Tischsitten in Thailand

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koratwerner (†2012)
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Tischsitten in Thailand

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Mi Aug 20, 2008 5:52 pm

Hallo liebe Leser!

Vorhin habe ich in einem anderen Forum etwas über Tischsitten in Thailand gelesen und darauf hin den folgenden Beitrag gepostet. Ich möchte Ihnen und Euch meine Antwort nicht vorenthalten.


Tischsitten in Thailand?

Richtige Thailänder, die noch nicht von der westlichen Dekadenz degeneriert sind, haben keine Tischsitten, sondern traditionelle Bastmattensitten.

Diese Spezis von Thailändern findet man nicht in den größeren Städten und schon gar nicht in den Touristenorten. Leider ist sie sogar vom Aussterben bedroht.

Im Isaan aber, da wo man westliche Sitten und Gebräuche nur im TV sieht, da gibt es sie noch, die schönen alten Eßgewohnheiten, die das Leben lebenswert machen.

Wie mancher ahnt und sich viele denken können, ist Reis das Hauptgericht in Thailand. Doch beileibe kein so schöner lockerer Reis, wie wir ihn von Onkel Bens aus Amerika kennen. Nein, der Reis muss etwas klebrig sein, damit man ihn mit der rechten Hand greifen und etwas zusammen knuddeln kann. Er muss kleben, damit man ihn zu einem Kügelchen formen kann. Das ist wichtig, denn nur so kann der Happen bis etwas zur Hälfte in die Chilisoße getunkt werden und dabei nicht auseinander fallen.

Dann wird er genüsslich in den Mund geschoben und unter lautem Schmatzen und ohne Unterbrechung des Redeflusses verzehrt.

Reis, Chilisoße und Beilagen stehen in Schüssel gefüllt, mitten auf einer am Boden ausgerollten Bastmatte. Rings herum hocken die Frauen mit zur Seite gestreckten Füßen und die Männer haben es sich im Schneidersitz bequem gemacht. Dabei wird peinlich darauf geachtet, dass die Füße nicht auf eine andere Person zeigen, das ist nämlich unhöflich.

Messer gibt es nicht. Doch jeder hat ein Plastiktellerchen vor sich stehen, auf dem wie verloren eine Gabel und ein Löffel liegt. Dann stehen da noch einige Wasserflaschen, jeder hat ein Glas und dann wundere ich mich immer über einige Rollen Toilettenpapier, die doch eigentlich…..! Doch lassen wir das, es geht ja hier um Tischsitten und nicht um die Folgeerscheinungen des Essens.

Reis und Chilisoße ist klar, oder? Die Beilagen bedürfen aber einer Erläuterung. Da ist beispielsweise manchmal ein großer Fisch, fast so groß wie ein Kabeljau oder viele kleinere Fischchen, die so groß wie kleine Heringe sein können. Im Isaan sind das meistens Süßwasserfische aus den Flüssen, Teichen oder den Tümpeln von den Reisfeldern. Zwar gibt es auch im Isaan Meeresfische, doch die sind teuer und deshalb nicht schmackhaft. Fische aus dem Tümpel dagegen sind immer schmackhaft, selbst wenn sie nach Moder schmecken. Zünftig zubereitet ist der Fisch nicht ausgenommen und wird samt Kopf und Flossen in Kräutersud gekocht oder gebraten und auf einer Platte serviert.

Schweine- und gar Rindfleisch kommt seltener auf die Bastmatte, wenn aber, dann ist es meistens samt der Knochen mundgerecht in Stücke zerhackt und in einem süßen Blättersud gekocht.

Häufiger findet jedoch ein ebenfalls klein gehacktes Hühnchen den Weg auf die Bastmatte. Das ist sogar oft richtig schön durchgebraten, so dass ich es als Gummigai bezeichne. Gai ist der Name für Huhn und meine Frau streitet es immer entschieden ab, wenn ich die zähen Stückchen so bezeichne.

Da alles Fleisch mundgerecht zerkleinert ist, erübrigt sich der Gebrauch von Gabel und Löffel. Alles erledigen die Finger der rechten Hand. Sie pulen sich ein Stück Fisch ab, tunken es in die Chilisoße, in der zur Abwechselung auch mal getrockneter Fisch untergerührt ist und der dann dementsprechend stinkt.

Ohne Chili wandert kein Bissen in den Mund, denn außer dem Wasser muss alles, aber auch wirklich alles nach diesem scharfen Zeugs schmecken. Dass dabei der Eigengeschmack einer jeden Komponente unweigerlich verloren geht, ist ohne jegliche Bedeutung.

Mit den Gemüsebeilagen verhält es sich analog. Was heißt hier Gemüsebeilagen? Vielleicht verirren sich einmal einige Blätter Weißkohl auf die Bastmatte, ansonsten besteht das Gemüse aus irgendwelchen stielartigen Pflanzen mit mehr Stiel als Blättern. Die sind manchmal etwas vorgegart, in der Regel aber roh. Auch sie werden, wie der klebrige Reis, zusammengeknüllt und gefaltet, selbstverständlich erst in die Chilisoße und dann in den Mund gesteckt.

