Tha Tian kämpft gegen den Abbruch

Zwängt hier alle kulturellen Themen rein wie Film, Kunst, Design, Sport, Photographie, Musik, Literatur, Theater, Geschichte, Sitten und Gebräuche oder gar Mode.
Benutzeravatar
koratwerner (†2012)
Thailand-Autor
Beiträge: 941
Registriert: Di Dez 26, 2006 4:28 pm
Wohnort: Korat

Tha Tian kämpft gegen den Abbruch

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Di Aug 25, 2009 10:34 am

Gemäss der thailändischen Regierung soll Bangkoks ältester Stadtteil Tha Tian einem modernen Museum weichen. Zehn Impressionen schildern den Widerstand, den die 3000 Bewohner seit nun schon 15 Jahren leisten.

Ausdauernder Widerstand: Kriangkrai Olarnpansakul organisiert die Opposition.

1. Der Auftakt

Über sein Quartier Tha Tian, den ältesten Stadtteil Bangkoks, weiss er bestens Bescheid. Und das meiste davon ist nirgends notiert. «Mündliche Überlieferung», lacht Chul Darunvijt, 69-jährig, und strahlt. Intensive Mimik, tiefer Haaransatz, hervorstehende, vife Augen rufen Erinnerungen an den Komiker Fernandel wach. Und just auf die Franzosen kommt er zu sprechen.

Die hätten hier im 17. Jahrhundert Festungen errichtet, um Zollgelder einzutreiben: Vichayane auf Tha Tian und Vichai Parasit gegenüber, auf der westlichen Flussseite des Chao Paraya. «Doch dann kam General Taksin, vertrieb die Burmesen und dann die Franzosen, ernannte sich zum König und ermunterte die handelstüchtigen Chinesen, sich in Tha Tian anzusiedeln. 1782 entstand so Bangkok.» Er spricht von den Krummsäbeln fliehender Muslime, die im Boden von Tha Tian noch zu finden seien.

Chul in Tha Tian zu treffen, wäre einfach. Touristen verpassen ihn jedoch knapp, wenn sie nach der Besichtigung des Tempels Pho ans Ufer des Chao Paraya auf die Terrasse von «The Deck» gelangen, dem einzigen Touristen-Restaurant im Viertel. Abends am Fluss ist die Ambiance hinreissend. Dafür sorgt der beleuchteten Arun, der Tempel der Morgenröte, am Ufer gegenüber. Chuls Zuhause liegt just neben dem schicken Restaurant, versteckt unter Wellblech, über einem Pfad neben Wohnnischen von Hausbesetzern. Vorbei an Styroportanks, in denen filetierte Fische auf Eis liegen, vorbei an einer Gassenküche. Und vorbei an zwei Zwergpinschern, die kläffend Alarm schlagen, bis Chul sie des Weges verweist und auf die gedeckte Bretterterrasse über dem Chao Paraya bittet. «Ich wohne hier auf öffentlichem Grund, auf der künftigen Uferpromenade, die allen zugänglich sein soll», sagt er und schneidet dabei Tha Tians heikelstes Thema an.

2. Das Venedig des Ostens

Heikel für die Regierung Thailands, weil sie Tha Tians 3000 Bewohner seit 15 Jahren loswerden will, es aber nicht schafft. Heikel für Bangkoks Stadtbehörde, die kein Gehör findet mit ihrem Gegenvorschlag. Und prekär für die Bewohner, die im Widerstand Selbstbewusstsein gewinnen, aber auf einem Pulverfass sitzen, weil sie nicht wissen, ob und wann die Bagger auffahren.

Die Regierung hatte alles eingefädelt. Erst boxte sie nach den 1970er-Jahren Bangkok zur Metropole hoch, mit Hochhäusern, Shopping-Malls, Expressstrassen und Skytrains. Und kam so an das Ur-Bangkok der Tempel und Paläste. Den touristisch attraktivsten Teil gilt es noch als «Venedig des Ostens» zu erneuern, mit freiem Blick auf die prächtigen Bauten vom Fluss her.

Tha Tian ist hier ein Ärgernis. 490 Reihenhäuser, eine Markthalle für Kleinkrämer und Umschlagplätze für Engroshändler behindern die Sicht. Die kaum einen Kilometer lange, 150 Meter breite Sperrfront ist schäbig vom Chao Paraya her: weisse Fliesen aus Beton, Lagerschuppen, aus denen Werkstätten, Bretterbuden, Stege und Terrassen in zufälliger Folge zum Fluss hinausragen. Gewohnt an die Radikalplanungen vergangener Jahrzehnte, verlangt die Regierung von der Stadt Abbruch und Umsiedlung. So sehen es ihre Planer seit 1994 vor: Tha Tian wird ein Touristenpark, 61 historische Bauten um die ehemalige Markthalle dürfen als Museum stehen bleiben.

