Zensur: Die Macht im Netz

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KoratCat
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Zensur: Die Macht im Netz

Ungelesener Beitragvon KoratCat » Mi Jun 29, 2011 5:28 am

Zensur

Die Macht im Netz

Bild
Chiranuch Premchaiporn nach ihrer zweiten Verhaftung, Ende 2010.



Bangkok - Beim ersten Mal haben sie Chiranuch Premchaiporn im Büro festgenommen. Die Chefin der prominenten thailändischen Internet-Zeitung Prachatai saß an ihrem Schreibtisch, es war früher Nachmittag, daran erinnert sie sich. Wahrscheinlich stand ihre Kaffeetasse vor ihr, und ihre Augen waren auf den Bildschirm gerichtet.

So sieht es aus, wenn Chiranuch Premchaiporn bei der Arbeit ist. Sie waren zu zehnt, und sie hatten einen Haftbefehl dabei. „So, als sei ich eine Kriminelle“, sagt sie. Auch ihren Laptop nahmen sie mit im März 2009. Es gibt ein Bild von ihr an diesem Tag, wie sie am Gitter einer Zelle in einem Bangkoker Gerichtsgebäude lehnt. Vier Stunden dauerte es, bis Freunde das Geld für die Kaution aufgebracht hatten.

Schweigen schützt vor weiteren Strafen

Chiranuch Premchaiporn, eine kleine, freundliche Frau von 44 Jahren in Jeans und T-Shirt, sitzt wieder im Büro, als sie davon erzählt. Die Redaktion von Prachatai ist im Erdgeschoss eines Gebäudes im Bangkoker Stadtteil Huay Kwang untergebracht, einer Gegend mit Apartmentgebäuden und Bürohäusern, in die sich selten Touristen verirren. 14 Kollegen arbeiten hier in einem großen Raum. Es gibt ein kahles Konferenzzimmer, aber kein eigenes Büro für die Chefin.

Damals sprachen die Beamten mit ihr nur ausweichend über den Grund für die Festnahme. Inzwischen weiß sie, was ihr vorgeworfen wird. Doch wenn man sie fragt, bekommt man auch von ihr keine deutliche Antwort. Sie reagiert verlegen, lächelt, bis wir darauf kommen, dass sie selbst nicht aussprechen darf, welches illegalen Akts sie bezichtigt wird. Denn das würde nach thailändischem Recht bedeuten, diesen erneut zu begehen. Doch das ist nur ein kurioser Nebenaspekt dieser Geschichte.

Die Angst der Regierenden vor dem freien Wort

Zwei Jahre nach ihrer ersten Festnahme steht Chiranuch Premchaiporn seit Anfang des Jahres vor Gericht. Eine der Straftaten, die sie begangen haben soll, ist die Majestätsbeleidigung. Zudem werden ihr Verstöße gegen das 2007 erlassene Computerkriminalitätsgesetz vorgeworfen. Es geht dabei um die Frage, wer verantwortlich für einen Leserkommentar auf ihrer Website ist – sie als Webmasterin oder der Verfasser des Textes.

Aber eigentlich steht das Verfahren für die Angst der Regierenden vor dem freien Wort in Thailand. Diese Angst hat sich seit den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Gelbhemden und Rothemden in einer Zensurkampagne geäußert. Gelbhemden werden die Unterstützer des Königshauses und der Regierungspartei genannt, im Unterschied zu den oppositionellen Rothemden, den Anhängern des 2006 gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin. Sie kommen vor allem aus der ärmeren Landbevölkerung.

Ein Forum für alle

Die Regierung unter Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva hat seit Beginn der Auseinandersetzungen einen Fernsehsender und viele Radiostationen geschlossen. Zehntausende Internet-Seiten wurden gesperrt, immer wieder auch Prachatai. „Das Computerkriminalitätsgesetz ist häufig genutzt worden, um kritische Stimmen in der politischen Auseinandersetzung einzuschränken“, heißt es bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Bangkok. Premchaiporns Anwälte haben vor Gericht eine Studie zitiert, nach der es 2007 etwa 900 Internetseiten mit angeblich königskritischem Inhalt gegeben haben soll. 2010 waren es angeblich 35.000.

Prachatai bedeutet „Freie Menschen“. Die Netzzeitung ist bekannt für unabhängige Berichterstattung zu gesellschaftlichen und menschenrechtlichen Problemen; dafür, sich auf Nachrichten zu konzentrieren, die andere Medien nicht veröffentlichen. Chiranuch Premchaiporn ist dabei, seit Prachatai 2004 gegründet wurde. Zuvor hat sie Journalistik an der renommierten Thammasat-Universität studiert. Und sie hat das Thai Citizen Network mitgegründet, das Medienaktivisten und Blogger versammelt.