Ja und die Teller, Gabel und Löffel? Ist das etwa Dekoration? Nein, den manchmal kann der Mund die eifrig hinein geschobenen Menü-Bestandteile nicht alle fassen. Dann wird einfach kräftig abgebissen und der vom Mund fallende Rest wird mit dem Tellerchen geschickt aufgefangen. Mit der Gabel wird sodann dieser Rest auf den Löffel geschoben und in den nunmehr wieder aufnahmefähigen Mund gebracht.

Da beim Essen nicht nur gegessen und geredet, sondern auch viel Wasser getrunken wird, dient das Toilettenpapier zur Reinigung der Hände. Anstand muss sein. Sieht doch nicht schön aus, wenn das saubere Trinkglas mit Speiseresten beschmiert wird, oder? Ja, und dann wandert das benutzte Papier auf die schönen Plastiktellerchen, wo sie langsam zu einem kleinen Häufchen anwachsen.

Lieber Leser. Nur so schmeckt ein richtiges zünftiges Essen im ursprünglichen Thailand nach alter Tradition und neuerer Gewohnheit. Neue Gewohnheit? Ja natürlich, hab ich ganz vergessen. Gabel und Löffel sind neuere Errungenschaften. Vordem wurde stattdessen mit Stäbchen hantiert. Das geschieht heute auch noch, doch nur selten, nur dann wenn die Speisen fast wie bei einer feierlichen Zeremonie zelebriert werden.

Um jetzt auf den Eingangsbeitrag zurück zu kommen, ist der Personenkreis um die Schälchen in Schüsseln in der Mitte der Bastmatte so groß, dass nicht jeder mit seiner Hand, ohne sich aufrichten zu müssen, überall hinein- und heranlangen kann, dann wird tatsächlich sein herüber gereichtes Tellerchen von einer anderen Person gefüllt. Viel häufiger ist es aber der Fall, das hilfreiche Hände die einzelnen Dinge direkt übergeben.

Diese schönen Tischsitten findet ein Tourist in keinem Restaurant, noch nicht einmal im traditionsbewussten Isaan. Das gibt es nur im Freundes-, Bekannten und Familienkreis.

Warum eigentlich? Nachher will ich doch mal ernsthaft mit meiner Frau darüber sprechen. Wir könnten doch in einen Touristenort übersiedeln und da ein original Isaan-Restaurant betreiben. Thaimädels aus dem Isaan gibt es doch in Hülle und Fülle und die Touristen hätten dann schöne Video- und Fotomotive über Tischsitten aus dem ursprünglichen Thailand.

Viele Grüße aus dem Isann nach Deutschland und dem Rest der Welt,


Werner Schwalm :salut :salut :salut
Es ist nicht schwer zu wissen wie man etwas macht,
aber es ist schwer es auch zu tun!

tuktuk
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Re: Tischsitten in Thailand

Ungelesener Beitragvon tuktuk » Do Aug 21, 2008 12:48 pm

Danke für die nette und ausführliche Beschreibung.Offensichtlich habe ich auch einiges von diesen Tischsitten in mir drin.Die gibt es wohl auch anderswo auf der Welt.
Statt Fischsauce mag ich lieber Maggi. :)

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pezi
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Re: Tischsitten in Thailand

Ungelesener Beitragvon pezi » Fr Aug 22, 2008 7:29 pm

alles was auf der matte ist gehört auch allen.das heist wenn einer in deinen teller greift und sich das beste stück angelt ist das normal.gruss pezi

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koratwerner (†2012)
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Re: Tischsitten in Thailand

Ungelesener Beitragvon koratwerner (†2012) » Sa Aug 23, 2008 9:00 am

Danke Pezi!

Wenn noch einige Ergänzungen kommen, kann ich meinen Beitrag bald überarbeiten.

mfg

Werner
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pezi
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Re: Tischsitten in Thailand

Ungelesener Beitragvon pezi » Sa Aug 23, 2008 6:30 pm

hallo koratwerner,dein beitrag war doch ein richtiger gedankenanstoss für uns.gruss pezi

fen (†2014)
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Re: Tischsitten in Thailand

Ungelesener Beitragvon fen (†2014) » Sa Aug 23, 2008 7:02 pm

Hallo Werner,

genau so habe ich es vor Jahren hier in Lopburi kennengelernt. Wir hatten eine Einladung zu einer Party bei dem Vorgesetzten (Militär) vom meinem Schwager, dieser Vorgesetzte ist dieses Jahr im sehr hohem Generalsrang pensioniert worden. Als wir kamen, sass er mit seinen Freunden auch auf der Strohmatte mit all den Tellern darauf. Nach der Begrüßung hat er aber sofort Tisch und Stuhl kommen lassen und umgedeckt ahnend, dass der Farang nicht gut auf Thai stiel essen kann.

Gebhard
Hummel Hummel.........


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