Das Ramakien - Teil I

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KlongRatte
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Das Ramakien - Teil I

Ungelesener Beitragvon KlongRatte » Sa Okt 17, 2020 3:34 pm

Vorab sei euch bitte gesagt, das ich diese Nacherzählung bereits 1989 geschrieben hatte, lange bevor es weder Google oder Wikipedia gab. Die meisten Informationen stammten zu dieser Zeit aus Thailand. Dabei half mir auch die Literatur aus dem Nationalmuseum Bangkok. Natürlich ist es schwer, ein siebenbändiges Werk so gekürzt wiederzugeben, dass trotzdem am Ende eine verständliche Kurzfassung daraus wird. Ich brauchte ein Jahr Vorbereitungszeit, um meine Beobachtungen (Theater) und Kenntnisse (Literatur) über das Ramakien in diese Inhaltsangabe einzubringen. Dabei sollte man sich nicht von der Schreibweise der Orts- und Personennamen irritieren, die durchaus, je nach Übersetzung, auch in abgewandelter Form vorkommen können. Ich denke aber, daß es recht gut gelungen ist. Also so gesehen, wenn es jemand verwenden möchte, bitte immer auf den Autor Wilfried Stevens hinweisen, das wäre fair und nett. Jetzt aber zum Original-Text von mir. :danke

Ramakien - Teil I
In Indien gibt es zwei berühmte große Epen, das Mahabharata und das Ramayana. Das Ramayana, woher sich das thailändische Ramakien ableitet, ist im Umfang kleiner als das Mahabharata, aber immer noch gewaltig: Es umfasst, in der Originalversion, rund 24.000 Doppelverse, die sich auf sieben Bücher verteilen. Im Ramayana (Ramas Lebenslauf oder Ramas Taten) geht es um die Kämpfe des göttlichen Helden Rama mit dem Dämonenkönig Ravana zur Befreiung der von diesem geraubten und gefangen gehaltenen Sita, der Gattin Ramas. Das Ramayana ist im Grunde eine erzählende Dichtung von Liebe und Treue des unbescholtenen Gottkönigs Rama, der von seinem Vater Dacaratha, dem König der legendären Stadt Ayodhya, schuldlos verbannt wird.

Nach einer Hypothese soll der Ursprung des Ramayana bis etwa 3000 v. Chr. zurückreichen und wie das Mahabharata über das Leben und die Taten der altindischen Götter erzählen. Offiziell soll das niedergeschriebene Ramayana aber um die Zeit Christi Geburt in Indien entstanden sein. Verfasst wurde es von dem Weisen Valmiki, der auch als einer der ältesten Kunstdichter Indiens verehrt wird. Bis heute hat das Ramayana in seinen vielen Fassungen das religiöse, kulturelle und geistige Leben vor allem Indiens und Südostasien beeinflusst.

Im Laufe der Jahrhunderte kam die Geschichte auch nach Südostasien. Somit hat auch das Königreich Thailand eine regionale Fassung, die seit dem 5. Jahrhundert bekannt sein soll. Die regionalen Darstellungen sind gegenüber der Originalfassung etwas abgewandelt und den lokalen Gegebenheiten und Denken angepasst worden. Rama wurde auch ein Titel späterer Könige Thailands. Auch der Name der einstigen Hauptstadt des alten Siams, Ayuthaya ist eine Gedankenverbindung zu der legendären indischen Stadt Ayodhya.

Seit dieser Zeit wird das Ramakien von Schauspielern in Theatern gespielt. Es gibt immer noch den großen Vorbehalt, dass die thailändischen Ramakien-Theatervorstellungen dem unverständlich bleiben, der ihren Inhalt nicht kennt. Ebenso gibt es den gleichen Vorbehalt, dass die Gemäldefolge in der Wat-Phra-Keo-Galerie von denen nicht verstanden wird, die das Ramakien nicht kennen. Da beides zusammen gehört, erscheinen nur einem eingeweihten Betrachter die unzähligen Bildszenen als lebendige Geschichte. Nur wer das Ramakien gelesen hat, dem erzählen die Bilder den Verlauf des Ramakien-Epos in seinem ganzen Reichtum. Deshalb werde ich Ihnen das Ramakien nun "öffnen", in einer verkürzten und hoffe somit verständlichen Version, geschrieben 1989.

