Ding Dong mit Wah-Wah

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KoratCat
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Ding Dong mit Wah-Wah

Ungelesener Beitragvon KoratCat » Di Jan 11, 2011 10:59 am

Sixties-Pop aus Thailand

Ding Dong mit Wah-Wah

Von Christoph Twickel

Thai-Gong meets "Jumpin' Jack Flash": Bei Streifzügen durch Plattenläden der Megacity Bangkok entdeckte der britische DJ Chris Menist die Pop-Vergangenheit Thailands. Seine CD-Compilation "The Sound Of Siam" zeigt, wie aufregend die Swinging Sixties und Seventies in Asien waren.

Seltsam, seltsam. Aber auch schön. Der Bass klingt ein wenig nach "Superfly" von Curtis Mayfield, dazu psychedelische Orgelklänge und Twang-Gitarren, umrahmt von Schellenkranz-Geflirre und einem schleppenden Soul-Schlagzeug. Dazu singt eine zarte, leicht gutturale Frauenstimme.

Molam heißt das verwunschene Thai-Pop-Genre. Hippiemusik aus dem Asien der siebziger Jahre? Die Sängerin mit dem Namen Chaweewan Dumnern sieht auf dem Cover der alten 45er-Single nicht gerade nach Flower Power aus. Eher wie eine asiatische Ausgabe von Mireille Matthieu. Sie singt einen abwesenden Lover an und rät ihm, in der Ferne nicht die eigene Kultur zu vergessen. Was man natürlich nur versteht, wenn man zufällig Isan spricht, einen Dialekt aus dem Nordosten Thailands.

Aber wer spricht schon Isan? Auch Chris Menist tut es nicht. Der britische Plattensammler kann nicht mal thailändische Schriftzeichen lesen. Um in Bangkok vergessene Pop-Perlen wie das Stück von Chaweewan Dumnern zu finden, kaufte er zunächst nur nach Optik. "Aber das funktioniert hier nicht", sagt der 38-Jährige. "Es gibt Platten, bei denen das Cover phantastisch ist, aber die Musik grottig. Und oft versteckt sich hinter einem schrecklichen Plattencover ein großartiger Sound." Er hatte also keine andere Wahl: Er musste sich durch die Vinylstapel durchhören, die er in den Plattenläden der Megacity Bangkok fand - auch wenn unter 70 Platten nur eine dabei war, die den Kauf lohnte.

Die Mühsal hat sich gelohnt: "The Sound of Siam" heißt die Zusammenstellung von Thai-Oldies aus den Jahren 1964 bis 1975, die Chris Menist für das Londoner Label Soundway produziert hat. Sie führt uns ein in die Welt von "Luk Krung" und "Luk Thung" - die "Lieder der Stadt" und die "Lieder vom Land". Die Stadtlieder, geschrieben für ein gehobenes Publikum, das sich an romantischer Lyrik erfreut, sind mit Wah-Wah-Gitarren und Drums westlich instrumentiert. Für die urbane Arbeiterklasse, oftmals aus ländlichen Gebieten hinzugezogen, gab es die Landlieder - asiatische Cha-Cha-Chas mit eher traditioneller Instrumentierung: Lauten, Mundorgeln, Gongs. "Während ein Luk-Krung-Sänger die Schönheit des Mädchens preist, das er im Bus gesehen hat, bedauert der Luk-Thung-Sänger eher, dass er sie nie kennenlernen können wird, weil er so ein armer Schlucker ist", erklärt Chris Menist.

Platten waren Preziosen

Nach Bangkok hat es Menist als NGO-Berater verschlagen. Doch wo die meisten Westeuropäer ihre Freizeit in Badeorten wie Phuket oder Pattaya vergondeln, drängte es den passionierten DJ und Plattenwühler durch die kleinen Nebengassen der thailändischen Hauptstadt, in Läden, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Wie zum Beispiel der Crown Shop in der Charoen Krung ("Neue Straße") in Chinatown. Hier war einst der Hauptsitz einer Plattenfirma, die in Japan pressen ließ, weil es in Thailand kein Presswerk gab. Dementsprechend kostspielig war das schwarze Gold. LPs und Singles waren kleine Preziosen, die man sich nur zu besonderen Gelegenheiten leistete - oder man legte im Freundeskreis zusammen, um sich gemeinsam eine Lieblingsplatte zu kaufen. "Es gab in den Sechzigern hier keine Clubs, in denen DJs aufgelegt hätten. Die Musik wurde live gespielt, oder man traf sich im Café, um Radio zu hören", sagt Menist.
Um so erstaunlicher ist es, dass bei einem so schmalen Markt für Popmusik so viele Musiker so ausgelassen herumexperimentiert haben. Die CD "The Sound Of Siam" ist ein Füllhorn an freakigen Einfällen - geboren aus der Fusion der thailändischen Genres mit westlicher Rock- und Soul-Musik, die unter anderem über GIs der US-amerikanischen Militärbasen ins Land kamen, die während des Vietnamkriegs dort stationiert waren. Da taucht mitten im asiatischen Singsang plötzlich das Riff von "Jumpin' Jack Flash" auf, da klingen elektrifizierte Thai-Lauten nach kalifornischen Surfgitarren. In einem Stück covert der Sänger Waipod Phetsupan die Titelmelodie des italienischen Höhlenmenschen-Sex-Klamauk-Films "When Women Played Ding Dong" (1971), der in Thailand offensichtlich ein Blockbuster war. In dem Film geht es darum, dass die prähistorische Damenwelt den Männern das gute alte "Ding Dong"-Spiel verweigert, solange diese Kriege anzetteln. In Bangkok wird ein psychedelischer Soul-Kracher draus. "Wir alle leben für Ding Dong" singt Phetsupan. Sexuelle Befreiung auf Thailändisch.

Das Siam der Swinging Sixties

Altstars wie Waipod Phetsupan oder Chaweewan Dumnern treten immer noch auf. Als "Nationale Künstler" beziehen sie eine Art Künstlerrente für besondere Leistungen um die thailändische Kultur. Von den rauen Klängen der Sechziger und Siebziger allerdings ist nichts mehr übrig. Die Genres Luk Thung und Luk Khrung schwimmen heute in einer Soße aus weichgespülten Synthesizerflächen und digitalen Drumsounds. Das Vinyl ist schon Mitte der Achtziger vom Markt verschwunden - abgelöst von der Kompaktkassette, die billiger und einfacher zu produzieren war. Nur ein paar Läden wie den Crown Shop gibt es noch - sie verkaufen einfach die liegengebliebene Ware im Zeitlupentempo ab, bis der Besitzer in Rente geht. Vielleicht kommen wegen der "Sound of Siam"-Compilation in nächster Zeit ein paar mehr Platten-Nerds aus dem Westen vorbei, um in den staubigen Stapeln zu wühlen.

Chris Menist ist jedenfalls fest entschlossen, die alten Sounds wieder in das Bewusstsein der Bangkoker Jugend zu rücken. Alle zwei Wochen veranstaltet er mit seinem thailändischen DJ-Kollegen Maft Sai einen Clubabend namens "Paradise Bangkok". "Anfangs haben meine Freunde das belächelt, die alten Sachen gelten bei denen als 'Taxifahrer-Musik'", meint Menist. Doch dann hätten sie gemerkt, dass die Grooves aus dem Siam der Swinging Sixties mindestens so rocken wie die Reggae-, Afro- oder Soulplatten, die Menist und sein DJ-Kollege dazwischenmixen. Jetzt ist die Tanzfläche im "Paradise Bangkok" immer voll.

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