Nur mit den umtriebigen Händlern in Tha Tian haben die Planer nicht gerechnet. Der Abbruch wäre nicht der einzige Schicksalsschlag. 1995 schwappte nach wochenlangen Regengüssen der Chao Paraya über die Ufer und verdarb sämtliche Güter. In zweifacher Not gruppierten sich die Händler um ein Komitee und erlangten bei der Stadt politischen Einfluss.

Nun gerät die Stadtbehörde unter Druck. Die Stadt einigte sich mit Tha Tian auf den Kompromiss einer attraktiven Uferpromenade anstelle der Umsiedlung. Doch der junge Städteplaner Yongtanit Pimonsathean, der diese Lösung im Auftrag der Stadt einfädelte, kam damit bei der Regierung nicht durch.

Seit 2001 herrschte ein Patt, der Aufschub, bis vergangenen März die nationale Tourismusbehörde erneut versprach, das «Venedig des Ostens» in Sinn des «globalen Trends des Kulturtourismus» zu schaffen: in Tha Tian mit dem Park anstelle der Markthalle und im Herzen Bangkoks mit einer Einkaufsstrasse à la Champs-Elysées.

3. Die Tempeltouristen

Unbeachtet von Touristen, die sich im «Deck» ganz auf den Arun ausrichten, der nachts wie ein überkandierter Zuckerstock leuchtet, echauffiert sich unter dem Wellblechdach Chul: «Die Tempel ohne die Bewohner, das ist absurd. Wem sind sie zu verdanken? Es waren die hier wohnenden Chinesen, die im Pho unser Wahrzeichen, den liegenden Buddha, errichteten.»

Tha Tian ist den Städteführern kaum eine Zeile wert. Fünf Millionen Tempeltouristen nehmen den Namen meist nur als Bootssteg zur Kenntnis. Nur das Wahrzeichen ist sich seiner Erbauer bewusst. Ruhend, in 46 Metern Länge und 15 Metern Höhe, hält der imposante, in Gold gefasste Buddha seinen Kopf mit geheimnisvollem Lächeln auf dem Gesicht Tha Tian entgegen.

Chul zieht die Kopie einer Panoramaaufnahme von 1864 hervor. Darauf ist Tha Tian mit stattlichen Uferbauten abgebildet, dahinter die Tempel, zum Teil noch nicht vollendet. Chul stellt damit Tha Tian mit den Baudenkmälern, die heute allein noch eine Rolle spielen sollen, auf die gleiche Zeitachse.

4. Der Vermittler

Weder die Touristen noch die Planer der Regierung vernehmen Chuls Argumente.

Der einzige gute Zuhörer ist Städteplaner Yongtanit. Anders als die Planer der Regierung, die am Reissbrett Bangkoks Strassen verlegt und Stadtteile umquartiert haben, bewegt sich der feingliedrige 46-jährige Universitätsprofessor an der Thammasat-Universität wie ein Einheimischer durch die Quartiere. Wie ein ein geduldig von Haus zu Haus ziehender Handelsvertreter hält er vor Lagerhäusern und Marktständen und kommt sogleich mit Krämern und Engroshändlern ins Gespräch.

Zum «Venedig des Ostens» sagt er: «Die Idee ist, die Stadt mit historischen Bauten herauszuputzen. Den Planern ist egal, wie die Leute hier leben.» Seine Gegenthese hat er schon als angehender Professor formuliert: «Die Stadt besteht aus den Leuten, die in ihr leben, sonst ist es gar keine Stadt.»

Im Schmelztiegel der 10-Millionen-Metropole haben sich die Chinesen als Ansiedler längst mit den Thais vermischt. Besonders prägend wirkt der enge Lebensraum von Tha Tian. Zwischen Fluss und Tempeln eingezwängt, leben die Menschen anpassungsfähig und bescheiden. Hartnäckig schaffen sie oft den Aufstieg von ganz unten nach oben und bleiben dem Ort, der ihnen dies ermöglichte, doch treu. Taglöhner und Grosshändler, Hausbesitzer und Hausbesetzer wohnen nahezu Tür an Tür.

Bei Tagesanbruch trainiert in der Lagerhalle ein Pensionär Kampfhühner, Frauen filetieren routiniert frisch gelieferten Fisch, und einige Taglöhner hüllen sich in Kojen aus geflochtenem Bambus, Brettern oder Wellblech noch in die Decken, im Blickfeld des Königs von Thailand, des jungen Bhumipol, der vom Kalenderblatt mild und zuversichtlich durch grosse Brillengläser herunterschaut, während er in Wirklichkeit alt ist und kränkelt.