Darum geht es hauptsächlich: Als Rama von seinem Vater Dacaratha fortgejagt wird, begleiten ihn sein Bruder Laskhmana und seine schöne und treue Gattin Sita in die Verbannung. Sie teilen mit ihm das Leben eines Verbannten in den Wäldern. Doch eines Tages wird Sita vom Dämonenkönig von Lanka (Ceylon), Ravana, entführt. Der größte Teil des Ramayana schildert den Kampf Ramas und Ravanas um Sita, wobei Rama und Laskhmana vom Affenkönig und seinen Armeen unterstützt werden. Da die Belagerung von Lanka, wo Sita gefangen gehalten wird, keinen Erfolg hat, liefern sich die Gegner mit magischen, göttlichen und dämonischen Waffen schreckliche Schlachten. Rama bleibt am Ende siegreich, der Dämonenkönig stirbt und Rama schließt seine Sita in die Arme, und kehrt schließlich mit ihr als König nach Ayodhya zurück. Doch die Geschichte findet noch kein glückliches Ende, da Sita durch ihren Aufenthalt in Lanka ihre rituelle Reinheit verloren hat. Sie wird deshalb von Rama verstoßen und kehrt in den Schoß der Erde, aus dem sie einst hervorkam, zurück. Natürlich gibt es auch ein glückliches Ende. Soweit die Kurzfassung.

Der Einfluss des Ramakien in Thailand
Dieses Heldengedicht, das durch viele Nebenhandlungen und Abenteuer ergänzt wird, ist schon im alten Siam weit verbreitet und äußerst populär gewesen. Es ist nicht nur ein Heldengedicht sondern auch eine Liebesgeschichte, die seit frühester Zeit alle menschlichen Empfindungen und Leidenschaften ausdrückt, und Antworten auf moralische Probleme der Gesellschaft, dem sozialen Verhalten und vor allem des religiösen Lebens gibt. Dem Gläubigen, so die Überzeugung, soll sogar der Weg zur Erkenntnis gezeigt werden. Für die Menschen symbolisiert das Ramakien den Kampf zwischen Gut und Böse, wobei alle menschlichen Eigenschaften wie die Bequemlichkeit, die Leidenschaft, aber auch die Liebe, Treue und Aufopferung durch verschiedene Figuren dargestellt werden. Es ist zugleich Mythos, Geschichte und Folklore und hat seit vielen Generationen die moralischen, ethischen und religiösen Werte der Völker Indiens und Südostasiens beeinflusst. Es inspirierte zur Malerei, zu literarischen Werken, Skulpturen, klassischen Tänzen und Theaterstücken.

Das Ramakien in der Moderne
Auch in der Neuzeit hat das Ramakien in allen Volksschichten nichts von seiner Beliebtheit verloren. Es wird noch heute an Schulen, Universitäten und Theatern gelehrt, und in Filmen, Kinderbüchern, Cartoons und Zeitschriften nacherzählt. Es wurde ein Teil der thailändischen Folklore und Mythologie.

Die thailändische Fassung - eine kurze Einführung
Nach der Zerstörung Ayuthayas durch die Burmesen gingen alle früheren thailändischen Fassungen des Ramakien für immer verloren. Der größte Teil der königlichen Bibliotheken wurde ein Opfer der Flammen. Zum Glück pflegten die Thais auch die Tradition der mündlichen Überlieferung, so dass es noch einige Gelehrte gab, die das Ramakien nacherzählen konnten. Nach der Verlegung der Hauptstadt nach Bangkok, wurde die erste neue Ausgabe des Ramakien in der Regierungszeit von König Taksin angefangen.

