Die Spaltung der thailändischen Gesellschaft

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koratwerner (†2012)
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Die Spaltung der thailändischen Gesellschaft

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Sa Apr 04, 2009 11:26 am

Nachstehender Artikel wurde von J. A. am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin als Semesterarbeit eingereicht. Er wird hier mit ausdrücklicher Erlaubnis des Autors wiedergegeben. Zur besseren Darstellung in diesem Forum wurde er etwas umformattiert. Fußnoten und Literaturnachweise wurden entfernt. Diese können aber dem Original entnommen werden, das als PDF-Dokument hier heruntergeladen werden kann.

Regionales Ungleichgewicht in Thailand

1. Einleitung

Die Hauptstadt steht traditionell im Mittelpunkt der Entwicklung Thailands. Bangkok ist dabei nicht nur das dominante Zentrum des Landes, die Stadt hat sich auch zu einer bedeutenden Metropole im gesamten asiatischen Raum entwickelt. Bangkok als Zentrum spiegelt die ungleiche Entwicklung zu den anderen Regionen Thailands in verschiedener Form wieder, vor allem im Gegensatz zu den unterentwickelten Provinzen im Nordosten des Landes. Lange Zeit wurde die Hauptstadt als das einzige Wachstumszentrum des Königreiches beschrieben und Thailand als ein Staat, dessen einzige Basis Bangok ist.

Im Folgenden werden ausgehend von einem theoretischen Strukturmodell, Ursachen, Abläufe und Folgen dieser Entwicklung gezeigt.

In Kapitel zwei wird dazu das Zentrum/Peripherie-Modell erläutert. Neben den Aussagen des Sozialwissenschaftlers Niclas Luhmann, steht die ökonomische Raumtheorie von Paul Krugman im Mittepunkt dieses Kapitels. Dieser hat damit die Entstehung von Zentren und Peripherien und deren Wechselwirkungen aus wirtschaftlicher Sicht wissenschaftlich dargestellt und begründet.

Die Wirksamkeit dieses Modells zeigt sich in Kapitel drei am Beispiel von Thailand. Dort wird die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung von Bangkok als Zentrum und der Provinzen im Nordosten des Landes als Peripherie beschrieben. Pasuk Pongpaichit und Chris Baker, auf die hierbei Bezug genommen wird, haben in ihrer Forschungsliteratur diese unterschiedliche Entwicklung in Thailand sehr anschaulich und treffend dargestellt. Das dadurch entstandene Strukturgefälle führte zu erheblichen Unterschieden, Spannungen sowie Polarisierungen in der thailändischen Gesellschaft, die sich im aktuellen Geschehen in verschiedener Weise wiederfinden. Diese Probleme sind der abschließende Inhalt von Kapitel drei.

Auf Grund der erheblichen Ungleichverteilung des Wohlstands, bergen sie große Risiken für eine zunehmende soziale Spaltung und für gewaltsame Konfrontationen in Thailand.

2. Das Zentrum/Peripherie-Modell

Der Begriff Systemdifferenzierung mit bestimmten einteilenden Kategorien, wozu auch die Zentrum/Peripherie-Differenzierung gehört, wurde für gesellschaftliche Zusammenhänge von den Sozialwissenschaften entwickelt und geprägt. Niclas Luhmann führt dazu aus, dass diese Differenzierung bereits ansatzweise in vormodernen segmentären Gesellschaften existierte. Sie entstand im Zusammenhang mit der Herausbildung dominanter Zentren im Fernhandel. Dabei wurde die beherrschende Stellung des Zentrums dazu benutzt, um vor allem stärkere Rollendifferenzierungen, wie Arbeitsteilung einzurichten. Besonders das Zentrum mit seinen Errungenschaften bildete Abhängigkeiten von dieser Differenzierungsform, während die Peripherie mit ihrer segmentierten Struktur von Familienhaushalten auch ohne Zentrum überlebensfähig war. Luhmann erklärt weiterhin, dass eine Systemdifferenzierung ein sehr dynamischer und vielschichtiger Prozess ist, wobei jede Veränderung eine vielfache Veränderung nach sich zieht. Es werden Kausalketten ausgelöst, Abhängigkeiten und auch Unabhängigkeiten nehmen gleichzeitig zu.

Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften hat Paul Krugman die Entstehung von urbanen industriellen Zentren im Rahmen einer ökonomischen Raumtheorie untersucht. Dabei geht er von einem Gleichgewichtsmodell zweier unterschiedlicher Standorte aus, wobei der eine landwirtschaftliche Güter und der andere Fertigwaren erzeugt. Die Dynamik der Veränderung zwischen beiden Standorten ist dabei abhängig von der Entwicklung der Transportkosten, der jeweiligen Skalenerträge und der Nachfrage nach Arbeitskräften. Laut Krugman sind Skalenerträge sinkende Erzeugungskosten je Produktionseinheit mit steigender Ausbringungsmenge. Massenproduktionsvorteile begünstigen so das Entstehen von Zentren. Besserer Marktzugang und hohe Skalenerträge sind stärkere Entscheidungskriterien, noch vor den Lohnkosten, so lange erhebliche Transportkosten entstehen.

Krugman behauptet, dass nur eine deutliche Senkung der Transportkosten die Stellung der Peripherie in Zusammenhang mit ihren niedrigeren Lohnkosten verbessern würde.

3. Regionales Ungleichgewicht in Thailand

Auf die aktuelle Bedeutung der im Kapitel zwei angeführten Theorien, wird nun in diesem Kapitel am Beispiel von Thailand eingegangen. Das Land wandelte sich im Laufe einer Generation grundlegend. Hauptsächlich fand eine vertiefende Spaltung zwischen Stadt und Land und speziell zwischen dem Zentrum Bangkok und der Peripherie, den Bergregionen im Norden, den südlichen Grenzprovinzen und dem rohstoffarmen Nordosten statt. Der größte Gegensatz hat sich dabei zwischen Bangkok und dem Nordosten entwickelt, wie er im Folgenden beschrieben wird.

3.1 Bangkok – das dominante Zentrum

Die historische Struktur des thailändischen Staates beruht traditionell auf einer Machtund Verwaltungskonzentration in einem Zentrum mit der Schwerpunktlegung auf Handelstätigkeit und Arbeitskräftekonzentration. Nach der Zerstörung der alten Hauptstadt Ayutthaya durch die Burmesen im Jahr 1767, entstand in 1782 am Fluss Chaophraya als neue Hauptstadt von Siam Thonburi-Bangkok, die thailändisch mit dem Kurznamen Krungthep bezeichnet wird. Siam wurde dann im Jahr 1939 in Thailand umbenannt.

Bangkok entwickelte sich in der Folgezeit zu einer bedeutenden Handelsmetropole, begünstigt durch die direkte und kurze Verbindung zum Meer über den Chaophraya. Vor allem der Handel mit China brachte der Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung und veränderte gesellschaftliche Strukturen grundlegend. Der Export von Reis wurde zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Eine kleine Zahl von chinesisch-stämmigen Reisbaronen bildete Anfang des 20. Jahrhunderts die neue Handelselite von Bangkok. Eine große Zahl chinesischer Migranten kam zwischen dem frühen 19. Jahrhundert und dem Jahr 1950 nach Thailand und siedelte sich vor allem in Bangkok an. Chinesischstämmige Händler waren es dann auch, die den industriellen Wandel in Thailand, und vor allem in Bangkok bestimmten und die wichtigsten Handelsgemeinschaften gründeten. Diese Familien kontrollieren bis heute wichtige Bereiche der thailändischen Wirtschaft.

