Der Kristall - eine Parabel

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Rudi (†2019)
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Der Kristall - eine Parabel

Ungelesener Beitragvon Rudi (†2019) » Do Feb 21, 2013 4:02 pm

Der Kristall - eine Parabel

Es war einmal vor sehr langer Zeit ein wunderbarer See. Sein Wasser war so klar und rein wie das helle Sonnenlicht. Und weil aus der Tiefe des Sees ein wunderbares Licht empor schimmerte, nannte man ihn den Sonnensee. Dieser See war das Reich des Schwanenkönigs, der über eine große Schar leuchtend weißer Schwäne herrschte. Er war ein gütiger König und kannte jeden einzelnen Schwan bei seinem Namen. Da das Glück und die Freude aller seiner Schwäne sein höchstes Ziel waren, gab es auf diesem See kein Leid, keine Not und keine Traurigkeit. Das wundersame Licht des Sees wärmte die Schwäne, so dass ihr leuchtendes Gefieder sehr leicht und luftig war.

Eines Tages gab der König ein großes Fest zu Ehren der Volljährigkeit seines ältesten Sohnes. Der junge Prinz war sehr beliebt bei den Schwänen, die gern der Einladung zum Geburtstag folgten. Aber-tausend Blumen und Girlanden schmückten den großen Festsaal des Schlosses und die feinsten Speisen wurden serviert. Wundersame Musik erfüllte den Saal, und der König führte mit seiner Gemahlin die Gäste zum Tanze. Als die Feierlichkeit ihren Höhepunkt erreichte, erinnerte der König die Anwesenden an den besonderen Anlass dieses Festes. "Meine lieben Kinder", sprach er, denn er war wie ein Vater für alle, "wir sind heute zusammengekommen, um den Geburtstag unseres lieben Sohnes zu feiern. Es freut mich ganz besonders, da ich weiß, wie auch ihr ihn über die Jahre schätzen gelernt habt, und ihn in Eure Herzen aufgenommen habt. Daher habe ich beschlossen, ihn von nun an als Mitregenten des Sonnensees zu erheben. Als Zeichen dieser Würde und hohen Aufgabe schenkte ich ihm diesen Kristall".

Ein Raunen ging durch die erstaunte Schar der Schwäne als der König eine Kette mit einem strahlenden Kristall um den Hals des Prinzen legte. Dankbar und sichtbar gerührt nahm dieser das Geschenk seines Vaters an. Gerade wollten die Gäste in einen begeisterten Freudenbeifall ausbrechen, als die zornige Miene der Königin sie schroff zurückhielt. "Wie kannst du unseren Sohn als Mitregenten bestellen", rief sie, "wo doch dieses Recht ganz allein mir, deiner Frau, zustehen sollte"? Der König schwieg und sah seine Frau lange mit liebevollen Augen an. Dann sagte er: "Alles was mein ist, das ist auch dein. Dir gehört dieser See, wie auch allen anderen Schwänen. Was willst Du noch mehr"? "Ich will mein eigenes Reich"! bestimmte die Königin, "wo ich allein regieren kann - so wie es mir gefällt"!

Diese Worte stimmten den König sehr traurig, denn er liebte seine Frau über alles. Seine tiefe Liebe zu ihr verbot es ihm jedoch, sich dem Willen seiner Frau zu widersetzen. "Ich werde dir dein eigenes Reich schenken", sagte der König nach einer Weile. "Am Rande meines Reiches liegt ein großer See, den man den Mondsee nennt. Ihn magst Du als dein Eigentum nehmen und dort dein Reich gründen".

Die Königin verlor keine Zeit. Sie nutzte die Gelegenheit der anwesenden Gäste und versprach jedem, der mit ihr kommen wolle, hohe Ämter und Auszeichnungen in ihrem neuen Reich. Sie verstand es, geschickt für ihr neues Unternehmen zu werben und eine beträchtliche Zahl von Schwänen ließ sich für ihren Plan gewinnen.

Für den König und allen verbliebenen Schwänen war es ein trauriger und sehr schmerzhafter Abschied als die Königin sich mit ihrem Gefolge vom Sonnensee erhob und mit kräftigen Flügelschlägen in die Richtung des Mondsees zog. Es war ein weiter Flug für die Königin und ihr Gefolge. Je mehr sie sich von ihrer ehemaligen Heimat entfernten, desto dunkler wurde es um sie. Endlich sahen sie in der Ferne das silberne Licht des Mondsees. Erschöpft ließen sich die Schwäne auf ihm nieder. Zum ersten Mal in ihrem Leben verspürten sie Kälte, denn das Licht des Sees war nur der fahle Widerschein des weit entlegenen Sonnensees. Sie froren und waren hungrig.