Eine komplett neue Version des Ramakien wurde jedoch erst in der Zeit von Rama I, im Jahr 1785 geschrieben, die heute noch, mit immerhin rund 52.000 Versen, als Glanzleistung der damaligen Zeit gilt. Dabei musste das indische Ramayana, die Bruchstücke von geretteten Ramakienversen und die mündlichen Überlieferungen der Gelehrten als Vorbild dienen. Der thailändische König wollte aber auch wieder eine regionale und insbesondere kürzere Version des Ramakien schaffen. So schrieb Rama I nicht nur selber viele der Verse neu, sondern änderte dabei auch die Namen, die Umgangsformen, die Bräuche, die Ortschaften, die Fauna und Flora des ursprünglichen Ramayana und passte sie der thailändischen Umgebung an! Da das Ramakien wieder als königliche Theateraufführung veranstaltet werden sollte, wurden auch alle Personen mit thailändischer Kleidung versehen und den thailändischen Gebräuchen angepasst. So endet auch das Ramakien, gegenüber dem Ramayana, mit der glücklichen Vereinigung von Rama und Sita.

Auch wurden die Namen thailändisch. So wurde aus Rama (Phra Ram), aus Sita (Nang Sida), aus Dacaratha (Thotsarot), aus Laskhmana (Phra Lak), aus Indra (Phra Isuan), aus Vishnu (Phra Narai), aus Ravana (Thotsakan), aus Lanka (Longka). Und, damit auch alles genau zusammenpasste, wurde die ganze Geschichte in den Städten, Wäldern, Himmeln und Höllen des antiken Thailands verlegt. Wer einmal eine Aufführung des Ramakien gesehen hat oder noch sehen möchte, oder wer die Geschichte des Ramakien schon gelesen hat oder noch lesen möchte, wird über die Vielzahl der Figuren anfangs etwas überwältigt sein. In einer Theateraufführung kann man die Figuren am besten durch die verschiedenen Kostüme und insbesondere durch ihre Gesichtsmasken auseinander halten. Wenn Sie sich wundern, warum die Masken bei akrobatischen Einlagen oder heftigen Bewegungen nicht herunterfallen, hier die Erklärung: Die Darsteller halten die Masken über einen Draht im Mund fest!

Die Hauptpersonen des Ramakien:

a) die Götter:
Phra Isuan, der höchste Gott, der auf dem Himmelsberg Krailat thront. Phra Narai, Liebling von Phra Isuan und mächtigster Gott nach ihm. Phra Int und Phra Phrom, weitere Götter. Maliwarat, Gott der Gerechtigkeit.

b) Vom Königshaus von Ayuthaya:
Phra Ram, ist der schöne Held der Geschichte. Er verkörpert das Gute und ist Beschützer der Schwachen und Unterdrückten, Sohn des Königs Thotsarot und als Thronerbe vierter König von Ayuthaya und Inkarnation des Gottes Phra Narai, von grüner Gesichtsfarbe Nang Sida Nonglak, die schöne Gemahlin von Rama, verkörpert die Reinheit und die Treue zum Mann. Sie ist die von Thotsakan entführte Gemahlin, aber auch, Inkarnation Phra Laksamis, der Göttin des Glücks, auf der Erde als Tochter Thotsakans und Nang Monthos wiedergeboren. Phra Lak ist der treue Halbbruder Phra Rams und Inkarnation des Schlangenherrschers Ananta Nakharat, von goldener Gesichtsfarbe. Phra Phrot stellt den Pflichtbewußten dar und der zweite Halbbruder Phra Rams, die Inkarnation von Phra Narais Götterdiskus (göttliche Waffe), von roter Gesichtsfarbe (eigentlich stellt er eine Waffe dar, die personifiziert wurde). Phra Satrut ist auch ein Halbbruder Phra Rams, Inkarnation von Phra Narais Götterkeule (auch eine göttliche Waffe, die personifiziert wurde) mit purpurner Gesichtsfarbe. Thotsarot, auch "Herr der zehn Wagen" genannt, dritter König von Ayuthaya und der Vater Phra Rams, Phra Laks, Phra Phrots und Phra Satruts.