Der Standortvorteil von Bangkok verstärkte sich immer mehr. Zwischen den Jahren 1985 und 1996 gab es einen regelrechten industriellen Boom in der thailändischen Wirtschaft, gefördert durch einen hohen Zufluss von ausländischem Investitionskapital. Da die wichtigsten Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen, wie auch alle wichtigen Banken sich in Bangkok befanden, waren die Gründungskosten für neue Unternehmen dort wesentlich geringer als anderswo in Thailand. Die Hafennähe und eine immer weiter ausgebaute urbane Infrastruktur waren wichtige Kriterien für die Standortwahl wirtschaftlicher Unternehmen, die sich verstärkt in Bangkok ansiedelten. In zehn Jahren erhöhten sich die Exportzahlen von hergestellten Gütern um das zwölffache. Im Jahr 1980 kamen noch drei Fünftel des Exports aus der Landwirtschaft, in 1995 waren es dann über vier Fünftel aus hergestelltenGütern.

Dieser Boom machte speziell Bangkok zu einem dominierenden Faktor in der Wirtschaft Thailands. Es entstand eine städtische Mittelschicht, Geschäftsleute bildeten eine neue, aufstrebende, vermögende, gesellschaftlich selbstbewusste und politisch
einflussreiche Elite. Im Jahr 2002 waren 40 Prozent der thailändischen Wirtschaft in Bangkok konzentriert, aber nur 9,5 Prozent der Bevölkerung. Das Einkommen der Menschen in Bangkok war 9,5-mal größer als das Durchschnittseinkommen im restlichen Thailand. Besonders groß war der Einkommensunterschied zu den Menschen im Nordosten des Landes, die im Landesdurchschnitt das niedrigste Einkommen erzielten. Die Konzentration von Industriebetrieben in und um Bangkok hat dann eine weitere Konzentration von Dienstleistungsunternehmen und Arbeitskräften nach sich gezogen. Zwischen den Jahren 1984 und 1996 wuchs die Zahl an Arbeitskräften in der verarbeitenden Industrie von zwei auf ca. fünf Millionen, die städtische Bevölkerung von Bangkok erhöhte sich um ca. vier Millionen Menschen. Ein Großteil dieser Leute kamen aus den weit ärmeren nordöstlichen Provinzen des Landes, viele von ihnen nur vorübergehend als Wanderarbeiter. Im Jahr 1990 gab es im GroßraumBangkok 1.404Slums mit über 1,2 Millionen Bewohnern.

3.2 Der Nordosten – unterentwickelte Peripherie

Der Nordosten von Thailand, auch landestypisch Isan genannt, umfasst ca. ein Drittel der Gesamtfläche mit ca. einem Drittel der Bevölkerung des Landes.12 Der Isan besteht aus 19 Provinzen, das Zentrum bildet das Khorat-Plateau, eine 100-300 Meter über dem Meeresspiegel liegende Ebene. Die Böden dieses Plateaus sind sehr sandig und nährstoffarm. Die zunehmende Versalzung und Erosion dieser Böden kommt noch hinzu, in Folge von unkontrollierter Abholzung der früher weite Flächen des Landes bedeckenden Wälder zur Gewinnung landwirtschaftlicher Nutzfläche. Auch vom Klima her unterscheidet sich der Isan vom Rest des Landes. Festlandklima, mit hohen Temperaturen im Sommer und relativ kalten Wintermonaten erzeugt extremewechselnde Wetterbedingungen. Während es in der Regenzeit zu Überflutungen kommt, die sandigen Böden das Wasser nicht halten können, führen in den heißen Sommermonaten Dürreperioden zu Austrocknung und Erosion. Dabei ist die Landwirtschaft fast die einzige Erwerbsquelle in dieser Region. Mitte der 1990er Jahre kamen dort vier Fünftel des Einkommens aus dem Agrarsektor, davon 43 Prozent aus Lohnarbeit. Wegen des geringen Wasserrückhaltevermögens ist der Reisanbau dabei nur in tiefer gelegenen Bereichen und nur auf sehr kleinen Feldern möglich. Im Gegensatz zur Reiskammer Thailands, dem Mündungsdelta der größeren Flüsse in Zentralthailand, wo in der Regel zwei Reisernten pro Jahr erfolgen, ist hier nur eine Reisernte im Jahr erreichbar. Somit ist das erzielbare Einkommen auch sehr gering und reicht meist nur für den täglichen Bedarf an lebensnotwendigen Dingen.