Das Leben auf dem Mondsee war anders als sie es gewohnt waren. Es fehlten die Wärme und der Überfluss. Ihr leichtes, weißes Gefieder war viel zu dünn und alsbald wuchsen den Schwänen neue Federn über ihr weißes Kleid. Diese Federn wärmten sie zwar etwas, aber sie waren viel größer, gröber, schwerer und sie waren pechschwarz! Ihr neues Federkleid wurde dabei so schwer, dass selbst das Fliegen für sie mühsam wurde, und sie alsbald nur noch auf dem kalten See herum schwammen, wo sie sich um die wenigen Futterbisse stritten. Viele dachten noch oft an den schönen, warmen Sonnensee, wo das Leben so viel reicher war. Doch längst war ihr Gefieder zu schwer geworden, um noch an einen Rückflug zu denken. So vergingen die Jahre und mit ihnen schwanden auch mehr und mehr die letzten Erinnerungen an den Sonnensee.

Doch der Schwanenkönig hatte sie nicht vergessen. Er dachte immerzu mit wehen Herzen an die Königin und an jeden einzelnen Schwan, der sich ihr angeschlossen hatte. Er wusste um ihre Not und wünschte sich nichts mehr, als dass sie alle zum Sonnensee zurückkehren würden. Die anderen Schwäne in seinem Reich fühlten ebenso wie er und sehnten sich nach ihren Brüdern und Schwestern, die nun auf dem kalten Mondsee froren.

Der König überlegte lange, was er tun könne, um die verlorenen Schwäne zurückzuholen und sie von ihrem mühsamen Los zu befreien. Alsbald sandte er Schwäne aus, die als Boten zum Mondsee flogen, um die verlorenen Schwäne zur Rückkehr zu bewegen. Doch diese Boten in ihren weißen Gefiedern wurden mit großem Argwohn auf dem Mondsee empfangen. Man wollte ihr Werben und ihre Worte nicht hören. Man verlachte und verhöhnte sie und mancher weiße Schwan wurde sogar von der erregten Schar erschlagen.

So kam ein Bote nach dem anderen und allen erging ein ähnliches Schicksal. Die Herzen der schwarzen Schwäne auf dem Mondsee waren - wie der See - kalt geworden und wollten sich nicht für die Worte der weißen Schwäne öffnen lassen. Da trat eines Tages der junge Prinz zu seinem Vater und sprach: "Vater, lass` mich gehen, um zu den verlorenen Schwänen zu reden und sie zur Rückkehr zu bewegen." Der Vater schaute auf seinen Sohn und tiefe Freude stieg in ihm empor. Doch sprach er: "Warum glaubst du, dass dir gelingen wird, woran viele andere vor dir schon scheitern mussten“.
"Vater, als Mitregent des Reiches trage ich auch Verantwortung für jeden einzelnen Schwan. Es ist aber nicht nur meine Pflicht, die Schwäne zurückzuholen, sondern auch mein tiefer Wunsch und Wille. Ich werde als Zeichen meiner Aufgabe den Kristall mitnehmen, den Du mir einst geschenkt hast. Er möge mir helfen, die Erinnerung in den Schwänen wieder zu wecken." Da umarmte ihn der Schwanenkönig und ließ seine Abreise vorbereiten.

Es war eine kalte Winternacht, als sich der Königssohn dem Mondsee in langsamen Flug näherte. Manche Schwäne, die in jener Nacht nicht schliefen, konnten ihn schon fern am Himmel kommen sehen. Wie ein großer leuchtender Stern strahlte sein Kristall durch die dunkle Nacht. Doch nur wenige freuten sich über sein Kommen und über das wundersame Leuchten, das von ihm und seinem Kristall aus-ging. So mancher, der von ihm und seinem sonderbaren Licht angezogen war, konnte oder wollte aber seine Worte nicht verstehen. Der Königssohn forderte die Schwäne auf, sich ihre schwarzen Federn auszureißen, die sie so träge und schwerfällig machten. "Aber das schmerzt doch ungeheuerlich und es wird bluten!" riefen die einen entsetzt. "Willst du, dass wir nackt herumlaufen?" spotteten die anderen.