5. Die Aufsteigerin

Ihre Zuversicht bauen die Taglöhner auf Verwandte, die bereits Fuss gefasst haben. Wie Jantana Srisuwan, die als Zehnjährige ihrem Bruder folgte, 15 Jahre als Hausgehilfin arbeitete, bevor sie als Mutter von zwei Kleinkindern ihre Gassenküche installierte.

Seither fährt sie täglich um Mitternacht in den Gemüsemarkt, rüstet und schneidet danach in ihrer Küche, bevor sie um zwei Uhr früh Öl und Zwiebeln in den Töpfen ansetzt. Morgens zwischen sechs und acht tischt sie vis à vis des Pho ihre Nudelsuppe und allerlei Gemüse mit Fisch auf. Auf Kundschaft muss sie nie lange warten.

Die 56-Jährige stützt den Kopf, während sie, am Boden der Küche sitzend, ihr Leben aufrollt. Ihr Mann arbeitete wie ihr Bruder in einer Zuckerfirma, zog dann das Leben als Lastwagenchauffeur vor, rutschte in die Arbeitslosigkeit und kehrte aufs Land zurück. Seit zehn Jahren ist sie geschieden.
Glück bringt ihr eine Nachbarin: «Sie war wie eine Mutter zu mir, als ich als Kind nach Tha Tian kam.» Sie ermöglichte ihr mit zinslosem Darlehen, den Hausteil neben der Gassenküche zu erwerben. Ihre Töchter hat sie selbst gross gezogen. «Die ältere verkauft Krabben, die jüngere möchte Flughostess werden. Den Bachelor in Englisch hat sie an der Universität abgeschlossen. Zurzeit ist sie in London», berichtet Jantana stolz. Reise und Studienaufenthalt ihrer Tochter waren ihr 10000 Franken Erspartes wert.

Anerkennend nickt ihr Neffe, bevor er in die Küche ans Telefon eilt. Weil ihre Töchter nicht wollten, ist er bei ihr als Küchenjunge eingestiegen. Jantana meint zum Telefongespräch: «Es war mein Ex-Mann. Er möchte mit seiner Neuen nach Tha Tian zurück und sucht eine Wohnung.» Sie habe nichts dagegen, falls er Arbeit findet. «Wir sind Freunde geblieben und die Mädchen mögen ihn.»

Ihr bester Freund ist heute Prasong Kobsomat, der stumm neben ihr sitzend das Gespräch verfolgt. Während seine Brüder in die USA auswanderten, übernahm er das Gemüsegeschäft der Eltern. 30 Jahre danach folgte er den erfolgreichen Brüdern, versuchte sich als Koch und Restaurantbesitzer. «Das Klima habe ich in Tennessee nicht ertragen», meint der 68-jährige Heimkehrer.

Er zeigt uns den One Pho Original Thai Massage Salon, den er vor vier Jahren in der Nähe des Bootsstegs eröffnet hat. Im klimatisierten Lokal setzt sich Prasong neben die Kasse. Müde wirkt er in seinem Geschäft, das er nur mithilfe seiner erfolgreichen Geschwister aufbauen konnte.

6. Das Patt

«Zuerst dachten die Leute, wir seien Regierungsagenten, die sie umsiedeln wollten. Drei Sitzungen brauchten wir, um Vertrauen zu gewinnen.» Yongtanit Pimonsathean erinnert sich im Dozentenbüro an der Thammasat Universität an seine erste Begegnung in Tha Tian. 15 Kilometer nördlich von Bangkok, in Landkrabang, unterrichtet er in einem modernen Komplex, dessen gigantischer Innenhof die Atmosphäre eines Flugzeughangars ausstrahlt. Architektur als Wille zur Macht, so kommt es einem vor.

«Ich habe meine Studierenden, aber keine Macht», sagt Yongtanit. Immerhin, seine Studierenden geben Tha Tian, dem ältesten Quartier Bangkoks, ein offiziell dokumentiertes Gesicht, das die Behörde nicht einfach negieren kann. Basierend auf reichen Inventarzeichnungen und der Befragung der Bewohner, kommen sie in einem Gutachten zum Schluss, dass zwei Drittel der Bauten erhaltenswert sind.

Yongtanit ist der erste Städteplaner Bangkoks, der sich direkt für Bewohner interessiert. Der Erste, der den Kompromiss einer Uferpromenade den Betroffenen im nahen Schulhaus vorstellt und so Behörde, Parlamentarier und Bewohner zum Gespräch an einen Tisch bringt.

