Bürgerkriegsopfer in Burma
Verfasst: Mo Dez 14, 2009 5:21 am
Ein Plastikauge für Naing Htoo
Aus Burma berichtet Till Mayer
60 Jahre Bürgerkrieg, und noch immer liefern sich rivalisierende Milizen Gefechte im Dschungel von Burma. Die Opfer des Konflikts sind auf sich gestellt. Unterstützung kommt allein von deutschen Ärzten der Organisation "Freunde für Asien", die ehrenamtlich helfen und heilen.
Koukou - Drei Mal Tiger. Der Milizionär kann sein Glück kaum fassen. Um ihn herum ein anerkennendes Raunen. Er pfeift leicht durch die Zähne, als er seinen Gewinn einstreicht. 30 Baht bei einem Einsatz von nur zehn. Was für eine Nacht! Die beiden jungen Glücksfeen der Würfelbuden lächeln ihm vielsagend zu: "Spiel weiter Soldat! Der Tiger bringt dir Glück. Oder probier es doch mit der Kobra."
Pfauen, schwarze Elefanten und grüne Schlangen leuchten auf den großen Holzwürfeln, die im halbminütigen Takt eine kleine Holzwand herunterpoltern. Schon so oft, dass die Würfelecken rund geworden sind und die Tiere auf dem Holz zu verblassen beginnen.
Auf dem Marktplatz von Koukou drängen sich die windschiefen Glücksbuden dicht aneinander. Auf bunten Hockern sitzen die Spieler. Dahinter recken jene ihre Köpfe, die sich nicht einmal Cent-Beträge für ein Spiel leisten können. Nicht wenige der Glücksritter tragen die Tarnanzüge der DKBA, der Democratic Karen Buddhist Army.
Koukou, ein Nest mit staubigen Straßen und einem Tempel in der Mitte, ist Garnisonstadt. Aus zerbeulten Lautsprechern tönen stundenlang Lesungen der Mönche. Tagsüber schleppen Mönche und Tagelöhner Backsteine für eine neue Stupa.
Keine 500 Meter vom farbenprächtigen Tempel entfernt rollt heute der Würfel besonders oft. Eine Kompanie ist von der Front zurückgekehrt, die Kämpfer haben ihren schmalen Sold in der Tasche.
Seit 1948 tobt in dem Karen-Gebiet ein blutiger Konflikt
Koukou liegt nur einen Steinwurf vom Grenzfluss nach Thailand entfernt und trotzdem in einer anderen Welt. Einer, in der seit 1948 ein blutiger Konflikt seine Opfer fordert. Eine Welt, in der man auf eine gewisse Zukunft genauso sicher setzen kann, wie auf die bunten Tiere und Fabelwesen der Holzwürfel.
Naing Htoo hatte kein Glück im Leben. Mit einem Kameraden hetzte er durch ein Minenfeld. Seinem Kameraden riss es beide Beine ab, Naing Htoo verlor durch die gleiche Mine die linke Hand und Teile des Unterarms. Die Splitter verkrüppelten seine rechte Hand und hämmerten sich in sein Gesicht. Dabei blieben die Augen nicht verschont.
Jetzt sitzt er aufrecht auf der Holzpritsche. Stundenlang, mit steifem Rücken, und lauscht angestrengt in seine eigene Dunkelheit. Naing Htoo ist gerade 17 Jahre alt. Der junge Mann war stolz, als er vor wenigen Monaten zum ersten Mal die Uniform tragen durfte. "Ich wollte immer Soldat sein. Schon als Kind. Stark sein und für mein Volk kämpfen", sagt er leise. Der Teenager spricht nicht viel. Gestern war seine Schwester mit ihrem kleinen Kind zu Besuch da. Als Naing Htoo mit dem Kleinen spielte, lächelte er zum ersten Mal seit zwei Monaten. Die Freude, die über sein Gesicht huschte, war aber nur flüchtig.
