Die Angst vor der Schwester

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KoratCat
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Die Angst vor der Schwester

Ungelesener Beitragvon KoratCat » Sa Jun 18, 2011 8:22 am

Die Angst vor der Schwester

Bei den Parlamentswahlen in Thailand könnte eine Verwandte des Ex-Premiers Thaksin gewinnen – gegen den Willen des Militärs

Thailand ist im Wahlkampffieber. In knapp zwei Wochen sollen die Wähler über das neue Parlament und damit über die zukünftige Regierung entscheiden. Alle großen Straßen in der Hauptstadt Bangkok sind gesäumt von den Plakaten der rund drei Dutzend Parteien, die Kandidaten ins Rennen schicken. Durch die Nebenstraßen fahren Lautsprecherwagen. Aus ihnen schallen politische Versprechungen oder, weitaus häufiger, einfach nur Musik.

Kurz vor der Wahl nimmt auch die politische Temperatur spürbar zu. Denn in Umfragen liegt die oppositionelle Puea- Thai-Partei immer deutlicher vor der regierenden Democrat Party von Premier Abhisit Vejjajiva.

Puea Thais Kandidatin für den Posten des Premierministers ist Yingluck Shinawatra, die Schwester des 2006 von der Armee aus dem Amt geputschten ehemaligen Premiers Thaksin Shinawatra.

Damit droht die nächste Runde in Thailands bisweilen blutigem politischen Konflikt. Thaksin, 2001 zum Premier gewählt und vier Jahre später in einem Erdrutschsieg im Amt bestätigt (seine Thai- Rak-Thai-Partei hat 2005 rund 60 Prozent der Stimmen erhalten), hat während seiner Amtszeit viele fragwürdige Entscheidungen getroffen. Er entfesselte 2003 einen „Antidrogenkrieg“, bei dem binnen weniger Monate mehr als 2000 Menschen getötet wurden. Auf zunehmende Spannungen mit Separatisten in drei ethnisch malaiischen Provinzen im Süden des Landes reagierte Thaksin, indem er Polizei und Armee in die Region entsandte. Innenpolitisch baute Thaksin seine Machtbasis aus, indem er hochrangige Posten in Armee, Justiz und Verwaltung mit Gefolgsleuten besetzte. Sein Politikstil wurde zunehmend autoritärer.

Die Menschen auf dem Land feierten Thaksin jedoch als Helden. Denn der Premier investierte im Rahmen einer stark keynesianischen Wirtschaftspolitik große Geldbeträge in Infrastrukturprojekte, Subventionen und Kreditprogramme. Thaksin führte eine Rente und eine allgemeine Krankenversicherung ein und trieb die Entwicklung von besonders strukturschwachen Regionen vor allem im Norden und Nordosten des Landes voran.

Damit machte sich Thaksin die Nutznießer des bisherigen, stark hierarchischen Systems zu Feinden: die traditionelle Elite des Landes und die Mittelschicht in Bangkok. Denn durch Thaksins Politik beschleunigte sich der massive sozioökonomische Wandel, der mit der Liberalisierung der Wirtschaft in den 1980er-Jahren eingesetzt hatte. Es kam zu Massenprotesten der „Gelbhemden“, einer nationalistischen Gruppierung, denen sich viele Mitglieder von Bangkoks Ober- und Mittelschicht anschlossen. Im Oktober 2006 – Thaksin hielt sich gerade in New York auf und sollte eine Rede vor der UN-Vollversammlung halten – putschte die Armee den Politiker aus dem Amt. Er lebt heute im Exil in Dubai.

Der Staatsstreich zementierte einen Riss durch Thailands Gesellschaft, von dem sich das Land nicht mehr erholt hat. Bisheriger Höhepunkt der Auseinandersetzungen waren die blutigen Zusammenstöße des vergangenen Jahres. 92 Menschen starben, als das Militär nach wochenlangen Protesten von Thaksin-Anhängern im Zentrum von Bangkok eingriff und die Demonstration gewaltsam niederschlug.

Daher richten sich derzeit alle Augen auf die mächtige Armee. Sie hat seit dem Putsch massiv an Einfluss gewonnen, was sich an einer einfachen Zahl ablesen lässt: Der Armeehaushalt hat sich seit 2006 ungefähr verdoppelt. Der derzeitige Armeechef Prayuth Chan-ocha, seit Oktober im Amt, ist ein erklärter Gegner des gestürzten Premiers und seiner Rothemden-Unterstützer. Im April des vergangenen Jahres hat der General einen missglückten Einsatz gegen die Rothemden-Demonstranten befehligt, bei dem 25 Menschen getötet worden waren.

Der Armeechef stellte diese Woche seine Position in einem etwa halbstündigen Fernsehinterview, das auf zwei Fernsehsendern der Armee ausgestrahlt wurde, unmissverständlich klar. „Falls ihr die Wahl wieder so ausgehen lasst wie zuvor, dann werden wir immer dasselbe Resultat bekommen“, erklärte der Armeechef. „Wenn sich Politiker unangemessen verhalten, warum wollt ihr dann für sie stimmen?“ Die Leute sollten ihre „Urteilskraft“ nutzen, um „gute Leute“ zu wählen, die „unser Land und unsere Monarchie sichern.“

Zwei Tage später kündigte Armeesprecher Sansern Kaewkamnerd an, das „Operationskommando für Innere Sicherheit“ (Isoc), ein Gremium aus Mitgliedern der derzeitigen Regierung und der Armee, werde Untersuchungen gegen Medien vorantreiben, die „einen Keil durch die Gesellschaft treiben, indem sie politisch einseitig berichten.“ Das Isoc habe Berichte über „polarisierte Elemente in den Medien“ erhalten und werde sich mit den Behörden absprechen und „gegen Straftäter hart durchgreifen.“

Die Lage der Presse- und Meinungsfreiheit ist auch ohne diese Ankündigung besorgniserregend. Die Organisation Freedom House mit Sitz in Washington beurteilt die Presse in Thailand seit Anfang Mai nicht mehr als „teilweise frei“, sondern als „nicht frei.“ Zu der Einschätzung dürfte auch beigetragen haben, dass die Regierung nach der Niederschlagung der Proteste im vergangenen Jahr Dutzende „rote“ Zeitschriften und Radiosender sowie eine TV-Station verboten und den Zugriff auf mehr als 10 000 Webseiten gesperrt hat. Erst kürzlich ließ die Regierung ein weiteres Dutzend Lokalradiosender in Bangkok schließen.

Premierminister Abhisit Vejjajiva versucht indes, gelassen zu wirken. Doch Abhisit weiß, dass er sich Sorgen machen muss. Seine Democrat Party hat seit 1992 keine Wahl gewonnen und außerhalb Bangkoks eigentlich keine Basis. 2008 kam Abhisit nur an die Macht, nachdem ein Gericht eine bei Wahlen siegreiche Pro-Thaksin-Partei aufgelöst hat. Die Armee stellte hinter den Kulissen sicher, dass Abhisit zum Premierminister gewählt wurde, was beide Seiten jedoch abstreiten. Kaum jemand glaubt, dass das Militär einen Wahlsieg der oppositionellen Puea Thai hinnehmen wird. Thailand stehen turbulente Wochen bevor.

Tagesspiegel
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