Die Bewohner fangen an, Häuserfassaden zu erneuern, und die Stadt renoviert eine Seitenstrasse. Eine weitergehende Erneuerung blockiert jedoch die Regierung. Renovation und Ausbau sind unmöglich. Die junge Generation mit guter Schulbildung, die den Weg nach oben findet, wünschte sich mehr Platz und Komfort.

Gassenköchin Jantana Srisowans Haus ist zweifach bedroht: Es steht auf der Streichungsliste der Regierung und jener des Tempels Pho, der wartet, bis er einen attraktiven Bootssteg für Touristen bauen kann. «Seit fünf Monaten verlangen die Mönche keinen Bodenrechtszins mehr, das zeigt doch, dass die Pläne mehr als nur ein Gerücht sind», folgert Jantana: «Ich bete zu Buddha um Hilfe.»

7. Der Widerstand von oben

«Es gibt keinen Abbruch, davon bin ich überzeugt», erklärt hingegen Engroshändler Kriangkrai Olarnpansakul. Als Präsident des Tha-Tian-Komitees hat er den Widerstand organisiert und durchgeführt. Hochgeschossen, breitschultrig und mit prüfendem Blick flösst er beim ersten Kontakt Respekt ein. Er mimt den Patriarchen, der wegweisend die Richtung vorgibt, ohne Macht demonstrieren zu müssen. Er führt uns in die Markthalle, wo sich die Leute zum Kartenspiel treffen, platziert einige Kinder als Zuhörer auf den Stühlen hinter sich, faltet sodann die Hände über dem Tisch: «Wir leben friedfertig, dulden keine Drogen wie in anderen Kommunen.»

Stolz lässt er uns in straff organisierte Institutionen einführen: In den Treffpunkt Tha Tians, wo Männer um ein Dutzend Billardtische die farbigen Kugeln stossen, während ihre Freundinnen schwatzend Limonade trinken. In den Raum darunter, wo sich kränkliche Leute während Sprechstunden von Krankenpflegerinnen beraten und ihre Sehschärfe von Optikern untersuchen lassen. Auch haben wir Einblick in den Treff, wo Kinder sich bei Videogames die Finger wund drücken. Und wir nehmen an den Wänden zahlreiche Feuerlöscher mit dem Konterfei ihrer Spender wahr.

So zeigt uns Kriangkrai, wie er den Widerstand von oben organisiert hat. Er stellte sich als Präsident des Komitees zur Verfügung und berief dessen 25 Mitglieder. Mit seiner straffen Organisation punktet er bei Eltern und Stadtbehörde. Das Las Vegas der Rucksacktouristen, die Khaosan Road, wo Mädchen und Drogen billig zu haben sind, befindet sich in Fussgängerdistanz. Noch näher liegt der Park Sanam Luang, der einstige Friedhof der Könige, wo jede Nacht 400 Decken an Obdachlose verteilt werden.

8. Die Städteplanerin

«Die Bewohner haben mit ihrer dynamische Organisation zusammen mit der lokalen Regierung, den Landbesitzern und Universitätsvertretern der geplanten Umsiedlung etwas Wichtiges entgegenstellen können», meint Adriana Rabinovich Behrend, die während den letzten zehn Jahren als Städteplanerin an der EPFL Lausanne wirkte. Sie hat die Ausführungen Kriangkrais mitverfolgt und Tha Tian schon mehrmals besucht. An der Universität Bern, im Institut für Entwicklung und Zusammenarbeit, ergründet sie nun als Direktoriumsmitglied des Nationalen Forschungsschwerpunkts Nord-Süd zusammen mit Yongtanit und Städteplanern aus Buenos Aires und Havanna die Voraussetzungen, damit Städte sich entwickeln können, ohne ihren Charakter und ihre angestammte Bevölkerung zu verlieren.

Entscheidendes sei ungeklärt, sagt Adriana Rabinovich: «Wir wissen nicht, was letztlich zum Erfolg nachhaltiger Städteentwicklung führt.» Tha Tians 15-jähriger Widerstand und seine Verhandlungsstrategien lieferten Anhaltspunkte.

Städte entwickelten sich bei uns ebenfalls nicht nachhaltig. Historische Zentren hätten ihre Substanz hauptsächlich in baulicher Hinsicht bewahrt, mit ausgekernten Fassaden, hinter denen sich Büros, Läden oder Restaurants befinden. Hohe Bodenpreise machten Druck auf die Aussenquartiere, wo die bauliche Aufwertung die soziale Durchmischung gefährde. Jüngste Beispiele in der Schweiz seien der Flon in Lausanne, die Lorraine in Bern und in Zürich der Kreis 4.