c) Phra Rams Verbündete - die Guten:
Hanuman, der edle Affenkönig und Helfer Ramas. Er ist das Symbol für Treue und Selbstlosigkeit, aber auch Klugheit und Schlauheit. Im Ramakien nimmt er höheren Stellenwert ein als im Ramayana. Er ist ein unsterblicher Affe mit magischen Kräften, Sohn des Windgottes Phra Phai, mit diamantenem weißem Fell. Er ist der mächtigste Soldat Phra Rams. Er hat eine Affenmaske auf und ein helles Kostüm. Phali Thirat, Der zum Affen verwandelte Sohn des Gottes Phra Int und der Onkel Hanumans, König von Khit Khin, der Affenhauptstadt, mit grünem Fell. Sukhrip, ebenfalls zum Affen verwandelter Sohn des Sonnengottes Phra Athit, Halbbruder von Phali Thirat und ebenfalls Onkel Hanumans, Vizekönig und nach Phalis Tod König von Khit Khin, mit rotem Fell. Ongkhot, der mächtige Affenfürst, Sohn von Phali Thirat und Nang Monthos. Phipek, der heilende Baum und Dämon zugleich. Er ist der Halbbruder Thotsakans, ein großer Seher und die Inkarnation des Halbgottes Wesu Yan. Maha Chomphu, der große rote Affe, Affenkönig von Chomphu.

d) Longkas Dämonen und Verbündete - die Bösen:
Thotsakan, der zehnköpfige Dämonenkönig von Longka, Inkarnation des Himmelsdämonen Nongthok, Hauptgegner Phra Rams, mit goldgrüner Dämonenmaske. Nang Montho Thewi, die göttliche Froschdame, die Gemahlin von Thotsakan und Königin von Longka. Inthorachit, mächtiger Dämon, der Sieger über Phra Int, Sohn Thotsakans, mit grüner Dämonenmaske. Kumphakan, Dämon mit großen Kräften und Halbbruder Thotsakans. Maiyarap, der dämonische Esel, König der Unterwelt Badan, Sohn von Maha Yom Yak, dem großen Todesdämon.

kleines Glossar:
Inkarnation: Menschwerdung.
Phra: heilig, Beiwort für Götter, Göttliches und auch Menschen.
Nang: die Dame, Vorsilbe bei Frauennamen.
Die Rig-Weda (Götterhymnen), Sama-Weda (Opfergesänge) Jadschur-Weda (Opfersprüche) Athar-Weda (Zauberlieder).
Weda: wedische Bücher, Veda, altes religiöses Schrifttum der Inder, ca. 1200 v. Chr. entstanden. Die Weda besteht aus 4 Samhitas, eine Sammlung von Liedern und Sprüchen.
Yak: der Dämon, Beiwort von Dämonennamen.

Das Ramakien - die Geschichte beginnt
Vor sehr langer Zeit begann eine verheerende Auseinandersetzung am Hof des Herrn der Welten, Phra Isuans, des höchsten Gottes, dessen Palast sich in großer, leuchtender Herrlichkeit auf dem Himmelsberg Krailat erhob. Der heftige Streit nahm kein Ende, und schließlich wütete beleidigt der Himmelsdämon Nonthok unter den Göttern, Engeln und Himmelsjungfrauen, so sehr, daß sich Phra Isuan gezwungen sah, seinen treuen und mutigen Mitstreiter, Phra Narai, zu rufen, um den Dämon in seinem Zorn zu bändigen. Da sich Nonthok ungerecht behandelt fühlte, wurde beschlossen, auf der Erde einen Zweikampf zu veranstalten. Der Himmelsdämon Nonthok und Phra Narai sollten zu diesem Zweck als Prinzen an den Königshöfen der Menschen und der Dämonen wiedergeboren werden.