„Es gibt viele Geschichten, auf die ich stolz bin“, sagt Chiranuch Premchaiporn. Sie nennt die Berichterstattung über das Bak-Tai-Massaker tief im Süden des Landes, als Regierungskräfte mehr als 80 muslimische Demonstranten töteten. „Niemand ist hingegangen und hat die Überlebenden in den Krankenhäusern, in den Dörfern gefragt, was passiert ist. Aber unsere Reporter haben es gemacht, auch wenn es gefährlich war.“ Auch bei den Auseinandersetzungen zwischen Gelb-und Rothemden hätten sie die Leute gefragt, warum sie protestieren.
Wenn sie davon erzählt, dann spürt man ihre Begeisterung, der gesenkte Blick ist plötzlich weg.

Raum für Meinungen und Gedanken

Immer wieder sagt Chiranuch Premchaiporn diesen einen Satz: „Wir müssen den Menschen zuhören.“ Das sei die wichtigste Funktion von Prachatai. „Wenn die Menschen gehört werden möchten, dann sollen wir das Werkzeug dafür sein.“ Im Grunde hatte auch das Diskussionsforum, das Prachatai irgendwann eingerichtet hat, genau diesen Zweck, es bot den Lesern Raum für ihre Meinungen und Gedanken. Chiranuch Premchaiporn selbst hat sich darum gekümmert.

Es sind Forumskommentare, für die Chiranuch Premchaiporn nun vor Gericht verantwortlich gemacht wird. Ein Leser hatte erwähnt, dass die Königin an der Beerdigung einer Anhängerin der Gelbhemden teilgenommen hatte, die bei Auseinandersetzungen mit den Rothemden umgekommen war. Das wurde als Majestätsbeleidigung gewertet: In der Öffentlichkeit könne der Eindruck entstehen, die Königin mische sich in die Politik ein.

Chiranuch Premchaiporn hatte diesen und andere Kommentare, wegen derer sie angeklagt ist, längst gelöscht. Um zu illustrieren, für wie absurd sie den Vorwurf hält, gibt sie folgendes Beispiel: „Wenn jemand in einem Café etwas auf einen Tisch kritzelt, um die Monarchie zu beleidigen, ist dafür dann das Café verantwortlich?“ Trotzdem hat sie das Forum vergangenen Sommer eingestellt. „Es war nicht leicht, aber ich wusste, dass wir unter Beobachtung stehen und wollte die Nutzer schützen. Und mich selbst.“

„Ich muss einfach das tun, woran ich glaube.“

Ein paar Forumsnutzer haben damals eine Abschiedsparty organisiert. Sie haben Tassen mit ihren Avataren bedruckt, den Bildern, mit denen sie sich im Netz zeigen. Chiranuch Premchaiporns Avatar ist ein kleines Mädchen in traditioneller Tracht. Die Tasse steht auf ihrem Schreibtisch. An der Wand hängt eine Landkarte, erstellt von der Organisation Freedom House.

Grüne, gelbe und rote Länder gibt es hier. Die Farben informieren über den Zustand der Pressefreiheit. Thailand ist gelb. Gelb steht für „teilweise frei“. Auf dem jüngsten von „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlichten Index liegt das Land auf Rang 153 von 178. Als der Index 2002 etabliert wurde, hatte es noch den Platz Nummer 65.

Chiranuch Premchaiporn sagt, dass sie sich Sorgen macht, wie ihre Familie sich bei alldem fühlt. Ihre Schwester habe sie einmal gefragt, warum sie nicht einfach aufhöre. „Ah, du bist wahrscheinlich tapfer“, habe die Schwester gesagt. „Nein, ich bin nicht tapfer“, sagt Chiranuch Premchaiporn. Sie schüttelt heftig den Kopf. „Es ist nur, dass ich nichts anderes tun kann. Ich muss einfach das tun, woran ich glaube.“

Gallionsfigur gegen die Zensur

Chiranuch Premchaiporn kam von einer Konferenz zur Freiheit des Internets in Budapest, als sie Ende 2010 zum zweiten Mal verhaftet wurde. Der Vorwurf der Majestätsbeleidigung war diesmal in der fast 500 Kilometer entfernten Provinz Khon Kaen erhoben worden. Dorthin fuhren sie die Beamten direkt vom Flughafen. Per Handy informierte sie Freunde.Die trieben noch in der selben Nacht die 6.500 Dollar für die Kaution auf.