Diese widrigen Lebensumstände führten zu einer hohen Migrationsrate der Landbevölkerung in die Städte und vor allem in das Arbeitskräfte suchende, boomende Bangkok. In den späten 1970er Jahren gingen über eine Millionen Menschen in der Trockenzeit, wenn nichts zu tun war auf den Reisfeldern, für drei bis sechs Monate als Arbeitskräfte in die Großstadt. Zeilen des damals populären Liedes, „I won’t forget Isan”, beschreiben diese Situation sehr gut: „I’m poor and that’s why I have to leave you to find money in Bangkok. Please wait until I save enough”. Der Mangel an Bargeld auf dem Land bewegte die Menschen dazu, sich für einen bestimmten Zeitraum als Arbeitskräfte in der Großstadt zu verdingen. Das waren dann auch meist keine qualifizierten Jobs, da ihnen hierfür die entsprechende Bildung fehlte. Das wenige Geld, was sie für ihre schweren Hilfsarbeiten erhielten, schickten sie an ihre Familien in den Isan. Auch war ihre Intention stets die Rückkehr zu ihrer Familie, so dass sie in Bangkok nie wirklich heimisch wurden. Die Großstadt blieb ihnen fremd, oft arbeiteten sie zusammen und wohnten gemeinsam in billigen Massenunterkünften unter sehr einfachen Verhältnissen.

3.3 Die Spaltung der thailändischen Gesellschaft

In den 1930er Jahren beschrieb eine Bangkoker Zeitung den Bauern als die Grundlage der Wirtschaft des Landes. Bis in die 1970er Jahre war der landwirtschaftliche Export die Basis der städtischen Wirtschaft, was sich danach grundlegend änderte. Während die Landwirtschaft stagnierte, wuchs die Industrie mit 15 Prozent pro Jahr. Die städtische Wirtschaft benötigte nun billige Arbeitskräfte und natürliche Ressourcen aus den ländlichen Gegenden. Jedoch behielt die Landwirtschaft eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft. Die Masse der Bevölkerung lebte und arbeitete noch auf dem Land. Diese Menschen hatten in einem „bäuerlichen Jahrhundert“ eine eigene ländliche Kultur und Gesellschaft gebildet, welche sich der Ausbreitung neuer städtischer Entwicklungen widersetzte. Da die Produktivität in der Landwirtschaft gering war, blieb die Masse der ländlichen Bevölkerung arm. Diese Menschen waren zwar einerseits arm, bewahrten sich aber ihren Stolz und eine traditionelle Kultur. Da sich an den grundlegenden Lebensbedingungen auf dem Land wenig veränderte, entscheidende Wirtschaftsstrukturen wurden nur im Großraum von Bangkok gefördert, nahmen die Differenzen zwischen Zentrum und Peripherie immer mehr zu. Die extrem unterschiedliche regionale Entwicklung zeigt auch, dass nicht alle sozialen
Gruppen gleichmäßig an diesem wirtschaftlichen Aufschwung partizipiert haben. Schon traditionell waren die Disparitäten bei Einkommen und Besitz zwischen Armen und Reichen in der thailändischen Gesellschaft ausgeprägt. Diese Gegensätze haben sich allerdings weiter drastisch verstärkt. Eine kleine Gruppe von Reichen ist immer reicher geworden, während eine zahlenmäßig große Gruppe von Armen ihre Position nur wenig verbessern konnte. Armut in Thailand ist hauptsächlich ein ländliches Problem und vor allem im Isan vorhanden. Im Jahr 2008 registrierte die Weltbank 88 Prozent von 5,4 Millionen in Armut lebenden Thailändern in ländlichen Gegenden und davon ca. die Hälfte im Nordosten des Landes. Drei Fünftel von ihnen waren Bauern, ein Fünftel arbeitete im Handel oder in der Industrie und ein Fünftel war wirtschaftlich inaktiv.