Und so wurde aus Nonthok der mächtige zehnköpfige Thotsakan, dessen Herrschaft über alles Böse und Magische in den drei Welten nicht seinesgleichen haben sollte, auf der Dämoneninsel, in der Stadt Longka, wiedergeboren. Er verfügte über eine mächtige Dämonenarmee, die ihm treu ergeben war. Sein Einfluss reichte weit über Longka hinaus, wo seine Verwandten weitere Dämonenreiche errichtet hatten. Nachdem sein Vater Latsatian gestorben war, bestieg Thotsakan den Thron von Longka und wurde Herrscher über das Geschlecht der Dämonen.

Auf dem Festland, jenseits des Ozeans und viele Reisewochen entfernt, jenseits des riesigen Waldes, war zur gleichen Zeit Phra Narai als Phra Ram, Sohn des Königs Thotsarot von Ayuthaya, geboren worden. Die Merkmale seiner göttlichen Stärke waren der magische Diamantendiskus (Phra Phrot) und die magische Keule (Phra Satrut). Zum Schutz wurden ihm diese beiden "Halbbrüder" mitgegeben, die ebenfalls am Hof von Ayuthaya als Menschen wiedergeboren wurden. Der magische Schlangenthron, der Schlangenherrscher Ananta Nakharat, folgte ihm als Sitz und Herrschersessel in Form des Halbbruders Phra Lak an den Hof des Königs Thotsarot, wo er als Mensch wiedergeboren wurde. So wuchsen die vier Prinzen, Phra Ram, Phra Phrot, Phra Satrut und Phra Lak, zur Freude der Götter, alle zu starken jungen Männern, jeder mit magischen Talenten ausgestattet, heran. Von weisen Einsiedlern im Wald lernten sie die Kunst des Krieges, der göttlichen Magie sowie die Lehren der wedischen Bücher und die Beschwörungsformeln aller Kräfte der "Drei Welten". Diese "Drei Welten" waren die Unterwelt, die Oberwelt und die Himmelsebenen. In den Himmelswelten herrschten die Götter.

Mitten im Wald gab es auf einem großen Hügel die imposante Hauptstadt des Affenreiches, Khit Khin. Phra Isuan hatte sie einst erbauen lassen, da er früh voraussah, dass sein Schützling Phra Narai, der jetzt unter den Menschen als Phra Ram lebte, eine große Armee zum Kampf gegen die Dämonen benötigen würde. Auf seinen Befehl hatten deshalb Phra Int und der Sonnengott Phra Athit mit der Frau eines Einsiedlers zwei starke Knaben gezeugt. Diese hießen Phali und Sukhrip. Sie sollten bald Freunde von Phra Ram werden, um ihn im bevorstehenden Krieg gegen die Dämonen beizustehen. Doch der Einsiedler war über die plötzliche Schwangerschaft seiner Frau so empört und von der Untreue seiner Frau so überzeugt, dass er beide Knaben in Affen verwandelte. Diese beiden Affen wurden schließlich König und Vizekönig des Affenreiches von Khit Khin.

Mit der Tochter des Einsiedlers zeugte dann Phra Phai, der Windgott, den Affen Hanuman. Hanuman wurde mit der göttlichen Hilfe gezeugt: sein Fell war wie aus Diamanten, sein Gebiß wie aus Edelsteinen und sein Atem konnte ganze Sterne erschaffen oder zerstören. Auch konnte er sich verwandeln, und über vier Gesichter und acht Arme verfügen. Seine magischen Kräfte und seine große Verschlagenheit waren die eines Gottes. Er sollte später Phra Rams mächtigster Soldat und treuester Verbündeter werden. Auch Phra Laksami, die Göttin des Glücks und die Himmelsgattin Phra Narais, sollte diesem als Gefährtin im bevorstehenden Dämonenkrieg beistehen. So wurde auch sie auf der Erde als Tochter des Königs Thotsakan von Longka und seiner Gemahlin Nang Montho geboren. Sie erhielt den wunderschönen Namen Nang Sida. Doch Phipek, der weise Seher, Bruder Thotsakans, sah das Unheil voraus, welches die kleine Nang Sida der Dämonensippe bringen würde und durchschaute das Spiel von Phra Isuan.

