach wortlos verschwinden.

Bei den Stadtmenschen weniger, bei den Dorfbewohnern fast ausschließlich, erheben sich die Gäste, stecken sich oft noch einen Bissen in den Mund und sind einfach weg. Don meint, sie machen das, um den Kreis nicht zu stören, um das Gespräch nicht zu unterbrechen und? Mehr kann sie mir aber auch nicht dazu sagen.

Sie allerdings macht es mir nach und wenn wir verschwinden, geht das zumindest mit einem „Dankeschön“ und freundlichem Winken über die Bühne.
Zuletzt geändert von koratwerner (†2012) am Fr Sep 05, 2008 11:26 am, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Ergänzung am 5.10.2008
Es ist nicht schwer zu wissen wie man etwas macht,
aber es ist schwer es auch zu tun!

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