So entstanden zwei Parallelwelten, mit sehr unterschiedlichen Lebensverhältnissen, jedoch in einem engen gegenseitigen ökonomischen Abhängigkeitsverhältnis. Die damit verbundenen Wechselwirkungen in den verschiedensten Lebensbereichen führten zu erheblichen Spannungen und Konfrontationen im täglichen Miteinander, so auch in derPolitik. Mit einem hohen Bevölkerungsanteil fallen auf den Nordosten mehr als ein Viertel aller Parlamentssitze. Die Mobilisierung dieser politischen Macht gelang erstmalig ingroßem Umfang Thaksin Shinawatra, einem chinesisch-stämmigen Unternehmer aus der nordthailändischen Stadt Chiang Mai. Er förderte die ländlichen Regionen wirtschaftlich, was zuvor nie in diesem Umfang geschehen war. Mit Schuldenerlass, mehr Landrechten für die Bauern, Vergabe von Kleinkrediten, Ausbau der Infrastruktur und einer günstigen Krankenversicherung erhielt er eine gewaltige Popularität. Diese sicherte ihm zwischen den Jahren 2001 und 2006 das Amt als mehrheitlich gewählter Premierminister. Stimmenkauf war dabei eine traditionell gängige Wahlpraxis, die von allen Parteien eingesetzt wurde. Da Thaksin die politische Macht ebenfalls in großem Umfang für eigene Interessen gebrauchte, wurde er zu einem der reichsten Unternehmer Asiens. Jedoch konnte er sich der Gefolgschaft der ländlichen Massen sicher sein, da er im Unterschied zu den bisherigen Machthabern und Politikern, spürbare Verbesserungen der Lebensbedingungen in den ländlichen Regionen von Nord- und Nordostthailand einleitete.

Seine Macht sicherte sich Thaksin auch durch ein persönliches Klientelnetzwerk in Militär, Großindustrie und in anderen Parteien ab, indem er Schlüsselpositionen mit eigenen Vertrauten besetzte und Vergünstigungen erteilte. Dem gegenüber standen die alten Eliten von Militär, Aristokratie sowie große Bangkoker Wirtschaftskreise, welche unter Thaksin einen Machtverlust hinnehmen mussten und mit Misstrauen seine populistische Politik verfolgten. Thaksin finanzierte sein populistisches Programm vor allem mit erhöhten Steuern der städtischen Mittelschicht, die er so gegen sich aufbrachte. Das Militär, welches er durch personelle Eingriffe ärgerte, in enger Verbindung mit (...) (entfernt von Admin.), welchem seine große Popularität gefährlich erschien, stürzte ihn letztendlich im September des Jahres 2006 mit einem Militärputsch, als er sich in New York aufhielt.

Unter Zuhilfenahme der Justiz wurde Thaksin der Korruption angeklagt und seine Partei, die Thai Rak Thai (TRT), wurde wegen Stimmenkaufs verboten. Thaksin ging im Jahr 2007 in das Ausland, da er ansonsten mit einer Haftstrafe in Thailand rechnen musste. Auch die Folgepartei der TRT, die People Power Party, Phak Palang Prachachon (PPP), welche mit einem Wahlerfolg im Dezember 2007 für kurze Zeit an die Macht kam, wurde im Dezember 2008 wegen Stimmenkauf verboten.23 Seitdem hat
die Demokratische Partei, Pak Prachatipat (PP), eine Übergangsregierung gebildet und den Premierminister gestellt.