Man sperrte deshalb Nang Sida als kleines Mädchen in einen gläsernen Behälter und setzte sie auf dem Wasser aus. Doch die Wogengöttin hatte Mitleid mit ihr und ihre Wellentöchter trugen sie bis zum Rande jenes Waldes, genau an die Stelle, wo der weise König Chanok von Mitila als Einsiedler in Meditation versunken lebte. Als er den gläsernen Behälter sah, befreite er voller Freude das kleine Mädchen daraus. Da er kinderlos war, hielt er das kleine Mädchen für ein Gottesgeschenk und vertraute das Kind, in einer großen Lotosblume eingeschlossen und unter dem heiligen Rang-Baum begraben, zunächst der Mutter Erde an. Nang Sida wurde in einen Tiefschlaf versetzt, um sie später wieder zu erwecken. Als seine Zeit als Einsiedler vorbei war, kam Chanok zum Baum zurück, weckte sie aus ihrem Schlaf im Schoße der Erde und führte sie als Prinzessin zur Königsstadt Mitila. Dort erhielt sie, geliebt wie die leibliche Tochter, eine königliche Erziehung und wuchs zu der schönsten aller Jungfrauen heran.

Als sie ins heiratsfähige Alter kam, beschloss der König sie zu vermählen. Dazu wurde ein königliches Fest veranstaltet, wobei der künftige Gatte durch das heilige Bogenspannen ermittelt werden sollte. Von alles Teilen des Landes und darüber hinaus kamen viele Jünglinge und Prinzen zur Königsstadt Mitila, um am Wettbewerb teilzunehmen. Selbst die Götter und die Himmelsbewohner kamen herab, um dem Fest beizuwohnen, indem sie sich als einfache Menschen ausgaben. Der König verkündete, dass derjenige Nang Sida zur Frau bekommen sollte, dem es gelänge, den magischen Maha Moli, den gewaltigen göttlichen Bogen des Phra Isuans, aufzuheben, zu spannen und einen Pfeil damit zu verschießen. Auch Phra Ram war mit seinem Bruder, Phra Lak, nach Mitila gegangen um am Wettbewerb teilzunehmen. Nachdem alle Bewerber am Bogen gescheitert waren, und keiner mehr glaubte, das Nang Sida unter diesen Bedingungen einen Mann bekäme, trat der göttliche Phra Ram hervor. Phra Isuan beobachtete alles mit einem Lächeln. Zum Erstaunen aller Beteiligten, hob Phra Ram mühelos den schweren Bogen auf und spannte ihn, bis er zerbrach.

Ein großer Beifallssturm brach unter den Anwesenden aus, hatte man doch noch einen geeigneten Ehegatten gefunden. Mit prachtvoller Ausstattung wurde nun die Hochzeit gefeiert. Glücklich und voller Stolz kehrten darauf die königlichen Brüder mit der schönen Gemahlin nach Ayuthaya zurück. Auf Erden schien eine Zeit des langen Friedens und des Glücks begonnen zu haben. Keiner dachte mehr an die vergangenen Streitigkeiten.
Es verging einige Zeit, und dem alternden König Thotsarot fiel das hohe Amt der Regierung zur Last. Er entschied, daß Phra Ram, der mächtigste seiner Söhne, zu seinem Nachfolger ernannt wurde, um das Königreich zu regieren. Doch da trat Kai-Yakesi, die zweite Gemahlin Thotsarots hervor, die so gerne ihren eigenen Sohn Phra Phrot auf dem Thron gesehen hätte. Hinterlistig zwang sie den alternden König, der ihr seit Jahren die Erfüllung eines Wunsches schuldete, Phra Ram für vierzehn Jahre als Einsiedler in den Wald zu senden und Phra Phrot für diese Zeit zum König zu krönen. Da der König die Schuld begleichen wollte, willigte er mit schweren Herzen ein. Der Abschied zwischen dem König und seinem Sohn Phra Ram war herzzerreißend, war ihre Liebe zueinander doch ehrlich. Phra Ram verließ den Königshof, von Nang Sida und Phra Lak begleitet, um für vierzehn Jahre in die Verbannung des Waldes zu ziehen.