In den frühen Morgenstunden wurde sie freigelassen. Jeden Monat muss sie sich nun bei der Polizei melden. Spätestens seitdem ist sie eine Galionsfigur für die, die sich gegen die Zensur in ihrem Land wenden. Und sie ist das prominenteste Opfer der Angst der Machthaber vor Internetaktivisten.

Es ist eine Rolle, die sie sich nicht ausgesucht hat, zurückhaltend und bescheiden, wie sie ist. Sie sagt, dass sie darüber nachgedacht habe, ob sie nicht lieber schweigen solle. Dass das womöglich besser gewesen wäre, nun, da sie vor Gericht steht. „Aber ich glaube nicht an diesen Weg“, sagt sie. „Wir müssen an die Öffentlichkeit gehen. Es gibt so viel Angst in unserer Gesellschaft.“

Eliminierte Gedanken

Der Fall hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. In einer Stellungnahme von „Reporter ohne Grenzen“ heißt es: „Es ist inakzeptabel, wie thailändische Autoritäten sich ihr gegenüber verhalten. Sie wird wie eine Kriminelle behandelt, dabei ist sie eine international angesehen Expertin für Online-Journalismus.“

Die Vereinten Nationen schrieben ihretwegen an die Regierung. Auch Amnesty International äußerte Kritik. Benjamin Zawacki, deren Thailand-Experte, sagt: „Chiranuchs Verhaftung und der Prozess machen deutlich, wie weit die thailändische Regierung zu gehen bereit ist, um die zum Schweigen zu bringen, die unpopuläre oder abweichende Sichtweisen haben.“

Das thailändische Muster wiederholt sich in anderen Ländern der Region. „Südostasiatische Länder nehmen sich beim Umgang mit dem Internet zunehmend China zum Vorbild und schränken den Raum für Online-Debatten immer aggressiver ein“, sagte kürzlich Shawn Crispin vom „Committee to Protect Journalists“, einer in New York ansässigen Organisation. „Reporter ohne Grenzen“ stuft etwa Vietnam als „Feind des Internets“ ein – so wie China oder Nord-Korea. 17 Blogger oder Dissidenten sind dort in Haft.

Dialog ist der Schlüssel im sozialen Netzwerk

Vor ein paar Monaten verkündete ein Beamter des Ministeriums für Staatssicherheit, es sei gelungen, 300 Internet-Seiten mit „unpassendem Inhalt“ zu „zerstören“ – als handele es sich um die Elimination feindlicher Positionen und nicht um die Gedanken der eigenen Bürger. Facebook ist in Vietnam geblockt. In Myanmar wird das Internet zensiert, in Ländern wie Laos und Kambodscha sorgen hohe Preise und die schlechte Stromversorgung dafür, dass soziale Medien sich nicht ausbreiten können.

„Facebook-Revolution“ wurden die Umstürze in Ägypten und Tunesien genannt. Das hält Chiranuch Premchaiporn für übertrieben, die sozialen Medien seien nur ein Werkzeug. Sie sagt aber auch, dass dieses Werkzeug besondere Eigenschaften hat. Soziale Medien funktionierten nicht nur in eine Richtung, ihre Nutzer könnten sich an Debatten beteiligen. „Und Menschen trauen sich eher, etwas zu sagen, wenn man Gelegenheiten dazu schafft. Einen Ort, an dem ihre Meinung gehört wird. In einem repressiven Land können die sozialen Medien so zu einem Zauberstab werden.“

Es ist acht Uhr abends. Draußen ist es dunkel. Die Kollegen sind essen gegangen. Chiranuch Premchaiporn sagt, sie hoffe, noch rechtzeitig zum Nachtisch zu kommen, zu Eis und Kuchen. Später wird sie wieder zurück an ihren Schreibtisch gehen. Ihre Wohnung sei nicht weit, sie lebe allein. „Eigentlich gehe ich nur zum Schlafen nach Hause.“

Früher hat sie in einem Aids-Projekt gearbeitet, und ihre Familie sorgte sich, ob das nicht gefährlich sei. „Nun hat sich herausgestellt, dass die Arbeit für Prachatai viel gefährlicher ist“, sagt Chiranuch Premchaiporn. Sie lächelt, so als habe sie gerade etwas Lustiges gesagt. Über den Ausgang des Prozesses, darüber, dass sie vielleicht ins Gefängnis muss, denke sie nicht nach. Nur so könne sie weitermachen.

Schon in dem ersten Verfahren drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft.

Berliner Zeitung
Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es! Erich Kästner, 1899 - 1974

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