Das Jahr 2008 war in Thailand geprägt von dieser tiefen gesellschaftlichen Spaltung. Zwei große Massenorganisationen, die People`s Alliance for Democracy (PAD) und die United Front of Democracy against Dictatorship (UDD) trafen in Bangkok in offenen Konfrontationen aufeinander. Sie stehen stellvertretend für die Polarisation in der thailändischen Gesellschaft. Während die PAD in der königlichen Farbe gelb die Interessen der Eliten des Landes vertritt und dabei starke Unterstützung vom Militär
erhält, formiert sich in der rot gekleideten UDD der Widerstand der ländlichen Massen und einiger progressiver Intellektueller sowie aller Thaksin treuen Gefolgsleute. Es ist ein ungleiches Kräfteverhältnis. Auf der einen Seite die geballte Macht der
Staatsbürokratie, ausgestattet mit königlicher Legitimation, unterstützt durch das Militär und die wirtschaftliche Elite, auf der anderen Seite eine Koalition der ländlichen Bevölkerung, zwar zahlenmäßig überlegen, doch ohne wirksame Machtmittel.25
Diese Lage ist voller Brisanz, und es bleibt abzuwarten, wie die weitere Entwicklung in Thailand verläuft.

4. Fazit

Das regionale Ungleichgewicht ist in Thailand besonders stark ausgeprägt und verkörpert so deutlich das Differenzierungsmodell von Zentrum und Peripherie, wie es in Kapitel zwei an Hand von Luhmann beschrieben wurde. Bangkok hat sich über den
Fernhandel als dominantes Zentrum des Landes herausgebildet und diese beherrschende Stellung genutzt, um stärkere Rollendifferenzierungen zur Peripherie in seinem Interesse einzurichten. In diesem Entwicklungsprozess diente vor allem die ländliche Bevölkerung als Pool für billige Arbeitskräfte, wie ich es in Kapitel drei erläutert habe. Wie Luhmann theoretisch allgemein beschrieb, war diese Entwicklung auch praktisch in Thailand ein sehr dynamischer und vielschichtiger Prozess, mit einer kausalen Folge von vielen weiteren Veränderungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft. Diese Veränderungen führten zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze, vor allem zwischen Bangkok und den nordöstlichen Provinzen, worauf im vorigen Kapitel ausführlich eingegangen wurde.

Auch die ökonomische Raumtheorie von Krugman ist am Beispiel von Thailand gut nachvollziehbar. Bangkok, mit monopoler Stellung bei der Erzeugung von Fertigwaren, hatte sämtliche entscheidende Faktoren für den Erhalt und Ausbau seiner zentralen
Stellung. Eindeutige Massenproduktionsvorteile sichern hohe Skalenerträge, da niedrigeTransportkosten durch günstigen Marktzugang zum einen geographisch gegeben, als auch infrastrukturell geschaffen wurden. So ist Bangkok durch seine Lage am Fluss Chaophraya, mit kurzer Verbindung zum Meer und einem angeschlossenen ausgebauten Hochseehafen, sowie einem modernen internationalen Großflughafen, bisher in konkurrenzloser Situation in Thailand. Da bisher auch sämtliche Entwicklungen und Investitionen auf den Großraum von Bangkok konzentriert wurden, hat sich eine immer größere Differenz zur Peripherie des ländlichen Umlandes gebildet.

Zwar sind inzwischen auch die Lohnkosten in Bangkok erheblich gestiegen, doch ist die Infrastruktur im restlichen Thailand und vor allem im Isan vergleichsweise so schlecht entwickelt, dass dortige Lohnkostenvorteile gemessen an den erheblichen
Transportkosten kaum Bedeutung erlangen. Um diese extremen Unterschiede in Wirtschaft und Gesellschaft zu überwinden, bedarf es einer verstärkten strukturellen Entwicklung der Peripherie in Thailand. Dann könnte sich auch der dortige Lohnkostenvorteil positiv auswirken. Über eine verbesserte Infrastruktur würden die Transportkosten deutlich sinken und ein besserer Marktzugang wäre möglich. So könnte man auch in der Peripherie Massenproduktionsvorteile schaffen und die Skalenerträge erhöhen. Doch zuvor müsste erst ein deutliches Umdenken bei den Eliten in Thailand stattfinden. Ohne einvernehmliche Lösung der bestehenden Konflikte, einem Abbau der Ungleichheiten sowie einer Veränderung im Bangkoker Dominanzverhalten, wird diese Spaltung in der thailändischen Gesellschaft weiter bestehen und sich eher noch
verstärken.