Vor zwei Monaten rückte er zu seinem ersten Kampfeinsatz in den Dschungel aus. Es war zugleich sein letzter. Vergraben hatten die Sprengsätze Kämpfer, die noch vor Jahren Waffenbrüder waren. Bis sich die buddhistischen Karen von der christlich dominierten Karen National Liberation Army und ihrem politischen Arm, der Karen National Union (KNU), lossagten. Als DKBA kämpfen sie seit 1994 als autonome Miliz an der Seite der Regierungstruppen, dem ehemaligen Feind. Die KNLA, die einst große Teile des Karen-Gebiets unter ihrer Kontrolle hatte, wird seit Jahren mehr und mehr in den Dschungel zurückgedrängt.
Lieber Soldat als Bauer
Über Politik hat sich Naing Htoo selten Gedanken gemacht. In der DKBA zu kämpfen gilt als Ehre, sagt er. Was wäre die Alternative gewesen? Ein wehrloser und armer Bauer zu sein, so wie sein Vater?
Seit der Explosion lebt der Teenager in völliger Dunkelheit. Auf thailändischer Seite wurde ihm der Unterarm amputiert. Ein Auge durch ein Stück Plastik ersetzt. Dann kam der Rücktransport in das Militärhospital von Koukou. Jetzt lebt er in dem großen Patientensaal und versucht langsam zu verstehen, was mit seinem Leben geschehen ist.
"Das andere Auge hätte man retten können", sagt Wolfgang Hasselkus, als er den 17-Jährigen untersucht. Mit den richtigen Augentropfen, der richtigen Medikation, einer entsprechenden Operation. Naing Htoo hätte wahrscheinlich ein anderes, ein besseres Leben führen können.
Der 65-jährige Arzt aus dem oberfränkischen Rödental versucht, seine Enttäuschung zu unterdrücken: "Schon schlimm genug, dass der Junge seinen halben Arm verloren hat. Jetzt wird er sein ganzes Leben lang nicht mehr sehen können. Hätte ich ihn nur schon vor Wochen behandeln können."
Hasselkus ist Vorsitzender des Vereins "Freunde für Asien". Seit über 20 Jahren ist er im Karen-Gebiet von Burma aktiv, kommt mehrmals im Jahr in das Konfliktgebiet. Er hat mobile Kliniken aufgebaut, die abtransportiert werden können, wenn sich der Frontverlauf verändert.
wps
Aus Burma berichtet Till Mayer
60 Jahre Bürgerkrieg, und noch immer liefern sich rivalisierende Milizen Gefechte im Dschungel von Burma. Die Opfer des Konflikts sind auf sich gestellt. Unterstützung kommt allein von deutschen Ärzten der Organisation "Freunde für Asien", die ehrenamtlich helfen und heilen.
Koukou - Drei Mal Tiger. Der Milizionär kann sein Glück kaum fassen. Um ihn herum ein anerkennendes Raunen. Er pfeift leicht durch die Zähne, als er seinen Gewinn einstreicht. 30 Baht bei einem Einsatz von nur zehn. Was für eine Nacht! Die beiden jungen Glücksfeen der Würfelbuden lächeln ihm vielsagend zu: "Spiel weiter Soldat! Der Tiger bringt dir Glück. Oder probier es doch mit der Kobra."
Pfauen, schwarze Elefanten und grüne Schlangen leuchten auf den großen Holzwürfeln, die im halbminütigen Takt eine kleine Holzwand herunterpoltern. Schon so oft, dass die Würfelecken rund geworden sind und die Tiere auf dem Holz zu verblassen beginnen.
Auf dem Marktplatz von Koukou drängen sich die windschiefen Glücksbuden dicht aneinander. Auf bunten Hockern sitzen die Spieler. Dahinter recken jene ihre Köpfe, die sich nicht einmal Cent-Beträge für ein Spiel leisten können. Nicht wenige der Glücksritter tragen die Tarnanzüge der DKBA, der Democratic Karen Buddhist Army.
Koukou, ein Nest mit staubigen Straßen und einem Tempel in der Mitte, ist Garnisonstadt. Aus zerbeulten Lautsprechern tönen stundenlang Lesungen der Mönche. Tagsüber schleppen Mönche und Tagelöhner Backsteine für eine neue Stupa.
Keine 500 Meter vom farbenprächtigen Tempel entfernt rollt heute der Würfel besonders oft. Eine Kompanie ist von der Front zurückgekehrt, die Kämpfer haben ihren schmalen Sold in der Tasche.