9. Das Erbe der Eltern

Widerstand als beharrliches Festhalten am Ort und an überlieferten Werten, diesen Weg wählen in Tha Tian viele Händler. In seinem Büro, das mit Bestellbögen auf Tischen übersät ist, meint Waitaya Kangwanpornsiri: «Ein intaktes Wohn- und Arbeitsquartier, das Millionen von Dollar im Jahr umsetzt, durch einen Park zu ersetzen, das darf sich heute keine Regierung leisten.»

Sein Vater war Lebensmittelhändler, Waitaya hat seine Familie in der zweiten Generation ganz nach oben gebracht. Massgebend beigetragen hat das weisse Pulver Monosodiumglutamat, für das er zur rechten Zeit den richtigen Riecher hatte. Als Geschmacksverstärker steckt es heute in fast allen Halbfertiggerichten Thailands, und Waitaya ist dessen Händler mit grösstem Umsatz.

Es gäbe für ihn ein Leben ohne Tha Tian. Doch die Möglichkeit will er nicht einmal gedanklich durchspielen: «Wir sind das Erbe unserer Eltern, arbeiten sechs Tage die Woche und schlafen nur fünf Stunden.» Wir, das sind er, seine Frau, sein Bruder und 13 Angestellte, darunter Taglöhner, die er mit zehn Dollar, vier mehr als gesetzlich vorgegeben, entlöhnt. Den Tagesumsatz seiner 300 Produkte kalkuliert er noch mit dem chinesischen Rechenbrett Suan Pan, Bestellungen notiert er auf Papier, Bilanzen hat er im Kopf. Den Computer nutzt er einzig zur Berechnung der Steuern.

Das Erbe befindet sich immer noch am selben Ort, an dem sein Vater die Grundlage zum Erfolg in zwei Holzhäusern erarbeitete. Die Holzhäuser hat Waitaya noch vor den Abbruchplänen durch Backsteinbauten ersetzt. In fast allen Räumen, auch im Wohnzimmer, lagern versandbereite Kartons.

Der Hometrainer mit dem Laufband steht vor dem Schlafzimmer, der Boxsack, an dem er seine Energie abarbeitet, hängt auf der Dachterrasse mit bester Tempelsicht. Er will keine Hubstapler anschaffen, sondern die Leute weiterbeschäftigen: «Wir fühlen uns hier als Quartier, in dem jeder dazugehört. Wer von aussen etwas ändern will, ohne es mit uns abzusprechen, muss mit dem Protest aller rechnen.»

10. Das Stossgebet

So trotzt Tha Tian seit 15 Jahren dem Abbruch. Die Regierung Thailands, die bei harten Auseinandersetzungen immer mit der Hilfe des Militärs rechnen konnte, beharrt auf ihrer Position, ohne sie durchzusetzen. Die Stadtbehörde schlägt sich auf die Seite Yongtanits, der nicht nur die bestehende Bausubstanz, sondern ebenso die Argumente der Bewohner und der Gegner in seine Planung einbaut.

Es entstehen Planungsgrundlagen, die es den Behörden erlauben, breit abgestützte Entscheidung zu finden. Ein Vorgehen, das für Rabinovich wegweisend ist: «Wenn die öffentliche Hand nicht klare Regeln setzt, verläuft die Stadtentwicklung nicht nachhaltig. Der Markt allein schafft es nicht.» Yongtanit rettet so in Phuket und Bangkok weitere Quartiere vor Abbruch und Umsiedlung. Doch er zieht eine durchzogene Bilanz. In Tha Tian sind die Entscheide noch nicht gefallen, im Chinesenviertel Luen Rit warten 299 Ladenbesitzer und 120 Familien auf einen Gerichtsentscheid.

Der Planungsweg kann längerfristig nur bestehen, wenn ohne Druck von oben demokratisch entschieden wird. Yongtanit stellt aber fest, dass Thailänder an die Klientelwirtschaft gewöhnt sind: Patrons, die Einfluss geltend machen, und ihre Klienten, die sich durch diese Schirmherrschaft verderben lassen. Wenn sich Leute so in Abhängigkeit begeben, könnten sich eine gute Regierungspraxis und Transparenz nicht durchsetzen, warnt Yongtanit.

Von Christian Bernhart . (Der Bund)
Erstellt: 24.08.2009, 13:19 Uhr
Es ist nicht schwer zu wissen wie man etwas macht,
aber es ist schwer es auch zu tun!

Zurück zu „Kulturgeschnatter“



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 89 Gäste