Anmerkung des Administrators: Die thailändische Strafgesetzgebung verletzende Aussage hinsicht der Beteiligten am Miltärputsch vom 19. Sept. 2006 entfernt.
Es ist nicht schwer zu wissen wie man etwas macht,
aber es ist schwer es auch zu tun!

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Re: Die Spaltung der thailändischen Gesellschaft

Ungelesener Beitragvon KoratCat » Sa Apr 04, 2009 3:40 pm

Pläne des "rural development" (RD), der ländlichen Entwicklung, hat es in Thailand schon lange und immer wieder gegeben. Sie wurden auch zu einem großen Teil umgesetzt. Schon allein deshalb, weil die Bewohner der industriellen Ballungsgebiete auf die landwirtschaftlichen Produkte zur Ernährung angewiesen sind. Wer sein Wissen nicht nur aus polemischen Darstellungen politischer "Kämpfer" mit eigenen Interessen bezieht sondern objektiv die strukturelle Entwicklung in Gebieten wie dem Isaan sieht, wird feststellen, dass sich da auch entgegen der Darstellung des Verfassers jener Semesterarbeit sehr viel getan hat. Die Infrastruktur ist sehr erheblich verbessert worden, was zur Ansiedelung auch größerer Fabriken und besserer Versorgung der Bevölkerung geführt hat. Insbesondere haben die industriellen Produzenten der Ballungsgebiete auch erkannt, dass der Absatz in den strukturschwachen Gebieten in erster Linie durch Strukturverbesserungen gefördert werden kann.

Was der Verfasser m. E. völlig übersehen hat, sind Bildungsgefälle und der Drang nach sozialer Mobilität als nicht unwesentliche Ursachen der Spaltung.

Denn bevor die Bildungsstruktur verbessert werden kann, müssen erst einmal die Voraussetzungen zu einer Verbesserung geschaffen werden. Das bedeutet nicht nur, dass Lehrer erst einmal zu einem effektiven Unterrichten ausgebildet werden müssen. Dann müssen Schulen entsprechend ausgerüstet und auch ein gerechter Zugang zu jenen muss ermöglicht werden. Und die Didaktik des Unterrichtens eines, der ohnehin schon alles weiss, oder eines, der darauf wartet Wissen eingetrichtert zu bekommen, muss auch erst noch entwickelt werden. Ein großes Hindernis wirklicher "Schulung" ist die Thai Mentalität des Gesichtsverlustes. Rhetorische Fragen eines Lehrers, um damit die Aufmerksamkeit für seine nachfolgenden Erläuterungen zu erzeugen, prallen meist am Schüler ab; der erwartet fertiges Wissen statt der Befähigung sich selbst zu bilden. Diese Mentalität ist in den ländlichen Gebieten besonders stark ausgeprägt.

Doch der größte Feind der Überwindung einer Spaltung ist die mangelnde Solidarität, der eigene Drang, "zur anderen Seite zu gehören"; Menschen im Isaan sind nicht gleich Menschen im Isaan. Und es ist schon mal gar nicht zutreffend, die Isaanbevölkerung stünde unbedingt und immer mit überwältigender Mehrheit hinter Thaksin und seinen Rothemden: auch hier hat sich eine bürgerliche Schicht entwickelt, auch wenn sie nicht dem urbanen Bürgertum entspricht. Aber die bürgerliche Schicht im Isaan ist fast noch mehr vom kompetitiven Denken, dem Wunsch nach sozialer Mobilität getragen. Zurück bleiben die, die aufgrund mangelnder Bildungschancen und hoher Beeinflussung durch Massenmedien soziale Mobilität als das Anhäufen von Konsumgütern missverstanden haben.
Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es! Erich Kästner, 1899 - 1974


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