Nachdem die drei Königskinder viele Tage im Wald umhergewandert waren, grundlose Flüsse überquert hatten, an einigen Einsiedlerhütten vorbeizogen und auf ihren Weg viele Geister und böse Dämonen bekämpft hatten, machten sie Halt. Am Fluß Khothawari, wo ihnen Phra Int am Heiligen Wasser zwei Hütten errichtet hatte, ließen sie sich endlich nieder, um als Einsiedler das Ende des Exils abzuwarten. Zur selben Zeit, als Phra Ram im Wald leben musste, lebte im fernen Longka König Thotsakan mit Nang Montho und seinen vielen Freudenmädchen in ewiger Lust. Eines Tages plante er, sich mit seinen Schönsten im Wald zu vergnügen. Während seiner Abwesenheit sollte sein Schwager, der Riese Chiuha Yak, die Stadt beschützen. Sieben Tage und Nächte wachte dieser treu ergeben, aber am achten Tag war er so von der Müdigkeit übermannt, daß er sich niederlegte und dabei die ganze Stadt unter seiner Riesenzunge verbarg, die er hoch in den Himmel über Longka wölbte. So sollte während seines Schlafes niemand die Stadt finden und angreifen können. Die Stadt war nun für jeden unsichtbar geworden, und selbst Thotsakan konnte sie bei seiner Rückkehr nicht wieder finden. Aufgebracht über die Tat seines Schwagers, schleuderte er seinen magischen Diskus zum Himmel hinauf. Dieser traf die Zunge des Riesen, so daß dieser in seinem eigenen Blut erstickte und gab die Stadt wieder frei gab.

Samankha, die Gattin Chiuha Yaks und Schwester Thotsakans, war über den Tod ihres Gemahls so bekümmert, dass die Dämonin Longka verließ, um jenseits des Großen Ozeans einen neuen Gemahl zu finden. Lange wanderte sie im Wald umher, bis sie am Fluss Khothawari Phra Ram und Phra Lak, die göttlichen Jünglinge beim Baden im Fluss erblickte. Sie verliebte sich in die Brüder, doch diese beachteten sie gar nicht und schickten sie schließlich fort. Als sie Nang Sida sah, stürzte sie sich rasend vor Eifersucht auf Nang Sida. Phra Ram und Phra Lak konnten im letzten Moment ein Unglück verhindern und bestraften die Dämonin hart: Ihr wurden im Kampf Hände, Füße, Ohren, Nase und der Mund abgehauen. Schwer verletzt und rachedurstig kroch Samanakha bis nach Longka zurück. Dort angekommen, berichtete die Gedemütigte dem hemmungslosen Thotsakan von der göttlichen Schönheit Nang Sida, und sie stachelte ihn zur Rache an. Schnell war auch ein finsterer Plan entworfen, und zusammen mit Marit, dem Krähensohn, flog Thotsakan auf seinem Schlachtwagen zum Fluß Khothawari. Dort verwandelte sich Marit in einen Hirsch von strahlender Schönheit. Er hatte ein goldenes Fell und ein diamantenes Geweih. Kaum verwandelt, da stolzierte er vor Nang Sidas Hütte umher.

Hier endet der erste Teil. Hierbei habt ihr sicher gemerkt, das selbst diese verkürzte Version den Epos reizvoll macht.

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