"Glaubt mir," sprach der Königssohn, "unter eurem schwarzen Federkleid ist ein rein-weißes Gefieder, das leicht und luftig ist. Damit werdet ihr wieder fliegen können, so wie ich. Und wenn ihr erst wieder fliegen könnt, dann könnt ihr auch zurückkehren in meine Heimat, dem Sonnensee. In jenem Reich meines Vaters wird niemand mehr frieren und hungern. Befreit euch von euren lästigen Federn und kommt mit mir zurück." Und als er so redete erfuhr die Königin von seiner Ankunft. Sie fürchtete, dass es ihm gelingen würde, ihr Reich aufzulösen und alle Schwäne zu Sonnensee zurückzuholen.

Schnell und geschickt wiegelte sie die Menge unschlüssiger Schwäne gegen ihn auf. Ihre Verleumdungen und Lügen um den weißen Boten vom Sonnensee wuchsen und mehr und mehr Schwäne sahen plötzlich in ihm eine drohende Gefahr. Sie zeterten und schrien auf ihn ein und auf jene, die ihm folgten. Sie schlugen mit ihren schwarzen Flügeln und der Tumult wurde so groß, dass alsbald Steine flogen und wilde Schreie über dem ganzen See zu hören waren. Plötzlich traf ein Stein den Kopf des Königssohns. Er sank in sich zusammen und sein schöner langer Hals fiel auf die nackten Klippen des Sees. Hierbei zersprang der funkelnde Kristall in abertausend kleine Teile. Doch statt auf den Boden zu fallen, fielen die kleinen Stücke in die Herzen aller schwarzen Schwäne, wo sie von nun an zu leuchten begannen.

Erstarrt und erschrocken verharrte die Menge als sie sah, was geschehen war. Hatten sie wirklich diesen schönen Schwan erschlagen? Und als sie noch auf den leblosen Körper blickten, verschwand dieser plötzlich ganz vor ihren Augen! Was war das? Verwundert schauten sie einander an. Nun bemerkten sie plötzlich, dass ein seltsames Leuchten unter ihren schwarzen Federn hervor schimmerte. Sollte der weiße Schwan etwa recht gehabt haben? Sollte wirklich ein weißes, strahlendes Federkleid unter ihren dunklen Federn verborgen liegen?

Nun begannen einige sich die ersten schwarzen Federn auszureißen. Es schmerzte ungeheuerlich und Tränen traten in ihre Augen. Doch sie gaben nicht auf. Und siehe da: es zeigten sich bald weiße Flügel, mit denen sich leicht der Wind fangen ließ. Erfreut entledigten sich die Schwäne noch der restlichen schwarzen Federn und begannen die ersten Flugversuche. Mehr und mehr Schwäne folgten und bald war der ganze See in Aufruhr. Von ihrem Schloss sah die Königin, dass ihre Schwäne begonnen hatten, sich für die Heimreise zu rüsten. Sie sah, wie sich immer mehr Schwäne ihrer schwarzen Federn entledigten und die ersten Flugversuche unternahmen.

Und also sie den ersten weißen Schwan hoch am Himmel kreisen sah, wurde ihr sehr schwer ums Herz. Tränen traten in ihre Augen und sie erkannte ihren dummen Eigensinn, womit sie sich an den kalten See selber verbannt hatte. Sie begann sich nach dem warmen Sonnensee zu sehnen und wünschte sich nichts lieber, als wieder die Frau an der Seite des Sonnenkönigs zu sein. In dem Moment kamen die ersten Schwäne auf sie zu. Aufgeregt durch ihre ersten Flugversuche riefen sie ihr zu: "Schau`, wir können fliegen! Komm` mit uns, wir ziehen zurück zum Sonnensee. Auf was wartest Du noch?

Aber die Königin wusste, was sie zu tun hatte und rief: "Fliegt nur voraus. Ich komme bald nach!" Dann machte sie sich auf, allen Schwänen zu helfen, sich ihres schwarzen Gefieders zu entledigen. Sie wusste, dass sie nicht eher zurückkommen durfte, bis der allerletzte Schwan wieder fliegen konnte und zum Sonnensee zurückgekehrt ist. Und so half sie einem Schwan nach dem anderen. Als letzte entledigte sie sich selber ihres schwarzen Federkleides und hob sich in die Lüfte um den anderen zu folgen.

Das Fest, das die verlorenen Schwäne zu ihren Ehren bei ihrer Wiederkehr vorfanden, war von einer Größe und Freude, dass es unmöglich ist, es mit Worten zu beschreiben. Geschwind trugen die verlorenen Schwäne all die kleinen Kristallstücke zusammen, die in ihrem Herzen eingebettet waren. Jetzt hatten sie diese nicht mehr nötig und dankbar brachten sie die Kristallstücke dem Königssohn zurück, der sie von nun an als Zeichen seiner Würde als wundersame Krone auf seinem Haupte trug.

Heinz Wilhelm

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