Seit 1948 tobt in dem Karen-Gebiet ein blutiger Konflikt
Koukou liegt nur einen Steinwurf vom Grenzfluss nach Thailand entfernt und trotzdem in einer anderen Welt. Einer, in der seit 1948 ein blutiger Konflikt seine Opfer fordert. Eine Welt, in der man auf eine gewisse Zukunft genauso sicher setzen kann, wie auf die bunten Tiere und Fabelwesen der Holzwürfel.
Naing Htoo hatte kein Glück im Leben. Mit einem Kameraden hetzte er durch ein Minenfeld. Seinem Kameraden riss es beide Beine ab, Naing Htoo verlor durch die gleiche Mine die linke Hand und Teile des Unterarms. Die Splitter verkrüppelten seine rechte Hand und hämmerten sich in sein Gesicht. Dabei blieben die Augen nicht verschont.
Jetzt sitzt er aufrecht auf der Holzpritsche. Stundenlang, mit steifem Rücken, und lauscht angestrengt in seine eigene Dunkelheit. Naing Htoo ist gerade 17 Jahre alt. Der junge Mann war stolz, als er vor wenigen Monaten zum ersten Mal die Uniform tragen durfte. "Ich wollte immer Soldat sein. Schon als Kind. Stark sein und für mein Volk kämpfen", sagt er leise. Der Teenager spricht nicht viel. Gestern war seine Schwester mit ihrem kleinen Kind zu Besuch da. Als Naing Htoo mit dem Kleinen spielte, lächelte er zum ersten Mal seit zwei Monaten. Die Freude, die über sein Gesicht huschte, war aber nur flüchtig.
Vor zwei Monaten rückte er zu seinem ersten Kampfeinsatz in den Dschungel aus. Es war zugleich sein letzter. Vergraben hatten die Sprengsätze Kämpfer, die noch vor Jahren Waffenbrüder waren. Bis sich die buddhistischen Karen von der christlich dominierten Karen National Liberation Army und ihrem politischen Arm, der Karen National Union (KNU), lossagten. Als DKBA kämpfen sie seit 1994 als autonome Miliz an der Seite der Regierungstruppen, dem ehemaligen Feind. Die KNLA, die einst große Teile des Karen-Gebiets unter ihrer Kontrolle hatte, wird seit Jahren mehr und mehr in den Dschungel zurückgedrängt.
Lieber Soldat als Bauer
Über Politik hat sich Naing Htoo selten Gedanken gemacht. In der DKBA zu kämpfen gilt als Ehre, sagt er. Was wäre die Alternative gewesen? Ein wehrloser und armer Bauer zu sein, so wie sein Vater?
Seit der Explosion lebt der Teenager in völliger Dunkelheit. Auf thailändischer Seite wurde ihm der Unterarm amputiert. Ein Auge durch ein Stück Plastik ersetzt. Dann kam der Rücktransport in das Militärhospital von Koukou. Jetzt lebt er in dem großen Patientensaal und versucht langsam zu verstehen, was mit seinem Leben geschehen ist.
"Das andere Auge hätte man retten können", sagt Wolfgang Hasselkus, als er den 17-Jährigen untersucht. Mit den richtigen Augentropfen, der richtigen Medikation, einer entsprechenden Operation. Naing Htoo hätte wahrscheinlich ein anderes, ein besseres Leben führen können.
Der 65-jährige Arzt aus dem oberfränkischen Rödental versucht, seine Enttäuschung zu unterdrücken: "Schon schlimm genug, dass der Junge seinen halben Arm verloren hat. Jetzt wird er sein ganzes Leben lang nicht mehr sehen können. Hätte ich ihn nur schon vor Wochen behandeln können."
Hasselkus ist Vorsitzender des Vereins "Freunde für Asien". Seit über 20 Jahren ist er im Karen-Gebiet von Burma aktiv, kommt mehrmals im Jahr in das Konfliktgebiet. Er hat mobile Kliniken aufgebaut, die abtransportiert werden können, wenn sich der Frontverlauf verändert.
wps